Gesichter des Museums
Folge 13: Miriam Merz – Provenienzforscherin
Eine moralische Verpflichtung, die nie verjährt
Ein heißer Sommertag. Ein Treffen im Innenhof des Museums Wiesbaden zwischen blühenden Pflanzen, die Miriam Merz mit einigen Kolleginnen und Kollegen pflegt. Die Provenienzforscherin ist für die drei hessischen Landesmuseen zuständig. Ein weites Feld ist zu bearbeiten – mit viel Aktenstudium. Detektivarbeit in Sachen Raubkunst.
Frau Merz, seit Anfang 2015 gibt es die Zentrale Stelle für Provenienzforschung in Hessen mit Sitz im Museum Wiesbaden. Wie weit sind Sie bisher mit den Überprüfungen in Darmstadt, Kassel und der Landeshauptstadt gekommen? Wie viele Werke stehen denn auf der Verdachtsliste?
Das kann man nicht so einfach beantworten. Wenn es Verdachtsmomente gibt, dass es sich um Raubkunst handeln könnte, wird das ja nicht publiziert. Wichtig zu wissen ist, dass wir bisher ausschließlich Gemälde-Erwerbungen aus der Zeit ab 1933 untersucht haben.
Zuletzt haben Sie sich mit dem Fall Flersheim und dem Bild „Prozession im Gebirge“ von Adolf Hölzel befasst. Ein Werk, das nun den in Amerika lebenden Erben zurückgeben wird und noch bis zum 31. August im Museum zu sehen ist. Über diese Forschungsarbeit haben Sie einen spannenden MuWi-Blog geschrieben, zu dem wir an dieser Stelle gerne verlinken. Aber sagen Sie doch bitte kurz, was das Besondere an diesem Fall ist.
Als das Museum vom Verein zur Unterstützung der Bildenden Kunst die Sammlung der Hanna Bekker vom Rath als Dauerleihgabe übernahm – das war in den 80er Jahren – ging man von der Bestandsaufnahme im Katalog aus. Da stand das Jahr 1924. Vermutlich hat sich die Sammlerin nicht genau erinnert, wann sie das Werk ersteigerte. Als es auf der Plattform „Lost Art“ eine Suchmeldung gab, die auf das Hölzel-Bild passte, habe ich nach Überprüfungen die Objektidentität festgestellt.
Meinen Sie, dass die Bevölkerung ausreichend über das Thema Restitution und die tiefgehenden Recherchen im Museum Wiesbaden informiert ist?
Ich denke, spätestens seit dem Fall Gurlitt ist das Provenienz-Thema einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Und es gab in den vergangenen 20 Jahren immer wieder Fälle, die Raubkunst in das Bewusstsein gebracht haben müssten. Sicher könnte man noch mehr über die Arbeit an die Öffentlichkeit bringen. Wichtig ist auch, dass die jungen Menschen sich mit der Thematik befassen. Dass Schüler ins Museum kommen, dass sie sich mit der Kulturpolitik und ihren Folgen beschäftigen.
Also, da ist sicher noch Luft nach oben? Für die Freunde des Museums könnten Sie doch mal in einem unserer nächsten Programme einen Vortrag halten.
Ja, das kann ich gerne tun. Ein guter Web-Auftritt zu unserer Arbeit in der Provenienzforschung wäre sicher auch hilfreich, er ist aktuell in Vorbereitung.
Sagen Sie bitte auch ein Wort zu den Washingtoner Prinzipien von 1998 und zu der Erklärung von Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden aus dem Jahr 1999!
Die Vereinbarung wurde 1998 von 44 Ländern formuliert. Die Umsetzung der Washingtoner Prinzipien bedeutet vor allem Erforschen und Transparentmachen der Provenienzen, dies als Ausdruck einer besonderen moralischen Verpflichtung. Die Berliner Erklärung von Bund und Gemeinden folgte, gerechte und faire Lösungen sollen sichergestellt werden. Es galt und gilt noch viel aufzuarbeiten, zumal sich nach dem Mauerfall ja zahlreiche Archive geöffnet hatten, es neue Möglichkeiten gab. Hinter den geraubten Kulturgütern stehen die Schicksale der beraubten Menschen. Insofern geht es bei der Provenienzforschung auch um die Anerkennung der Opfer-Biografien, um die Anerkennung des Leids und des Unrechts, dem Verfolgte des NS-Regimes ausgesetzt waren.
Eine Aufgabe, die sicher noch lange nicht beendet ist.
Aus der Singularität des Holocaust leitet sich für Deutschland eine moralische Verpflichtung ab, die niemals verjähren wird. Indem die Provenienzforschung über die reine Objektforschung hinaus auch Einzelheiten der Biografien verfolgter Menschen ermittelt und damit die aktive Teilhabe jüdischer Mitbürger am Kunst- und Kulturleben in Deutschland sichtbar macht, leistet sie einen wichtigen Beitrag zur Erinnerungsarbeit. Darin liegt langfristig vielleicht ihre wichtigste Funktion: in und an den Sammlungen die Spuren des Unrechts erkennbar machen, die ihnen eingeschrieben sind.
Es ist es ja schon bemerkenswert, dass vom Land Hessen die Zentrale Stelle für Provenienzforschung eingerichtet wurde …
Ja, so ist es. Wir stehen, was die Provenienzforschung zu musealen Sammlungsbeständen anbelangt, noch relativ am Anfang. Eigentlich kann erst seit dem Bereitstellen spezifischer staatlicher Forschungsmittel und der Einrichtung der Arbeitsstelle für Provenienzforschung in 2008 von einer systematischen Erforschung der Bestände öffentlicher Sammlungen gesprochen werden. Drei Projekte konnten am Museum Wiesbaden zwischen 2009 und 2014 realisiert werden. Die Erfahrungen der vergangenen 20 Jahre haben gezeigt, dass Provenienzforschung in den Museen nicht „nebenher“ zu machen und für nachhaltige Forschung die Einrichtung fester Wissenschaftsstellen eine wichtige Voraussetzung ist.
Also: Viel Arbeit liegt vor ihnen und einer zweiten Kraft, die bis zum Frühjahr gefunden sein soll.
Das ist so. Nach der systematischen Erforschung der Gemälde-Bestände werden sukzessive weitere Gattungen folgen. Parallel dazu prüfen wir auch im Vorfeld von Neuerwerbungen die jeweilige Herkunft des Kulturgutes.
Was sagen Sie den Menschen, die meinen, es müsste doch bald mal mit der Vergangenheit abgeschlossen werden?
Es ist so lange nicht gut, bis alles geklärt ist. Museen sollen sich transparent und nicht ein zweites Mal schuldig machen. Ein Museum muss seine Bestände und die Herkunft kennen. Das ist auch eine gesellschaftliche Frage.
Für viel Aufsehen weltweit und zu finanziellem Engagement der interessierten Gesellschaft hat ja 2014 die Aktion „Wiesbaden schafft die Wende!“ geführt. Erinnern Sie doch nochmal daran, wie das mit dem Gemälde „Die Labung“ von Hans von Marées lief. Hier darf ich übrigens erwähnen, dass der Verein der Freunde des Museums beim Rückkauf mitgeholfen hat.
Das Gemälde von Hans von Marées ist 2014 wie auch „Der Gang nach Bethlehem“ von Fritz von Uhde 2017 restituiert worden. Beide Werke konnten im Anschluss daran für die Sammlung des Museums Wiesbaden von den Erben erworben werden. In die Sammlung waren sie 1980 gelangt, sie kamen von einem Wiesbadener Sammlerpaar, das sie in Berlin ersteigert hatte. Im Fall Flersheim wollten die Erben dem Museum das Hölzel-Bild nicht verkaufen.
Vermutlich wissen auch nicht viele Wiesbadener etwas über die unrühmliche Rolle des früheren Direktors Hermann Voss, der ja parallel zu seinem Leitungsjob in Wiesbaden Sonderbeauftragter für das geplante „Führermuseum“ wurde. Wie viele schon untersuchte Raubkunst-Geschichten haben denn mit ihm zu tun?
Die komplexe Rolle von Hermann Voss als Kunsthistoriker und Museumsmann wurde in der von Kathrin Iselt 2009 vorgelegten Dissertation umfassend untersucht. Von 1935 bis 1945 war Voss Direktor der Städtischen Gemäldegalerie Wiesbaden sowie von 1943 bis 1945 zusätzlich Direktor in Dresden sowie Sonderbeauftragter Hitlers für das „Führermuseum“ in Linz. Von 2010 an hat man begonnen, den überwiegenden Teil der von ihm während seiner Zeit als Direktor erworbenen Kunstwerke (rund 220) auf mögliche NS-Raubkunst zu überprüfen. Zunächst im Rahmen von Drittmittel-Projekten, seit 2015 dann in der Zentralen Stelle für Provenienzforschung. Seit 2007 ist es aus diesem Konvolut zu insgesamt sechs Restitutionen gekommen.
Voss hat, so formulierte es mal Kustos Peter Forster, ein schweres Erbe hinterlassen …
An seiner Person zeigt sich, wie wichtig neben der Objektrecherche u. a. auch die historisch-biografischen Forschungen sind, also die zu dem Museumspersonal und deren Netzwerken. Für die während der NS-Zeit amtierenden Museumsdirektoren des Landesmuseums in Darmstadt (August Feigel) und der Gemäldegalerie Kassel (Kurt Luthmer) stehen übrigens ähnlich fundierte Studien wie zu Hermann Voss noch aus.
Hatte man sich nach Kriegsende zunächst gar nicht für das Thema interessiert?
Doch, kurz nach Kriegsende 1945 restituierte die Stadt Wiesbaden, damals Trägerin des Museums, Kunstwerke, die infolge von Hermann Voss’ Tätigkeit als „Sachverständiger für die Begutachtung von Kulturgut aus jüdischem Besitz“ in die Sammlung der Gemäldegalerie gelangt waren.
Konnte man bei Erwerbungen aus dem besagten Zeitraum auch Raubkunst klar ausschließen?
Ja, bei rund 30 Erwerbungen konnte ein verfolgungsbedingter Entzug ausgeschlossen werden. Für den überwiegenden Teil der Werke bestehen auch nach den Recherchen noch Lücken in der Provenienz.
Können Sie uns bitte mal an einem Beispiel Ihre Vorgehensweise erörtern?
Es ist ganz viel Archivarbeit. Es sind die Unterlagen im jeweiligen Haus zu sichten und die Hinweise an den Objekten. Zum Beispiel Etiketten. Die Kreise werden immer größer. Es geht um Ausstellungsbeteiligungen. Und man braucht enge Zusammenarbeit unter den Provenienzforscherinnen. Es sind in erster Linie Frauen, die sich um diese Aufgaben kümmern.
Und wie ist die Zusammenarbeit im Museum hier und wie mit den anderen beiden Landesmuseen?
Die ist gut. Es gibt in allen Provenienzbeauftragte für die Kunstsammlungen. Wichtig ist auch der Kontakt mit den Restauratorinnen. Sie können oft wichtige Hinweise geben.
Haben Sie auch oft mit dem Verein zur Förderung der Bildenden Kunst zu tun?
Eher indirekt. Die Kontakte laufen über die Museumsleitung, der jeweilige Direktor ist im Vorstand dieses Vereins. Auch beim Hölzel-Gemälde ging der Auftrag über den Direktor. Der Verein, von dem die Bekker-vom Rath-Sammlung als Dauerleihgabe zu uns kam, fühlt sich den Washingtoner Prinzipien verpflichtet. Es gibt Beispiele in Deutschland, wo das nicht so gut läuft.
Gibt es auch Privatanfragen bei Ihnen?
Hin und wieder. Dann versuche ich, Hilfestellung zu geben. Manchmal kommen auch Anfragen aus dem Ausland, Fragen zur Familienforschung zum Beispiel.
Frau Merz, es könnte sicher noch vieles über die Provenienzforschung gesagt werden. Aber wenden wir uns jetzt mal Ihrer Person zu. Welches ist Ihnen im Haus der Kunst und Natur die liebste Abteilung?
Ich bin schon gerne in der zeitgenössischen Kunst unterwegs. Und hier liebe ich besonders den Saal mit Micha Ullmans Werk „NachTag“.
Wir hatten kürzlich auf unserer Website die Reihe „Sehnsuchtsobjekte“. Haben Sie auch eines im Museum Wiesbaden?
Eines meiner Herzensobjekte ist das Gemälde „In den Rosen“ von Dora Hitz. Mit ihm habe ich mich im Zuge der Provenienzforschung intensiv beschäftigt. Es zeigt eine junge Frau inmitten eines Rosenstrauchs. Sie ist dabei einen Strauß zusammenzustellen und scheint wie versunken in den Duft und in die Schönheit der Rosen. Dora Hitz hat die junge Frau und den Rosenbusch als eine harmonische Einheit dargestellt. Die Farbtöne der Rosenblüten finden sich wieder im Teint der jungen Frau, die gerade den Duft einer Rosenblüte genießt. Die Farbigkeit ihres Kleides geht über in die Blätter und das Gehölz der Rosen. Ein wunderbares Sommerbild!
Das ist eine sehr schöne Beschreibung und macht Lust, das Gemälde zu betrachten. Aber zunächst noch zwei Fragen. Die Erste: Wenn Sie einen Wunsch für das Museum Wiesbaden frei hätten, wie würde der lauten?
Weiterhin offene und neugierige Besucherinnen und Besucher. Und dass diese zukünftig die Gelegenheit haben werden, mehr über die Biografie der Objekte und über die Sammlungsgeschichte(n) zu erfahren.
Sie sind, worüber wir uns sehr freuen, Mitglied im Freunde-Verein. Haben Sie vielleicht eine Anregung für uns, was wir unbedingt mal im Programm unseren fast 2000 Mitgliedern anbieten sollten?
Ich finde das Angebot gut. Aber der Förderkreis könnte vielleicht noch mehr relevante Diskussionen anstoßen, natürlich im Bereich der Themen, denen sich der Verein qua Satzung widmet. So eben durchaus auch mal der Provenienzforschung. Da haben Sie mich ja schon zu einem Abend mit den Freunden eingeladen.
Das Gespräch führte Ingeborg Salm-Boost