Ausstellungseröffnung „Lebensmenschen“

Einleitende Worte von Dr. Roman Zieglgänsberger

Museumdirektor Dr. Andreas Henning (links) – im Bild mit Ingeborg Salm-Boost und Dr. Gerd Eckelmann aus dem Vorstand des Fördervereins – begrüßte die anwesenden Freunde, die zur Preview ins Museum gekommen waren. (Foto: Elke Fuchs)

Sehr geehrte Damen und Herren,

was unsere Ausstellung betrifft, so möchte ich heute Abend nur zwei Punkte beispielhaft erwähnen, die uns als Ergebnisse wichtig waren:

Erstens eine Sache, die überraschend war für uns – und zweitens eine Frage, die von Beginn des Projekts an im Raum stand und auf die wir, die wir uns dreieinhalb Jahre intensiv mit dem Künstlerpaar Jawlensky/Werefkin beschäftigten, spätestens heute eine Antwort haben wollten.

Selbst für uns war es überraschend, am Ende als Ergebnis festhalten zu müssen, dass sich Jawlensky und Werefkin künstlerisch tatsächlich in Russland, ganz am Anfang ihrer Beziehung, am nächsten standen – und das heißt: in ihrer realistischen, von Ilja Repin geprägten Werkphase (nicht in München, nicht in Murnau und nicht in der Schweiz, und also nicht in den Phasen ihrer Bekanntschaft, in welchen sie normalerweise als eines der großen „Künstlerpaare der Moderne“ gefeiert werden).

Ab 1896, dem Moment, in dem sie in München lebten, aber war es natürlich die prinzipielle Stoßrichtung in Richtung Avantgarde, ihr unbedingter Wille, die Tür in die Moderne hinein aufzustoßen, das 19. Jahrhundert hinter sich zu lassen, was sie vereinte, was sie förmlich miteinander „verklebte“ (und deshalb auch zusammenbleiben ließ trotz aller persönlichen Schwierigkeiten). Aber künstlerisch waren sie in dem soeben erst durch ihren Beitrag aufgegangenen, damals höchst umstrittenen „Baum der Moderne“ – bitte entschuldigen Sie das Bild – wie „Äpfel und Birnen“. Nicht ganz artfremd, aber doch deutlich stets voneinander zu unterscheiden – und vor allem von deutlich unterschiedlichem Geschmack.

War eigens aus der Schweiz angereist: Leihgeber P. Diego Hagmann vor Marianne von Werefkins „Liebeswirbel“, um 1910 (Foto: Elke Fuchs)

Werefkins Werke nach ihrem Wiederbeginn 1906 wirken durch die Bank narrativ, anekdotenreich, symbolistisch. Zumeist herrscht bei ihr, untrennbar verbunden damit, nicht selten eine bedrückende, melancholische Grundstimmung vor. Und sie zeigt sich durchgehend am Zwiespalt von Traum und Wirklichkeit interessiert bzw. lässt in ihren Werken übersteigerte Fiktion und lebensnahe Realität sehr geschickt ineinanderfließen.

Jawlensky hingegen erzählt bewusst nichts auf seinen Bildern, er emotionalisiert, er berührt, er wühlt auf, allein durch sein ungeheures Farbgespür und ist durchwegs am nicht wirklich Greifbaren, an der Seele des Menschen, am Geistigen, an dem, was „uns“ im Kern zusammenhält interessiert.

Das Herausarbeiten, Herausschälen und vor allem das Sich-bewusst-machen dieser beiden eigenständigen starken Künstlerpersönlichkeiten beförderte schließlich die Beantwortung der Frage, die alle Werefkin-Forscher seit dem zweiten Weltkrieg beschäftigte (und jetzt komme ich zu meinem zweiten Punkt): Warum hat Werefkin 1906 nach einer zehnjährigen Pause eigentlich plötzlich wieder begonnen zu malen? Oder genauer: Was nur kann der Anlass für sie gewesen sein, die Pinsel erneut in die Hand zu nehmen und sich wieder durch eigenhändige Bilder äußern, mitteilen zu wollen – etwas was sie ja sehr entschlossen 1896, an und für sich für immer, ad acta gelegt hatte?

Beim Besuch der Ausstellung „Lebensmenschen“: Marianne von Werefkin, Selbstbildnis, 1910 – Alexej von Jawlensky, Selbstbildnis, 1912 (Foto: Heike Schorn)

Aufgehört zu malen hatte Werefkin, um das Talent Jawlenskys zu fördern. Genau genommen wollte sie durch ihn die Moderne Kunst revolutionieren. Ihre Idee war: Er sollte ihr „Werkzeug“, ihr „Sprachrohr“ sein. Zwischen 1901 und 1906, das kann man in ihrem Tagebuch sehr gut verfolgen, wird Werefkin allmählich bewusst, dass ihr Ziel, durch Jawlensky, der natürlich seinen eigenen Kopf hatte, ihre künstlerischen Ambitionen zu verwirklichen, nicht umzusetzen ist.

Bewusst geworden dürfte ihr das nach einem einschneidenden Erlebnis geworden sein. 1904, als es Werefkin sicherlich schon länger in den Fingern gejuckt hatte, sehen beide in München bei dem Komponisten und Kunstsammler Felix vom Rath ihr erstes Gemälde von Paul Gauguin im Original: Beide sind hellauf begeistert. Aber Jawlensky geht nicht auf ihn ein. Etwas, was Werefkin nicht fassen kann. Er ist hingegen mit dem flammenden Pinselstrich von van Gogh beschäftigt, der ja auch keine unbedeutende Person der Kunstgeschichte ist. Sie hatte den Einfluss auf ihn verloren, er verfolgt schon längst seine eigenen künstlerischen Ziele – die Folge: Wenn er nicht das tut, was sie will, muss sie es selbst machen.

Ab diesem Moment verfolgte jeder für sich, aber stets den Rücken des anderen stärkend, das sei hier betont, seinen eigenen Weg in die Moderne.

Das alles deckt sich wieder mit dem Umstand, dass sie sich in Russland menschlich am nächsten standen (es gibt nur ein einziges Foto, aufgenommen 1893 auf dem Landsitz Werefkins, auf dem beide allein zusammen abgebildet sind) – und wenn man es sich nämlich recht überlegt, waren Jawlensky und Werefkin (man kann es kaum glauben) ab 1896 wohl nur sehr, sehr selten alleine zu zweit zusammen: Entweder waren Gäste, Besucher, Kollegen in ihrem „Rosafarbenen Salon“ zu Besuch, Helene Nesnakomoff und ihr bzw. Jawlenskys Sohn Andreas sowieso. Oder, wenn sie verreist sind, war immer die Familie dabei (also wieder Helene und Andreas), oder eben: Sie waren getrennt auf Reisen (etwa mehrmonatige Aufenthalte Werefkins 1913/14 in Litauen oder Jawlenskys in Bordighera 1914). Wir glauben inzwischen, es gab sowohl in München als auch in der Schweiz nur sehr, sehr wenige wirklich vertraute Momente der Zweisamkeit.

Und dennoch waren sie füreinander die entscheidenden Fixpunkte, denn in jedem Moment ihrer nur schwer einzuschätzenden Beziehung – jeder dem einen für den anderen und umgekehrt – stets der wesentliche Bezugspunkt, vielleicht sogar auch ein im doppelten Wortsinn „Fluchtpunkt“.

Was sie am Ende 29 Jahre zusammenhielt, oder besser vielleicht anders formuliert, ineinander „verkeilte“ und der Klebstoff ihrer von Höhe- wie Tiefpunkten durchzogenen Beziehung war, war allein die große künstlerische Reibung, die sie elektrisierte, die die Spannung aufrechterhielt, um sich und ihre Malerei vorantreiben zu können. Und allein darum ging es doch! Deshalb ist man doch weg aus Russland.

Roman Zieglgänsberger
Kurator der Ausstellung

[Es gilt das gesprochene Wort.]

Kurator Dr. Roman Zieglgänsberger in der Ausstellung „Lebensmenschen“ (Foto: Elke Fuchs)

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