Frauenpower für die Straße

Plakatkunst im Jugendstil

Knallrote Lippen, ein verführerisches Dekolleté und laszive Posen: Die Plakatkunst des Jugendstils ist ein Fanal für die Emanzipation und gleichzeitig eine große Bühne für die moderne Frau. Sie ist selbstbewusst, modisch gekleidet und verdient ihren eigenen Lebensunterhalt. Man sieht sie in dieser Ausstellung „Plakatfrauen. Frauenplakate“ als Grande Dame fürstlich dinieren, schwungvoll den Rock heben und in rasanter Abfahrt auf dem Schlitten.

Der neue Schwung im Plakat (Foto: Martina Caroline Conrad)

Gleichzeitig sind Frauen um 1900 aber nicht nur Modell, sondern haben ihren ganz eigenen Kopf und gestalten ihre Plakate selbst. Da ist z. B. Änne Koken, die eines der ersten Firmenlogos entwirft. Für das Feinkostunternehmen Appel erfindet sie einen knallroten Hummer, der liebevoll eine Flasche Mayonnaise umarmt. Bis heute ist der Hummer das Markenzeichen von Appel geblieben.

Änne Koken, Appels Delikatessen überall gegessen, um 1913, Plakatsammlung Maximilian Karagöz (Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)

Änne Koken wurde 1885 in Hannover als Tochter eines Malers geboren. Nach dem Besuch einer privaten Schule für Malerei wird sie schon in jungen Jahren künstlerische Mitarbeiterin und später Mitglied des künstlerischen Beirats beim Unternehmen Bahlsen. Änne Koken entwirft zahlreiche Plakate für Bahlsen, die sowohl das Verwaltungsgebäude als auch Produkte der Firma zeigen. Gleichzeitig malt die Künstlerin Landschaftsbilder und Stillleben. 1912 erweitert Änne Koken ihr Arbeitsfeld, macht Entwürfe für Kleidung, Hüte und Textilkunst, die dann regelmäßig in der Zeitschrift Neue Frauenkleidung und Frauenkultur veröffentlicht wurden. Die Künstlerin ist ein wichtiges Mitglied der damaligen Kunstszene. So werden ihre Arbeiten 1912 in der Großen Ausstellung in Hannover, 1914 auf der Deutschen Werkbundausstellung in Köln gezeigt 1918 war sie an der ersten Ausstellung der Hannoverschen Sezession beteiligt. Für die damalige Zeit sehr ungewöhnlich wird Änne Koken als Beisitzerin in den Vorstand des Kestner-Museums gewählt. Die Künstlerin ist öffentlich, auch politisch, überaus aktiv, setzt sich sozial für Frauenrechte ein. Änne Koken, die im Alter von 33 Jahren an Lungenentzündung stirbt, ist heute fast unbekannt. Zu ihren Lebzeiten war sie allerdings eine überaus geschätzte Künstlerin, so schreibt Christof Spengemann 1919:

„Das trotz der Kürze ihres Lebens umfangreiche Schaffen von Änne Koken auf so vielen verschiedenen Gebieten zeigt deutlich den allgemeinen Wandel der künstlerischen Betätigung um 1900: von der traditionellen Landschafts- und Stilllebenmalerei, der ‚wahren Kunst‘, zum Entwerfen von Plakaten, Reklame und Verpackungen für Industriewaren.“ *

Die Karriere von Änne Koken ist umso bemerkenswerter, da sie ja keine Akademie besuchen konnte – das war Frauen damals noch untersagt. Allein private Malschulen oder Unterricht im Atelier von Malern war dem weiblichen Geschlecht erlaubt.

Änne Koken ist nur eine von vielen Künstlerinnen, die das Medium der Plakatkunst nutzte, um im Jugendstil in die Öffentlichkeit zu treten.

Frauen wurde allgemein zu dieser Zeit der private Bereich zugewiesen. Sie durften Handarbeiten, Klavierspielen und Zeichnen. Doch dann kam z.B. Rosa Bruntsch und zeigte eine elegante Dame mit Hut, die Arm in Arm mit einem Galan Rollschuh fuhr – das Plakat für eine Rollschuhbahn in Karlsruhe. Dore Mönkemeyer-Corty machte Reklame für Zigaretten, auch das Rauchen war eine Errungenschaft der modernen Frau. Und Käthe Kollwitz prangerte den Krieg und seine Folgen an.

Käthe Kollwitz kämpft mit Plakatkunst. (Foto: Martina Caroline Conrad)

Der Bedarf an Plakaten war groß vor rund 130 Jahren. Das lag zum einen daran, dass ein gewisser Buchdrucker Ernst Litfaß 1854 in Berlin eine runde Säule als Werbung für den Zirkus Renz aufgestellt hatte. Die Litfaß-Säule wurde der Werbeträger auf der Straße. Zum anderen aber warfen Fabriken serielle Produkte en gros aus, und für diese wurden Massen von Abnehmern gesucht.

Die moderne Frau und die Mode (Foto: Martina Caroline Conrad)

Also machte man Reklame für Hüte, Handschuhe und Schmuck. Rotkäppchen-Sekt und Fahrräder suchten Käufer, Alleskleber wurde ebenso wie Bleichmittel für die Wäsche angepriesen. An die 300 Grafikerinnen soll es vor 1900 gegeben haben. Aber das ist nur die Spitze des Eisbergs, tausende von Männern tummelten sich daneben in diesem lukrativen Bereich. Große Künstler wie Franz von Stuck oder Gustav Klimt hingen mit ihren Plakaten neben neuen Stars der Werbung wie Ernst Deutsch-Dryden.

Sammler Maximilian Karagöz und das Skandalblatt (Foto: Martina Caroline Conrad)

Ernst Deutsch-Dryden wusste, wie man Aufmerksamkeit erregt. 1912 gestaltete er für Salamander ein Blatt, das nicht nur aufgrund der aggressiven roten Farbe für Furore sorgte. Viel pikanter war, dass erstmal nackte Damenknöchel die Salamander-Schuhe zierten, einfach nur skandalös! Doch dieses Plakat steht auch für die neue Rolle der Frau in der Gesellschaft, die zunehmend von fortschrittlichen Männern akzeptiert wurde. Und das war Ernst Deutsch-Dryden mit Sicherheit. Der Österreicher gilt als einer der bedeutendsten Vertreter der Reklamekunst, arbeitete ab 1911 in Berlin, und seine Plakate waren mit Sicherheit Highlights der dortigen Litfaß-Säulen. Ab 1926 entwarf Deutsch-Dryden auch für Coco Chanel in Paris und arbeitete als Grafikdesigner für Kunden und Produkte wie „Bugatti“, „Cinzano“, „Canadian Club Whiskey“ oder auch das Parfum „Eau de Vie“.

Doppelter Lebensgenuss durch Frauen und Zigaretten (Foto: Martina Caroline Conrad)

Nicht minder berühmt und populär war Ludwig Hohlwein, 1873 in Wiesbaden geboren. Der studierte Architekt designte nicht nur Luxusdampfer und Hotels, sondern vor allem Luxusgüter. 1905 war er 3. Preisträger im Preisausschreiben um Reklameentwürfe für die Gemeinschaftswerbung des Schokoladenfabrikanten Ludwig Stollwerck und des Sektherstellers Otto Henkell. Es darf aber nicht verschwiegen werden, dass Ludwig Hohlwein auch schon vor Hitlers Machtergreifung für die NSDAP arbeitete und in der Zeit des Nationalsozialismus das visuelle Erscheinungsbild des Dritten Reiches prägte. Seiner Heimatstadt Wiesbaden hinterließ Hohlwein indes eine ganze Reihe hochwertiger Werbeplakate und Produktdesigns. Die Kurstadt galt damals als Hochburg der Zigarettenherstellung, ein breites und gut bezahltes Arbeitsfeld für Grafiker. Hohlwein war der Star der Firma Menes, als Dank benannte sie eine Zigarettensorte nach dem kreativen Aushängeschild.

Eine Hommage an Ludwig Hohlwein (Foto: Martina Caroline Conrad)

Vielleicht sind Sie verblüfft, wenn Sie diese neue Sonderschau „Plakatfrauen. Frauenplakate“ besuchen – alles so eng hier! Dicht an dicht hängen die Großformate nebeneinander, liegen Entwürfe und Zigarettendosen in den Vitrinen, konkurrieren mit ihren leuchtenden knalligen Farben und einfachen Formen um die Aufmerksamkeit. Aber diese Inszenierung von Kurator Peter Forster ist ein Spiegel der Zeit um 1900, als alles auf der Straße laut und turbulent war, durchsetzt von Litfaß-Säulen und wandelnden Plakaten. Ein Glück, dass diese Zeugnisse früher Reklame bis heute erhalten sind. Sie erzählen Geschichten der neuen Industrialisierung und seriellen Produktion – egal ob es dabei um Schuhe, Zigaretten, Champagner oder eben Plakate geht.

Walter Schnackenberg, Lena Amsel, 1918, Druck: Kunstanstalt Oscar Conseé, München, Plakatsammlung Maximilian Karagöz © VG Bild-Kunst, Bonn 2024 (Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)

Auch gäbe noch viele Geschichten von vergessenen Grafikerinnen und frühen Designstars zu erzählen, aber leider sind bisher zu wenige bekannt. Erst nach und nach werden Namen und Gesichter zu den tollen Reklamewerken erforscht. Anteil haben daran Sammler wie der Wiesbadener Privatmann Maximilian Karagöz. Ihm verdankt das Museum Wiesbaden jetzt eine breit gefächerte Schau mit 70 Plakaten von 1880 bis 1930. Ein Gewinn in gleich mehrfacher Hinsicht: Die Ausstellung eröffnet ein neu geschaffenes Kabinett für den Jugendstil als Erweiterung der Dauerpräsentation der Sammlung Nees, sie gibt erstmals Einblick in das faszinierende Medium der Jugendstil-Plakatkunst und macht ein wunderschönes Treppenhaus im Museum wieder zugänglich.

Ein schwungvolles Treppenhaus (Foto: Martina Caroline Conrad)

1905 als Zugang zum Verwaltungstrakt erbaut, stammt diese formschöne Schneckenarchitektur aus der gleichen Zeit wie die Plakate, die man dann im zweiten Stockwerk bewundern kann. Und bewundern muss man sie – sind es doch Kunstwerke, die von der Emanzipation der Frau auf dem Plakat und durch das Plakat künden.

Martina Caroline Conrad

 

* Christof Spengemann: Änne Koken. In: Neue Frauenkleidung und Frauenkultur, 15. Jahrgang 1919, Heft 5, S. 14 f.

 

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