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Die „Wiesbadener Heimsuchung“

Die „Wiesbadener Heimsuchung“, auch Heimsuchung Mariae (um 1520), ist eines der herausragenden Werke der Wiesbadener Gemäldegalerie. Das imposante Gemälde zählt zu den auf eine Ausleihe am meisten erbetenen Werken im Museum und kann aufgrund seiner großen Fragilität aber nicht mehr reisen. Bewundert werden kann es heute nur noch im Museum Wiesbaden.

Dargestellt ist eine der am häufigsten wiedergegebenen Episoden des Marienlebens. Nach der Verkündigung macht sich Maria auf den Weg, ihre schwangere Verwandte Elisabeth zu besuchen. Elisabeth, Ehefrau des Priesters Zacharias, die bis ins hohe Alter kinderlos geblieben war, wird Johannes den Täufer, den Wegbereiter Christi, gebären. Sie erkennt als erste in Maria die Mutter des Herrn. Als sie den Gruß der Maria vernimmt, bricht sie in die Worte aus: „Gesegnet bist du unter den Frauen, und gesegnet ist die Frucht deines Leibes! Doch woher wird mir die Ehre zuteil, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt? Denn wisse: als der Klang deines Grußes mir ins Ohr drang, bewegte sich das Kind vor Freude lebhaft in meinem Leibe.“ (Lukas 1, 42–44). In behutsam sich umarmender Geste begegnen sich die beiden schwangeren Frauen. Die Hand der Elisabeth auf dem Leib der Maria drückt dabei über das menschlich Berührende der Szene hinaus zugleich das Empfangen des Segens aus.

Die Begegnung ist in dominanter Dreieckskomposition wiedergegeben. Auffallend sind die sorgfältig ausgearbeiteten Physiognomien, wobei der jugendlich idealen Schönheit der Maria die ausgeprägten Alterszüge der betagten Elisabeth gegenüberstehen. Maria zugeordnet ist Josef, der sich hinter ihr stehend auf seinen Stab stützt. Hinter Elisabeth sehen wir den greisen Zacharias und daneben am rechten Bildrand den Heiligen Sebastian, als einziger nicht dem Geschehen, sondern dem Betrachter zugewandt. In der Hand trägt der Schutzheilige den Märtyrerpalmzweig. Sein linker Arm ist von einem Pfeil durchbohrt, dem Zeichen seines Martyriums. Die gesamte Figurengruppe ist vor landschaftlichem Hintergrund angeordnet. Für die eingefügten architektonischen Elemente diente der Dürer’sche Kupferstich „Das Meerwunder“ als Vorbild. Die Ikonographie ist äußerst außergewöhnlich und dürfte im Kontext seiner ehemaligen Aufstellung stehen.

Das Gemälde stammt vermutlich aus der Kirche San Giacomo in Savona. Seine ursprüngliche Anordnung im Zusammenhang eines mehrteiligen Altarbildes ist noch weitgehend ungeklärt. Die Zuschreibung zu einem Künstler wurde lange Zeit kontrovers diskutiert. Prof. Hermann Voss, der das Gemälde 1936 für das Wiesbadener Museum erwarb, fand keinen der Vorschläge überzeugend und hat den Künstler deshalb mit dem Notnamen „Meister der Wiesbadener Heimsuchung“ versehen, dem er außer diesem Bild noch ein weiteres in der Berliner Gemäldegalerie befindliches zuschrieb. Die italienische Forschung bringt das Bild mit einleuchtenden Argumenten in Zusammenhang mit den Werken des Künstlers Alberto Piazza da Lodi. Zusammen mit seinem Bruder Martino gehörte er zu der im lombardischen Lodi tätigen Künstlerfamilie. In ihren Arbeiten zeigt sich der Einfluss Bergognones, Leonardos und Luinis. Als ihr Hauptwerk gilt die Ausmalung der Kirche Beata Vergine Incoronata in Lodi (ab 1517).

 Dr. Peter Forster
Alberto Piazza da Lodi (Meister der Wiesbadener Heimsuchung, *1490, zuletzt erwähnt 1528–1529),
Heimsuchung Mariae, um 1520, Öl auf Pappelholz, 210 x 164 cm, erworben 1936

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