Kunstvoll und Naturnah

Jupiter im Oktogon

Keiner, der das Museum Wiesbaden betreten will, kommt daran vorbei. Von außen besehen erinnert das „Oktogon“, der zentrale Baukörper in Form eines regelmäßigen Achtecks mit dem vorgelagerten Eingangsportikus des Museums an ein antikes Bauwerk aus dem 1. Jahrhundert v. Chr., dem „Turm der Winde“ in Athen. Es fügt sich damit städtebaulich in die Achse der Wilhelmstraße mit ihren klassizistischen Anklängen.

Museum Wiesbaden von Westen: Eingang mit Oktogon, Portikus und Goetheskulptur von Hermann Hahn (Foto: Bernd Fickert/Museum Wiesbaden)
Museum Wiesbaden von Westen: Eingang mit Oktogon, Portikus und Goetheskulptur von Hermann Hahn (Foto: Bernd Fickert/Museum Wiesbaden)

Betritt man den Raum jedoch, werden Erinnerungen an die Aachener Pfalzkapelle geweckt, also einem insbesondere auch historisch bedeutsamen Ort. Man hat darüber gerätselt, ob der Architekt, Theodor Fischer, damit auf die Sammlungen des Museums anspielen wollte, die eben auch mittelalterliche Exponate beinhalten.

In jedem Fall wirkt der Oktogonal-Bau als zentrale Schnittstelle. Von hier aus bahnte sich der Weg zu den ehemals drei Abteilungen des Hauses, hier werden die drei Gebäudeteile zu einer Einheit zusammengefasst. Noch heute lassen sich an den Eisengittern der Durchgänge die Namen der Abteilungen ablesen …

Museum Wiesbaden: Oktogon mit der Installation „Jupiter im Oktogon“ von Rebecca Horn, Blick auf den Bodenspiegel (Foto: Bernd Fickert/ Museum Wiesbaden)
Museum Wiesbaden: Oktogon mit der Installation „Jupiter im Oktogon“ von Rebecca Horn, Blick auf den Bodenspiegel (Foto: Bernd Fickert/Museum Wiesbaden)

Das Mosaik der Wände wurde von Max Unold ausgeführt, die Nischenfiguren im Wandaufriss werden Arnold Hensler zugeschrieben. In den Darstellungen selbst finden wir zahlreiche regionale Anklänge, an Acker- und Weinbau etwa und immer wieder Wasser, treffend für Wiesbaden mit seinen besonderen Quellen. Noch deutlicher wird es in den oberen Rängen: Hier sind zahlreiche Wappen wiedergegeben. Alle entstammen sie dem ehemaligen Herzogtum Nassau. Einige Darstellungen nassauischer Residenzstädte sind sogar durch Spruchbänder gekennzeichnet: Diez, Dillenburg, Idstein, Weilburg. Kein Zweifel: Die Ausgestaltung des Oktogons nimmt Bezug auf die Gründungszeit des Museums, rund 100 Jahre vor der Eröffnung unseres Gebäudes 1915.

Wiederum fast einhundert Jahre später, im Jahr 2007, wurde genau an diesem Ort nach einer Phase der Gebäudesanierung die Arbeit einer zeitgenössischen Künstlerin installiert, Rebecca Horns „Jupiter im Oktogon“. Rebecca Horn, gebürtig im Odenwald 1944, lebte lange Zeit in New York, war Professorin in Berlin, wurde mit Kunstpreisen überhäuft – wie auch dem 2007 verliehenen Jawlensky-Preis der Stadt Wiesbaden –, ihr Werk gewürdigt mit Ausstellungen an bedeutenden Museen wie dem Guggenheim in New York. Eine Künstlerin also von unzweifelhafter Zeitgenossenschaft und internationaler Reputation präsentiert eine Arbeit an einem historisch und regional so eng definierten Raum. Kann das gutgehen?

Schon der Titel „Jupiter im Oktogon“ weckt Assoziationen in verschiedener Hinsicht. Einerseits mythologische, bezogen auf Jupiter, den Licht- und Himmelsgott, Herr über Blitz und Donner. Andererseits astronomische, bezogen auf Jupiter, den größten Planeten in unserem Sonnensystem. Einen Bezugspunkt im Raum findet man in jedem Fall in den kosmologischen Darstellungen vor Goldgrund mit Sonne, Mond, Erde und Saturn im Kuppelmosaik.

Museum Wiesbaden: Oktogon, Blick in die Kuppel mit der Installation „Jupiter im Oktogon“ von Rebecca Horn, erworben im Rahmen der Verleihung des Alexej von Jawlensky-Preises 2007 der Landeshauptstadt Wiesbaden (Foto: Bernd Fickert/ Museum Wiesbaden)
Museum Wiesbaden: Oktogon, Blick in die Kuppel mit der Installation „Jupiter im Oktogon“ von Rebecca Horn, erworben im Rahmen der Verleihung des Alexej von Jawlensky-Preises 2007 der Landeshauptstadt Wiesbaden (Foto: Bernd Fickert/Museum Wiesbaden)

Die Arbeit besteht aus drei Spiegeln, die zueinander und zum umgebenden Raum in Beziehung stehen. Man könnte auch von einer ortsgebundenen Installation sprechen. Der größte der Spiegel mit einem Durchmesser von zwei Metern befindet sich am Boden des Raumes. Er ist beweglich in dauernder Kippbewegung installiert. Der zweite Spiegel hängt diesem gegenüber von der Kuppel herab. Damit verbunden, in kreisender Bewegung rotierend, befindet sich der dritte und kleinste Spiegel, der in Schrägstellung die Wände reflektiert. Rebecca Horn ist bekannt für eine Maschinenästhetik mit präzise ausgearbeiteten zeitlichen Abläufen. Sehen wir uns die Installation als Beobachter von den oberen Emporen aus an, so wird genau dieser Eindruck bestätigt. Wir finden ein geschlossenes System mit einem bestimmten Bewegungsmuster vor. Nicht zufällig assoziiert man wohl Planeten- oder Gestirnkonstellationen. Alles wirkt berechenbar und rational nachvollziehbar. Räumliche Realität und Spiegelung sind hier klar zu unterscheiden.

Begeben wir uns dagegen in den Oktogonal-Raum selbst und blicken in den Spiegel, so ist die Situation eine andere. Wir sind Teil des Spiegelbildes, unten und oben sind nicht mehr zu unterscheiden. Scheinbar blicken wir in die Tiefe und sehen doch zugleich in die golden leuchtende Kuppel. Kaleidoskop-artig löst sich der geschlossene Raumeindruck in vielfachen Reflektionen auf. Zudem wird uns durch die Kippbewegung des Spiegels der feste Boden unter den Füßen entzogen, Bezugspunkte gehen verloren, alles gerät ins Wanken. Von distanzierter Beobachtung kann keine Rede mehr sein. Im Gegenteil: Die Wahrnehmung erfolgt nun mit dem ganzen Körper.

Museum Wiesbaden: Eingang, Oktogon, Blick in den Bodenspiegel der Installation „Jupiter im Oktogon“ von Rebecca Horn (Foto: Bernd Fickert/ Museum Wiesbaden)
Museum Wiesbaden: Eingang, Oktogon, Blick in den Bodenspiegel der Installation „Jupiter im Oktogon“ von Rebecca Horn (Foto: Bernd Fickert/ Museum Wiesbaden)

Eine der Wiesbadener Arbeit vergleichbare Installation hat Rebecca Horn auf Mallorca und in London geschaffen. Sie trägt den Titel „Mondspiegel“. In einem gleichlautenden Gedicht stellt sie den Bezug zu einem Brunnen her. Auch im Oktogon wird man bei dem Bodenspiegel an die Form eines Brunnens erinnert. Ein Brunnen wird neben der biblischen Symbolik von Wasser und Leben auch oft mit der Tiefe des Unbewussten assoziiert. Genau hier setzt meiner Meinung nach unsere Installation an. Dem Verlust der festen Ordnung entspricht auf der anderen Seite eine Zunahme an Subjektivität, an Gefühl, ein Zugang zu unbewussten oder verborgenen Quellen vielleicht. In seiner Gänze erfahren können wir das Kunstwerk aber erst wenn wir in der Lage sind, beide Seiten angemessen zu erfassen.

Die Arbeit erschließt sich also in ihren Polaritäten von Tiefe und Himmel, von Mythos und Wissenschaftlichkeit, von Rationalität und Intuition in der Wahrnehmung vor allem. Weitere Gegensatzpaare ließen sich finden. Aber was bedeutet das für unsere Situation im Oktogon, im direkten Eingangsbereich des Museums? Hier werden die Besucher empfangen und eingestimmt – auf eine Form der Wahrnehmung, die man in dieser Vielschichtigkeit vielleicht als künstlerische bezeichnen kann, die jedenfalls geeignet erscheint, dem besonderen, nicht-alltäglichen Ort gerecht zu werden. Sie wird uns mit auf den Weg gegeben. Kann man sich einen besseren Ausgangspunkt für den Besuch eines Museums vorstellen?

Martina Frankenbach


Erfahren Sie mehr zu Martina Frankenbach, Leiterin der Kunstbibliothek des Museums Wiesbaden, im Interview.

Zur Übersicht