Förderfreude
Die „Kleine Malschule“ (1996–1999)
Ein Rückblick von Renate Petzinger und ein Gespräch mit Antje Biber
Im Gründungsjahr der Freunde des Museums Wiesbaden, 1994, hatte beim Museum Wiesbaden die Sanierung der Kunstsammlung begonnen. Zwei Jahre später, kurz vor Beginn der Wiedereröffnung, machten der damalige Direktor Volker Rattemeyer und ich uns Gedanken darüber, wie Bildung und Vermittlung von Kunst im Museum Wiesbaden künftig aussehen könnte. Aus dem Kreis des Freunde-Vereins kam die Anregung, Kontakt zur erfolgreichen Kunstpädagogin Antje Biber aufzunehmen. Mit Unterstützung des Förderkreises lud Frau Biber zwischen 1996 und 1999 Kinder im Alter von 5 bis 12 Jahren jeweils an einem Wochenende im Monat für drei Stunden zur „Kleinen Malschule“ in das Museum ein.
Renate Petzinger (RP): Liebe Frau Biber, was ist Ihre schönste Erinnerung an die Kleine Malschule?
Antje Biber (AB): Das Schönste für mich war die fast greifbare Kreativität, die in der Luft hing. Diese unglaubliche Atmosphäre, die entsteht, wenn Kinder aus ganz unterschiedlichen Altersstufen gemeinsam durchs Museum gehen, über Bilder sprechen, sich auf den Boden setzen, einzelne Bilder genauer anschauen, vielleicht sogar zeichnen und hinterher das, was sie gesehen haben, noch vor Ort in selbst geschaffene Bilder fassen können. Gereizt hat mich aber auch, mit Kindern zu arbeiten, die wirklich Spaß an künstlerischer Arbeit haben.
RP: Welche Kunstwerke kamen Ihrer Arbeit im Museum ganz besonders entgegen?
AB: Am besten gefielen uns Jawlensky und die Expressionisten. Das sind Bilder, die gerade für jüngere Kinder ganz unmittelbar fassbar sind. Da geht es direkt um Farbe, um Ausdruck und Linie und darum, was macht das Bild mit mir. So etwas ist gerade bei jüngeren Kindern sehr wirkungsvoll. Denn bis zu einem gewissen Alter kennen sie die eingeschliffenen Gegenstandsfarben noch nicht – ein Baum ist grün, der Stamm ist braun und der Himmel ist blau. Bei den Expressionisten durfte der Himmel lila sein oder ein Baum gelb.
Oder nehmen wir Mark Rothko. Bei ihm geht es um die Erfahrung, dass Farbe auch Tiefe sein kann. Bei Rothko konnten wir gemeinsam lernen, was die Farbe mit einem tut, was sie in uns auslöst, ob sie kalt oder warm ist, ob wir sie schön finden und wenn ja, warum.
RP: Gab es einen besonderen Grund, sich auf Malerei zu konzentrieren?
AB: Die Malerei stand im Mittelpunkt, weil sie eine gemeinsame Erfahrung von Farbe, Form und Komposition bietet und weil sie Kindern in diesem Alter ermöglicht, daraus unmittelbar etwas Eigenes zu entwickeln. Aber es gab auch einen praktischen Grund: Die kleine Malschule war jedesmal eine in sich abgeschlossene Einheit von drei Stunden. Am Ende hatten wir immer ein Ergebnis, das die Kinder mitnehmen konnten.
RP: Wie kann man sich einen Samstagnachmittgag in der Kleinen Malschule vorstellen?
AB: Zuerst waren wir immer in den Ausstellungsräumen und haben bestimmte Bilder und Themen, wie Farbe, Form oder Komposition besprochen. Direkt danach konnten die Kinder das, was sie gesehen und gelernt haben, selber umsetzen. Dazu gingen wir in den ehemaligen Bibliotheksraum, dessen Wände getäfelt waren und wo wir dementsprechend vorsichtig mit der Farbe sein mussten. Es war zwar ein Provisorium – aber eines, in dem die Museumsatmosphäre auch nach dem Besuch der Bilder noch wunderbar spürbar war.
RP: Und warum war der unmittelbare Zusammenhang von Museumsbesuch und Selbermachen am gleichen Ort so wichtig?
AB: Kunsterfahrung im Museum ist etwas völlig anderes als im Klassenzimmer. Das Gefühl des Museumsraumes vermittelt ein viel eindrucksvolleres Erlebnis und gleichzeitig eine Ernsthaftigkeit, mit der Kunst dort auch und gerade von Kindern wahrgenommen wird. Die persönliche Wahrnehmung und das Gelernte dann kreativ direkt vor Ort umzusetzen, verstärkte noch das beinahe ehrfürchtige Gefühl des „Kunstraumes“. Denn die Unmittelbarkeit der künstlerischen, kreativen Erfahrung, die ich entwickeln kann, wenn das Bild von einem Künstler noch in meinem Kopf ist, ist unersetzlich. Aus einem Bild, vor dem ich eine Stunde gesessen habe und mich damit intensiv beschäftigt habe, kann ich etwas ganz anderes entwickeln, wenn ich an dieser Inspirationsquelle zeitlich und örtlich direkt weiterspinnen darf – und das geht nur im Museum.
RP: Liebe Frau Biber, haben Sie herzlichen Dank für diese wunderbaren Erinnerungen an die kleine Malschule. 1999 sind sie beruflich neue Wege gegangen. Aber auch wenn Sie sich inzwischen um die Nachhaltigkeit von finanziellem Investment kümmern – der Kunst und ihrem Erleben in der Gemeinschaft von Gleichgesinnten haben Sie offensichtlich nie den Rücken gekehrt.
Die Fragen stellte Renate Petzinger