Auf Entdeckungstour – Lebensmenschen (Teil 7)

Sammlerglück

Wussten Sie, dass die Werefkin in ihren frühen Jahren als „russischer Rembrandt“ galt? Kurator Roman Zieglgänsberger stellt uns „das einzige Frühwerk“ der Malerin vor, mit dem sich diese Aussage künstlerisch belegen lässt. Und er spricht von Sammlerglück – denn das Bild vom „Mann im Pelz“ gehört dem Museum Wiesbaden. Der Kurator schreibt:


Plant man in einem Museum eine große Sonderausstellung, fußt sie gemeinhin auf dem eigenen Sammlungsbestand. Dieser soll mit einem Projekt, in das nicht nur finanzielle Mittel, sondern auch viel Arbeitszeit hineinfließen, vertiefend, und das heißt ‚erkenntnissezutagefördernd‘, erforscht werden.

Dass dies im Fall der „Lebensmenschen“-Ausstellung natürlich ebenfalls so ist, liegt durch die bedeutende Jawlensky-Sammlung unseres Hauses auf der Hand. Wir besitzen aber neben den Werken Jawlenskys auch eines der ausgesprochen seltenen frühen Gemälde Marianne von Werefkins. Es gibt nur vier dieser Arbeiten in öffentlichem Besitz – alle vier können Sie übrigens zum Glück vom 12. Mai an in unserer Ausstellung bewundern.

Zudem ist unser Frühwerk das einzige erhaltene Bild weltweit, mit dem man ihren Ruf als „russischer Rembrandt“, den Werefkin sich zwischen 1880 und 1896 in Moskau und Sankt Peterburg erarbeitet haben soll, tatsächlich künstlerisch belegen kann. Es handelt sich um den sogenannten „Mann im Pelz“, das auch schon einmal als „Bauer im Pelz“ betitelt wurde.

Marianne von Werefkin, „Mann im Pelz“, um 1890, Museum Wiesbaden (Foto: Bernd Fickert)

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wird in Europa Rembrandt van Rijn (1606–1669), der die zu schildernden Gegenstände weniger detailliert, eher summarisch in seiner typischen Hell-Dunkel-Malerei zu erfassen suchte, wiederentdeckt. Und der russische Realist Ilja Repin ist der Vermittler dieser dunkeltonigen, atmosphärischen Malerei an seine Schülerin Werefkin, was ihm auch in höchster Perfektion gelingt, wie man an unserem „Mann im Pelz“ sehen kann.

Blick in die Ausstellung „Lebensmenschen“, links unser „Mann im Pelz“, rechts das „Porträt Vera Repin“, 1881, PSM Privatstiftung Schloßmuseum Murnau (Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)

Der Mann wirkt im Bild älter, als er in Realität gewesen sein dürfte, als Werefkin ihn porträtiert. Wir wissen nicht, um wen genau es sich handelt, aber darum geht es der Künstlerin gar nicht. Vielmehr ist es ihr Anliegen, den körperlich stark angegriffenen Mann aus der ärmlicheren Bevölkerungsschicht in seiner inneren Befindlichkeit zu erfassen. Und genau das ist die große Kunst Rembrandts, der Porträts von Menschen geschaffen hat, die heute zwar schon lange tot sind, vor deren Bildern man dennoch das Gefühl hat, dass diese Personen einmal nicht nur aus Fleisch und Blut bestanden und tatsächlich geatmet haben, sondern auch mit einem einzigartigen seelischen Innenleben ausgestattet waren. Und genauso spürt man förmlich, dass es der von Werefkin festgehaltene ‚Bauer‘ mit seiner verfrorenen Nase, dem struppigen Haar und dem ungepflegten weißen Bart, dessen gedankenverlorener Blick abschweift, sehr schwer gehabt hat im Leben – und dies letztlich der Grund dafür sein dürfte, dass er vorzeitig gealtert ist.

Bemerkenswert bleibt aber, dass es trotz der warmtonig-braunen Farbpalette den Betrachter vor dem Original dennoch fast fröstelt – vermutlich ahnt man, dass das heimliche Hauptmotiv des Porträts, der verlauste, speckige, so wunderbar in seiner verbrauchten Stofflichkeit erfasste Pelz war, den man förmlich zu riechen scheint, den man aber keinesfalls berühren möchte, der seine beste, das heißt, wärmende Zeit bereits lange hinter sich hat.

Blick in die Ausstellung „Lebensmenschen“, ganz rechts das von Ilja Repin ausgeführte „Bildnis Marianne Werefkin“ aus dem Jahr 1888 (Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)

Übrigens können Sie in der Ausstellung auch der jungen Frau Ilja Repins begegnen, die Werefkin 1881 porträtiert hat, und auch dem berühmten Bildnis der Marianne von Werefkin, das Ilja Repin von seiner Meisterschülerin nach ihrem Jagdunfall – die Aristokratin ging gerne auf Bärenjagd – gemalt hat. Letzteres gehört ebenfalls zu unserem Bestand – glücklich ist der, der auf eine derart reiche Sammlung zurückgreifen kann!

Herzlich

Ihr

Roman Zieglgänsberger

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