Auch ohne Farbe paradiesisch

Interview mit Roman Zieglgänsberger

Erleichterung im Museum: Das Paradies kann bis 9. Mai 2021 in Wiesbaden bleiben. Keine leichte Aufgabe, eine solche Verlängerung hinzubekommen. Roman Zieglgänsberger ist nicht zuletzt Direktor Andreas Henning dankbar, der vor Weihnachten „viele, viele Telefonate“ führte – mit Erfolg. In unserem Interview (das den Entdeckungstouren zu August Macke nun folgt, die wir auf der Freunde-Website anbieten konnten) verrät uns der Kurator dann auch, woran sein „privates Herz“ ganz besonders hängt. Schauen Sie auch auf unsere „Entdeckungstouren“ in Mackes Paradies!

August Macke, Afrikanische Landschaft, 1914, Kunsthalle Mannheim (Foto: Kunsthalle Mannheim)

Roman, wie oft gehst du in dieser Zeit des geschlossenen Museums durch das „Paradies“, das leider immer noch ohne Besucher sein muss?

Tatsächlich ist es so, dass es leider viel zu selten passiert. Man muss aber dazusagen, dass alle Zeichnungen und Aquarelle aus konservatorischen Gründen in der Ausstellung derzeit zugedeckt sind, damit kein Licht auf sie fällt. Das macht man mit Packpapier, das klebt man einfach vorsichtig drüber. Gemälde sind in dieser Hinsicht ja unkomplizierter, weil sie deutlich weniger lichtempfindlich sind.

Und wenn gefilmt oder fotografiert werden soll?

Immer, wenn in den vergangenen Wochen ein Filmteam im Haus war – wegen Corona haben wir ja viele digitale Angebote produzieren lassen, worüber ihr dankenswerterweise berichtet habt – wurden die Abdeckungen weggenommen, und man konnte die Ausstellung für einen Vormittag in ganzer Pracht genießen. Diese Momente habe ich natürlich immer genutzt, bin allein (und tatsächlich ohne Maske) durch die Säle geschlichen. Das ist ja das Schöne an unserem Beruf, dass wir die Kunst auch hinter den Kulissen für uns haben. Nichtsdestotrotz ist sie natürlich für alle da, und wir freuen uns schon sehr,  wenn wir dann endlich wieder die Pforten für alle Besucher und Besucherinnen öffnen dürfen.

War es schwierig, die Ausstellung bis in den Mai zu verlängern?

So eine Verlängerung ist immer eine sehr aufwendige Geschichte. Vieles – intern wie extern – muss hier im Blick behalten und geprüft werden, ob überhaupt eine Verlängerung angedacht werden kann. Man muss sich vor Augen halten, dass alle einzelnen Projekte ein, zwei, manchmal sogar drei Jahre im voraus geplant sind und wie am Schnürchen nacheinander ablaufen beziehungsweise ineinandergreifen. Wenn man spontan an einer Stellschraube dreht, muss man aufpassen, dass nicht das sorgfältig geplante und logistisch bis ins kleinste Detail durchdachte Programm ins Wanken gerät. Etwa die Projekte der Kollegen im Haus.

Wie sieht das denn in der konkreten Situation aus?

Die vor zwei Jahren von Jörg Daur initiierte Frank Gerritz-Ausstellung musste verschoben werden, weil es Raumüberschneidungen mit der Macke-Schau gibt, wenn wir verlängern. Und überhaupt musste unser Hauptleihgeber und Kooperationspartner, das Kunstmuseum Bonn, einverstanden sein, auf seine Macke-Juwelen bis in den Mai hinein zu verzichten. Beides war glücklicherweise möglich, mein Dank geht hier an Frank Gerritz, den ich kürzlich im Haus zur Vorbesprechung seiner Ausstellung „Temporary Ground“ getroffen habe. Und ebenso geht natürlich der Dank an die wunderbaren Kollegen in Bonn, die Gott sei Dank ein offenes Ohr hatten. Wenn dann diese wichtigsten Parameter geklärt sind, fragt man erst alle anderen Leihgeber und Leihgeberinnen, ob sie ebenfalls einer Verlängerung zustimmen. Und da uns 95 Prozent sehr schnell ein positives Signal gegeben haben, konnten wir Macke doch immerhin bis 9. Mai verlängern. Andreas Henning möchte ich auch herzlich danken, denn er hat sehr viele Telefonate kurz vor Weihnachten geführt, wenn andere nur noch ans Geschenkeverpacken denken. Denn solche delikaten Angelegenheiten macht man besser mündlich. Schriftlich um eine Verlängerung von drei Monaten anzufragen, das wäre der falsche Weg.

August Macke, Begegnung vor dem Café, 1914, Kunstmuseum Bonn (Foto: Reni Hansen, Wolfgang Morell)

Deine Entdeckungstouren durch die acht Säle mit 80 Werken von August Macke und 20 Bildern der Rheinischen Expressionisten wurden auf der Freunde-Website von vielen Interessierten verfolgt. Hast du eigentlich einen Raum, der dir als Privatmensch besonders lieb ist?

Da bin ich ja wirklich nicht anders als unsere Besucher und Besucherinnen. Das lasse ich mir nicht nehmen, mein „privates Herz“ an Bilder zu hängen, die vielleicht im ersten Moment nicht die Aufmerksamkeit bekommen – weil sie eventuell leiser auftreten als die berühmten Werke wie der „Seiltänzer“, der „Große Spaziergang auf der Brücke“ oder die kraftvoll-atmosphärischen Tunis-Aquarelle. Mich freut halt auch, wenn ich Bilder entdecken kann, die nie so herauskommen neben den populären Werken und denen aber, wenn man ihnen die Chance gibt, ein besonderer Reiz innewohnt.

Verrate uns, wo das passiert!

Das waren und sind in der Macke-Ausstellung die kleinen Kohle/Kreide-Skizzen aus Tunis. Das ist wirklich eine überraschende Sache. Macke ist ja berühmt für seinen suggestiven Umgang mit der Farbe, aber gerade an den kleinen, so schnell hingeworfenen Blättern kann man sehen, dass der Künstler auch ein Meister der Zeichnung ist. Man sieht, dass die Markplatz- oder Kaffeehaus-Szenen mit nur einem schwarzen Stift so sinnlich von ihm erfasst wurden, dass man tatsächlich meint, das Klappern des Geschirrs auf den Tischen oder das Rücken der Stühle der Gäste hören zu können. Man hat unweigerlich das Gefühl, dass man sich dazusetzen und auch einen Mokka bestellen könnte. Ein bisschen Urlaubsgefühl kommt da auf. Das glaubst du mir jetzt nicht, aber probiere es doch selbst aus, wenn du das nächste Mal hier bist – günstiger kommt man nicht nach Nordafrika … Das Spannendste aber ist, dass da in keinem Moment die Farbe fehlt, und das ist doch eine große Erkenntnis: der Farbmaler, der die Farbe gar nicht bräuchte …

Und gibt es in der gesamten Ausstellung mit den verschiedenen Schaffensphasen August Mackes eine, die dir als Kunsthistoriker die bedeutendste ist?

Für mich ist das wirklich Besondere, dass August Macke in nur zwei Jahren es geschafft hat, von einem jungen Künstler, der ganz klar seiner Zeit verhaftet ist und angehört, plötzlich Avantgarde war, seiner Zeit voraus und immer noch blutjung war. Andere Künstler schaffen das nie beziehungsweise eventuell erst nach fünf bis acht Jahren Entwicklung. Deshalb ist mir der zweite Raum der Ausstellung so wichtig. Hier sieht man sehr schön, dass er 1907 den deutschen Impressionismus, dann 1908 den französischen Impressionismus mit großen Schritten hinter sich gelassen hat. Und als er dann um 1909 auf die unglaubliche Freiheit des Henri Matisse gestoßen ist, war er, so vorbereitet und offen für dessen Progressivität, dass er sie für sich im besten Sinne zu nutzen wusste. Dann entsteht ein Hauptwerk, wie die „Stickende Frau auf dem Balkon“, die Matisse ist, aber zugleich auch ganz klar schon August Macke.

August Macke, Türkisches Café II, 1914, Kunstmuseum Bonn (Foto: Reni Hansen, Wolfgang Morell)

In unserem Interview kurz vor dem Auftakt, der so schnell der „Vertreibung“ aus dem Paradies folgen musste, hieß die Überschrift „Am Ende überwiegt das Schöne“. Gibt es eine zeitliche Prognose, wann Kunstfreunde das aus eigener Anschauung bestätigen können? Also wann wir mit Öffnung des Hauses rechnen können?

Ehrlich gesagt traue ich mir nicht zu, hier eine Prognose abzugeben. Wünschen würde ich mir das natürlich so schnell wie möglich, aber die derzeitige Situation müssen wir erst gemeinsam in den Griff bekommen. Zuversichtlich bin ich aber, da wir ja bis 9. Mai verlängern konnten, dass uns noch genug Öffnungszeit bleibt und jeder, der die Ausstellung sehen möchte, dies auch kann. Und da die Ausstellung eine Aneinandereihung von Räumen ist, kann man das auch völlig gefahrenfrei tun: Da man am Eingang hineingeht und man am Ende geimpft mit viel positivem Macke-Genuss an anderer Stelle wieder rauskommt – die Besucher und Besucherinnen sich quasi nie queren oder über den Weg laufen – kann ich einen Besuch bald nach Wiedereröffnung jedem nur wärmstens ans Herz legen.

Das Gespräch führte Ingeborg Salm-Boost

August Macke, Türkisches Café I, 1914, Kunstmuseum Bonn (Foto: Reni Hansen, Wolfgang Morell)

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