Interview mit Ferdinand Wolfgang Neess

„Ich empfinde eine Menge Glück.“

Eine gewisse Sprachlosigkeit kommt auf, darf man sich im Jugendstil-Haus des Sammlers umsehen. Und Freude darüber, dass Ferdinand Wolfgang Neess seine gesamte Jugenstil-Sammlung dem Museum Wiesbaden vermacht hat, wo sie von Ende Juni 2019 an im umgebauten Südflügel zu sehen sein soll. Zwischen Gemälden, Objekten und Mobiliar erster Jugendstil-Güte sitze ich mit Kustos Peter Forster, Danielle und Ferdinand Wolfgang Neess – nicht zu vergessen Mops Hector. Der erste Trubel ist für Ferdinand Wolfgang Neess und seine Frau vorüber. Die Nachricht, dass er mit seiner Jugendstil-Sammlung dem Museum Wiesbaden eine „Sensationsschenkung“ macht, wurde vor einem Jahr verbreitet, als die Tinte auf dem Vertrag mit dem Land Hessen trocken war. Nun wird fieberhaft an der Umsetzung gearbeitet. 2019 im Juni, wenn der Mäzen 90 Jahre alt wird, soll die Eröffnung des Museums im Museum stattfinden. Ferdinand Wolfgang Neess war gerne bereit, für die Freunde des Museums ein Interview zu geben. Eine beeindruckende Begegnung mit einem Mann, der von sich sagt, das Sammeln der Jugendstil-Kunst sei zu seiner Lebensaufgabe geworden.


Er ist glücklich mit der Lösung für seine Jugendstil-Sammlung: Ferdinand Wolfgang Neess (Foto: privat)
Er ist glücklich mit der Lösung für seine Jugendstil-Sammlung: Ferdinand Wolfgang Neess (Foto: privat)

Herr Neess, vor gut einem Jahr standen Sie und Ihre Frau mit Ihrer Sammlung im Fokus der Öffentlichkeit, nicht nur in Wiesbaden. Es ist seither zu Recht von Sensationsschenkung, von unfassbarem Glück für Wiesbaden und einem neuen Zentrum des Jugendstils die Rede. Was empfinden Sie heute?

Eine Menge Glück – das empfinde ich nach dieser Wegbereitung, bei der meine Frau mir stark geholfen hat. Jetzt weiß ich, wo meine Sammlung hinkommt, das ist eine Sicherheit, die ich zuvor nicht hatte.

(Danielle Neess ergänzt:) Das gesamte Kunstwerk ist gerettet.

Sind Sie im ständigen Dialog mit dem Museum, und speziell mit Peter Forster. Oder lassen Sie ihn mal machen?  Er hat ja öffentlich erklärt, dass das Museum sich seiner wissenschaftlichen Verantwortung für diese außergewöhnliche Sammlung bewusst ist.

Meine Frau und meine Nichte sind im ständigen Dialog.

Bahnt sich Trennungsschmerz an, wenn Sie sich in Ihrem wunderbaren Jugendstilhaus und in der Sammlung umsehen?

Noch spüre ich den Trennungsschmerz nicht. Vor einem Jahr hatte ich mich ja mit der Idee angefreundet, dass meine Sammlung nicht in diesem Haus bleibt. Die gute Lösung ist mir ein außerordentlicher Trost. Trennungsschmerz kommt vielleicht noch.

Und am 28. Juni 2019, wenn Sie 90 Jahre alt werden, soll die gesamte Sammlung in den umgebauten Südflügel des Landesmuseums umgezogen sein. So steht es im Vertrag mit dem Land Hessen. Grund zur Freude?

Ja. Und ich will hoffen, dass dies so zeitlich klappt, wie der Vertrag es festschreibt.

(Dr. Peter Forster:) Wir arbeiten mit Hochdruck daran. Wir sind auf einem guten Weg.

(Danielle Neess:) Sie, Herr Forster, arbeiten sehr hart daran.

Blicken wir für die Freunde des Museums doch erst einmal noch zurück. Mit einer Jugendstil-Leuchte soll in den 60er Jahren alles begonnen haben? Irgendwo stand auch, dass ein geschenkter Jugendstilkatalog die Initialzündung gewesen sei – und das Feuer entfacht habe.

Beides ist richtig. Als Banklehrling hatte ich in einem Laden in Frankfurt zwei Jugendstil-Leuchter entdeckt und gekauft, schauen Sie, sie stehen hier nebenan im Raum. Auf 60 Mark hatte ich sie runtergehandelt.

Die würden Sie auch nicht hergeben wollen?

Nein, vermutlich wollte sie auch niemand haben. Das ist auch eine persönliche Angelegenheit.

Und der Katalog?

Ja, das war ein Werk von Robert Schmutzler, ich erhielt es als Geschenk. Das Buch habe ich studiert. Es hat mich für den Jugendstil entflammt. Die Themen gefielen mir hundertprozentig.

Wann war das denn, waren Sie schon als Kunsthändler aktiv?

Nein, das wurde ich erst kurz danach. Es war Anfang der 60er Jahre.

Wie kam es eigentlich, dass Sie als junger Mann der Bank den Rücken kehrten und zum Kunsthändler wurden? Eine glückliche Fügung?

Man sagte mir, ich sei nicht geeignet für den Job bei der Bank.

Wie ging es weiter mit dem Sammeln? Haben Sie nach bestimmten Bildern, Möbelstücken, Lampen Ausschau gehalten? Und wie haben Sie das finanziert? Dank einer vermögenden Familie?

Ja, das kann man so sagen. Ich wurde dann auch Kunsthändler. Aber ebenso Sammler. Das war nicht immer einfach. Auch wenn ich das Grundvermögen durch den Ankauf vermehrt habe. Manchmal musste ich trotzdem das ein oder andere verkaufen.

Das freut Kustos Peter Forster sehr: Dieses Bild „Der Reigen“ von Franz von Stuck gehört zur Sammlung Neess und kommt wie einige weitere Werke des Malers ins Museum. Die Freunde des Museums hatten übrigens den Ankauf der „Phyrne“ von Franz von Stuck unterstützt. (Foto: privat)
Das freut Kustos Peter Forster sehr: Dieses Bild „Der Reigen“ von Franz von Stuck gehört zur Sammlung Neess und kommt wie einige weitere Werke des Malers ins Museum. Die Freunde des Museums hatten übrigens den Ankauf der „Phyrne“ von Franz von Stuck unterstützt. (Foto: privat)

Wie war das damals auf dem Markt?

Das Angebot war nicht so reichhaltig. Man war froh über das, was man bekommen konnte. Mein Geschäft war zunächst in Frankfurt, dann in der Franz-Joseph-Straße in München. Da brauchte man möglichst interessante Stücke. Heute ist gute Jugendstil-Ware unendlich knapp geworden. Die Preise kennen keine Grenzen mehr.

Hätten Sie sich vorstellen können, sich einer anderen Kunstrichtung zuzuwenden?

Nein. Jugendstil hatte mich in den Bann gezogen und das ist bis heute so. Seit den 60er Jahren war es eine Lebensaufgabe, der Handel damit war ein Nebenzweig, den ich ehrenwert betrieben habe.

Haben Sie Lieblingswerke und Objekte?

Vielleicht eines von Henri Martin: Muse au crépuscule.
Und eine Lilienvase. Leider habe ich das Pendant dazu verkauft – für einen hohen Preis. Es gab auch mal das Bild „Die Tiefe der See“ von Edward Burne-Jones. Ich hatte es einst in London Andrew Lloyd Webber bei einer Versteigerung weggeschnappt. Er tobte. Als ich Geld brauchte, habe ich es ich ihm dann verkauft. Zu einem sehr hohen Preis. Das war ein Kampf.

Leben Sie jetzt, da Sie sich in absehbarer Zeit trennen, anders in Ihrem Weißen Haus. Was wird mit diesem passieren, wenn es sein unschätzbar wertvolles Interieur verliert?

Wissen Sie, bevor ich es kaufte, sollte dieses Haus zerstört werden. Es war wunderbar, dass ich es erwerben konnte. Natürlich waren viele Denkmalschutz-Auflagen zu erfüllen. Wir werden nicht im Haus bleiben.  Denn es hat seine Funktion verloren, wenn nach zirka 30 Jahren die Sammlung nicht mehr da ist. Ich bin 89, muss weiterdenken.

Sie sind kein Wiesbadener?

Ich bin in Neuss geboren und in Bad Nauheim aufgewachsen. Dort spielt der Jugendstil wie in Darmstadt eine große Rolle. Ich habe sogar Hessisch gebabbelt.

Alle reden von Geldsummen. Ist es richtig, wenn der Wert Ihrer Sammlung mit zirka 41 Millionen angegeben wird?

Was soll ich dazu sagen?

(Peter Forster ergänzt:) Bei einer Schenkung muss in einem Gutachten ein Wert festgelegt werden.  Der monetäre Wert interessiert aber uns als Museum nicht, es geht allein um die kunsthistorische Bedeutung. Es ist wirklich ein Glücksfall, wir können diese Sammlung geschlossen halten

Die Enttäuschung, dass ihre Geburtsstadt Neuss die Sammlung nicht haben wollte, ist die überwunden?

Das ist für mich abgehakt. Man hatte mir keine Chance gegeben. Eine verschwindend geringe Mehrheit sprach sich vor zwei Jahren dagegen aus.

Wäre die Mathildenhöhe in Darmstadt auch eine Alternative gewesen?

Ich hatte mal kurz mit dem Gedanken gespielt, aber da hat man ja eine große Sammlung

(Peter Forster ergänzt:) Darmstadt hat einen anderen Schwerpunkt. Es ist ein Glücksfall für Hessen, dass nun noch die Neess-Sammlung in Wiesbaden hinzukommt.

Bleiben wir mal bei Sammlern? Wie finden Sie es, dass gleich neben dem Landesmuseum Reinhard Ernst ein Museum für seine abstrakte Kunst nach 1945 bauen und es mit einer Stiftung betreiben wird?

Das finde ich sehr gut für Wiesbaden.

Eine zweite Leidenschaft von Ihnen ist die Musik, spielen Sie immer noch Querflöte?

Ja, jeden Tag, wenn es irgendwie geht. Ich bilde mir ein, ich könnte mich so noch fit halten. Ich spiele amateurmäßig Jazz der 50er und 60er Jahre, etwas besser Klassik… Musik und Bildende Kunst waren immer im Widerstreit bei mir.

(Danielle Neess ergänzt:) Er hat früher auch einmal zwei erste Preise in Wettbewerben gewonnen.

Ich bin übrigens auch ein Wagner-Fan. Wir waren jahrelang in  Bayreuth – da müsste man mal wieder hinfahren.

Eine letzte Frage: Welchen Wunsch hätten Sie noch für Wiesbaden und das Museum?

Ich würde gerne noch ein bedeutendes Werk fürs Museum erwerben.

Das Gespräch führte Ingeborg Salm-Boost

Zur Übersicht