Die Künstlergruppe50 Wiesbaden

Kunst als Schlüssel zur Existenz

Macht Lust auf den Film: Bildcollage der Einladung zu „Kunst als Schlüssel zur Existenz – Die Künstlergruppe50 Wiesbaden“

„Eine Stadtführung der ganz besonderen Art“, mit diesen Worten würdigt Kulturdezernent Axel Imholz den Film „Kunst als Schlüssel zur Existenz – Die Künstlergruppe50 Wiesbaden“ von Stella Tinbergen. Drei Jahre lang hat sich die Wiesbadenerin mit einer höchst aufwendige Porträt-Arbeit beschäftigt, die tief in die Welt von dreizehn Kunstschaffenden der Gruppe eintaucht, eine ungeheure Vielfalt zeigt und Lust macht, sich mit ihren Werken noch näher auseinanderzusetzen. Insgesamt gehören derzeit achtzehn Künstlerinnen und Künstler dem Kreis an. Auf unserer Freunde-Website finden Sie Ricarda Peters und Frank Deubel in der Rubrik „Wir sind dabei“ im Gespräch sowie Kuratoriumsmitglied Tom Sommerlatte anlässlich einer Ausstellung ebenfalls im Interview. Im Jahr des 70. Geburtstags der Gruppe hatte Stella Tinbergen den Film fertiggestellt, pandemiebedingt fand die Uraufführung erst jetzt in der Caligari FilmBühne statt. Weitere Aufführungen folgen am Mittwoch, 1. Juni, um 17:30 Uhr, und am Donnerstag, 2. Juni, um 20 Uhr. Wünschenswert wäre es, sagt Tinbergen, dass der Film einmal im Jahr im Programmkino der Stadt gezeigt wird, und vielleicht auch am 10. Dezember, dem Geburtstag der Mitbegründerin Christa Moering.

„Kunst als Schlüssel zur Existenz“ – ein Filmtitel, der gleichermaßen neugierig wie nachdenklich macht. Einer, der sich beim Gespräch mit einer Wiesbadener Malerin herauskristallisiert hatte, und der – wie Regisseurin Stella Tinbergen zu Recht meint – auf alle Protagonisten des Dokumentarfilms über die Künstlergruppe50 Wiesbaden passt. Die Künstlerin, die sie zum Titel inspirierte, ist Ricarda Peters. Eines der Mitglieder, das wie zwölf weitere ganz individuelle Einblicke ins eigene künstlerische Schaffen gewährt.

Sie gab den Anstoß für den Titel des Films: Ricarda Peters, hier mit ihrer Malerei aus den Jahren 2002 bis 2019 im Kunsthaus Wiesbaden – wo auch für den Film gedreht wurde (Foto: Ingeborg Salm-Boost)

Wie gut, dass die Filmemacherin Stella Tinbergen 2017 mit der Gruppe näher zusammentraf und in Kontakt geblieben ist, sich für jede(n) einzelnen und den persönlichen Stil interessierte; dass sie auf die Idee kam, dieser Gruppe, eine der ältesten städtischen Künstlergruppen in Deutschland, einen Film zu widmen.

Alle achtzehn Mitglieder konnte sie nicht so intensiv begleiten, doch dreizehn von ihnen stellt sie im Film vor, lässt ihnen viel Raum, ihre Gedanken zu „ihrer“ künstlerischen Tätigkeit darzulegen. Kein leichtes Unterfangen. Denn in den Arbeiten ist ein weiter Bogen von der Gegenständlichkeit bis hin zur Abstraktion gespannt. Malerei, Bildhauerei, Installationen, Fotokunst … „Mir war gleich klar: Dies kann keine Perlenkette werden, hier braucht es ein stabiles dramaturgisches Gerüst“, drückt es die im Porträtieren erfahrene Regisseurin anschaulich aus. Schritt für Schritt zeigen, wie die Arbeit Gestalt annimmt. Eintauchen in die Welt der so unterschiedlichen Kunstschaffenden … Wer sich das Ergebnis anschaut, weiß: Das ist Stella Tinbergen gelungen. Dabei half nicht zuletzt, dass Wiesbaden die Klammer sein konnte, was wunderbar auch in Szene gesetzt ist. Anlässlich des 70. Geburtstags hatten sich die Gruppen-Angehörigen für die Ausstellung im Stadtmuseum am Markt (SAM) auf dieses Wiesbaden-Thema und ihre ganz eigene Perspektive konzentriert. Wie dort in Gemeinschaftsarbeit die Schau zustande kam, davon wird im Film ebenso erzählt wie von einer Ausstellung in Wiesbadens Partnerstadt Berlin-Kreuzberg und einer bemerkenswerten Kunstaktion in der Bergkirche. Apropos Gemeinschaft: Bei aller Unterschiedlichkeit der Charaktere und Meinungen gehört auch das Zusammensein in entspannter Atmosphäre zur Gruppe.

Ihr Ziel, so erzählt Stella Tinbergen uns für die Freunde-Website im Vorfeld der Premiere, war es, als Porträtistin tätig zu sein. Für die Geschichte der Gruppe (die kein Verein ist) sicherte sich die Regisseurin die Kompetenz von Renate Petzinger, frühere stellvertretende Direktorin des Museums Wiesbaden und Vorstandsmitglied der Freunde des Museums. Im Förderkreis ist die in Hamburg und Kassel lebende Fachfrau auch heute noch Mitglied – so wie eben auch die Mitglieder der Künstlergruppe50. Renate Petzinger war bereit, mit Stella Tinbergen einen Vorfilm zu drehen, in dem eine Mitbegründerin und bis zu ihrem Tod prägende Persönlichkeit im Mittelpunkt steht: Wiesbadens Ehrenbürgerin Christa Moering. Wie schön, dass  Christiane Moering-Haiges, die Tochter der verstorbenen Galeristin, Künstlerin und Lehrerin bei der Uraufführung anwesend war – und gerne bescheinigte: Dieser filmische Blick auf die Künstlergruppe50 hätte der Mutter gefallen!

Christa Moering war, so sagt es uns Renate Petzinger, der Motor der Gruppe, immer eine gute Beraterin für ihre Kollegen und Kolleginnen. Sie hatte mit Heinz-Rudi Müller den Kreis angeführt. Renate Petzinger würdigt im Vorfilm zur Geschichte einfühlsam und faktenreich Moerings Engagement, auch über die Gruppe hinaus. Eine Frau, die über den Tellerrand schaute, andere förderte und auch Unterricht gab.

„Sie war eine Künstlerin, die die Gruppenkultur geprägt hat“, heißt es auf der Website der Gruppe. Die Anfänge des Künstlerkreises werden dort so beschrieben: Anliegen war es, „sich gemeinsam im schwierigen Nachkriegsumfeld zu behaupten, sich weitgehend künstlerische Freiheit für die jeweils eigene Entwicklung zu bewahren, Freiheit vor allem von Gängelung, wie sie im Dritten Reich stattfand, Freiheit aber auch von Markt und Stilkonjunkturen …“

Nicht abhängig sein, das ist auch heute noch das Credo der Kunstschaffenden unter diesem Dach. Stella Tinbergen weist darauf hin, dass fast alle auch noch einem Brotberuf nachgingen. Das gibt Freiheit. Aber es stellt sich auch die Frage: Was bringt die Menschen dazu, sich auf eine ebenso zeit- wie kostenintensive Beschäftigung einzulassen? Womit wir wieder bei der Kunst als Schlüssel zur Existenz wären …

Ohne (eigene) Kunst existieren? Das können sich wohl die Mitglieder des Kreises auch im fortgeschrittenen Alter nicht vorstellen. Und wie Stella Tinbergen sie kennengelernt hat, sind sie „ausgesprochen jung im Kopf“ – gerne auch bereit, neue Mitglieder aufzunehmen. Nicht ohne sich gemeinsam vorab intensiv mit dem jeweiligen Menschen auseinandergesetzt zu haben. Die Regisseurin hebt nach der Premiere im Dialog mit dem früheren ZDF-Mann und Kenner der Gruppe, Stephan Wiesehöfer, auf der Caligari FilmBühne die „unglaubliche Sorgfalt“ der Künstlerinnen und Künstler bei ihrer Arbeit hervor, ein Schaffen, bei dem sie „alles dem Werk unterordnen“. Sie gehe reicher aus diesen Begegnungen, die sie auf Augenhöhe empfand, hinaus, sagt Stella Tinbergen. Und freut sich über den Beifall, den die „Kunst als Schlüssel zur Existenz“ findet.

Ingeborg Salm-Boost

Ihre Leidenschaft ist das Porträtieren: Filmemacherin Stella Tinbergen (Foto: privat)

Zur Person
Stella Tinbergen, für ihre Arbeit mehrfach mit Preisen geehrt, hat 2013 auch das Christa Moering-Stipendium erhalten. Sie studierte an der Höheren Technischen Bundeslehranstalt Graz, Fachrichtung Audiovisuelle Medien, und an der Filmhochschule Wien. Das Porträt nennt die Wiesbadenerin ihre große Leidenschaft. Der Schwerpunkt ihres filmischen Schaffens liegt in den Bereichen Kunst und Psychologie. Unter den Anerkennungen findet sich auch ein Journalistenpreis im Jahr 2006 zum Thema „Schizophrenie und Stigma“ für den Film „Siegfried – Geister, die ich rief“. Derzeit arbeitet sie an „Henriette und Guido – eine ungewöhnliche Liebesgeschichte“, eine Geschichte, die von HessenFilm gefördert wurde. Stella Tinbergen beschreibt ihre Intention so: „Mich interessieren die Besonderheiten menschlicher Lebensläufe … Ich suche in den Gesichtern und im Leben der Menschen, mit denen ich arbeite, nach Hinweisen für ein Wissen über den ureigenen Weg. Wenn es mir gelingt, das in meine Bildsprache zu übersetzen, bin ich am Ziel …“  Unter den Dokumentarfilmen auch „Hanna Bekker vom Rath – Botschafterin der Kunst“, eine Arbeit, die sie dank des Moering-Stipendiums anging. Oder etwa „Marianne von Werefkin – Ich lebe nur durch das Auge“ sowie „Poeten des Tanzes – Die Sacharoffs“. Stella Tinbergen widmet sich außerdem der Objektkunst, so entstand das „Bekenntnis des Tänzers Alexander Sacharoff“ oder zusammen mit Horst Reichard (Gruppe50) die Installation „Stirb und Werde“. Näheres unter www.tinbergen.de (isa)

Die porträtierten Künstlerinnen und Künstler
Swantje von Bismarck · Petra von Breitenbach · Frank Deubel · Roman R. Eichhorn · Nicole Fehling · Bettina Flössner · Bettina Gelhard-Reeh · Arnold Gorski · Titus Grab · Isanna von Perbandt · Ricarda Peters · Horst Reichard · Tom Sommerlatte

 

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