Gesichter des Museums

Folge 4: Dr. Hannes Lerp, Assistenz-Kurator der Naturhistorischen Sammlungen

Heute, liebe Freunde und Freundinnen des Museums, möchten wir Ihnen als Lektüre ein „Doppelinterview“ anbieten: Einerseits lesen Sie in unserer Serie „Gesichter des Museums“ über Hannes Lerp, im Anschluss gehen wir mit Dr. Lerp, Biologe und Hauptkurator der Ausstellung „Pilze – Nahrung, Gift und Mythen“, auf Exkursion. Ingeborg Salm-Boost und Martina Mulcahy haben sich mit ihm getroffen. 


Der Mann mit der markanten Frisur und dem offenen Lächeln strahlt es deutlich aus: Er liebt seine Arbeit in der Abteilung Naturhistorische Sammlungen des Museums Wiesbaden sehr und will seine Begeisterung für die Welt der Biologie weitergeben. Hannes Lerp (33) ist Hauptkurator der Ausstellung  „Pilze – Nahrung, Gift und Mythen“, die bis zum 5. August des nächsten Jahres die Besucher verblüffen wird. Der promovierte Biologe stammt aus Ilmenau in Thüringen und hat in Leipzig studiert. Seinen Doktortitel erwarb er als Stipendiat an der-Goethe-Universität in Frankfurt am Main mit einer Dissertation über arabische Gazellen. Bevor er 2014 bis 2016 ein Volontariat im Museum Wiesbaden absolvierte, war Hannes Lerp auch in Mainz am der Gutenberg-Universität tätig und hat „an Ameisen“ geforscht. Zur Zeit hat der Biologe und Hobby-Pilzsammler eine befristete Stelle als Assistenz-Kurator in den Naturhistorischen Sammlungen. Der junge Mitarbeiter von Fritz Geller-Grimm verabschiedet sich im Oktober in Elternzeit. Und kann davon ausgehen, dass er im Februar 2018 wieder einsteigen und sich der Digitalisierung der Sammlungen annehmen kann.   

Herr Dr. Lerp, natürlich wollen wir mit Ihnen auch über die Pilze reden. Doch zunächst einmal möchten wir den Mann hinter den Pilzen ein wenig kennenlernen. War Biologie schon in der Schule Ihr Lieblingsfach?

Ja, Bio war immer mein Favorit. Ich wollte auch unbedingt in diese Richtung studieren, ergründen, wie das Leben funktioniert. Alle meinten, Biologie zu studieren, sei nicht so zukunftsträchtig. Ich habe es nie bereut.

Kommen Sie aus einer Naturwissenschaftler-Familie?

Ja, aber meine Eltern waren beide in der Chemie zu Hause.

Wann wussten Sie, dass die Arbeit in einem Museum für Sie das Richtige sein würde?

Das kam nicht so schnell, zunächst fand ich Forschung interessant. Dann wurde mir klar: Die Forschung baut auf Sammlungen auf. Ich habe begriffen, wie wichtig Museen sind. Und wollte gerne dort arbeiten.

Sie bekamen die Möglichkeit zu einem Volontariat im Reich von Kurator Fritz Geller-Grimm…

Ja, und im Bewerbungsgespräch wurde ich gleich gefragt, ob ich mich mit Pilzen auskenne. Ich habe „Ja“ gesagt. Na ja, so viel wie heute wusste ich damals noch nicht…

Was war die erste Ausstellung, an der Sie mitarbeiten durften?

„Fliegen, Mücken, Bzzzz“. Ich habe den Bereich molekulare Biologie bearbeitet.

Was fasziniert Sie an Ihrem Arbeitsfeld?

Die Vielseitigkeit der Sammlungen und wie weit sie zurückgreifen. Die Ausstellung über Maria Sibylla Merians Werk war zum Beispiel eine tolle Erfahrung, man entdeckt so viel Neues.

Und was würden Sie nach der großen Pilz-Ausstellung mal gerne kuratieren?

Eigentlich gerne eine Ausstellung über afrikanische Antilopen. Das würde mich sehr reizen, ist aber nicht so einfach. Da haben wir nicht viele Präparate.

Man hat den Eindruck, dass in den Naturwissenschaftlichen Abteilungen ein enges Zusammenstehen und große Begeisterungsfähigkeit herrschen, trifft das zu?

Absolut. Man arbeitet mit Menschen, die für ihre Sache Feuer und Flamme sind. Das wurde zum Beispiel auch beim Thema „Jäger und Sammler“ sehr deutlich. Da war ich als Fachfremder gerne dabei.

Die Naturwissenschaftler bieten ja eine Menge für junge Menschen. Wie sehen Sie das Interesse von Schulen?

Es hängt von der jeweiligen Ausstellung ab. Beim „Erdreich“ war durchaus starkes Interesse festzustellen. Bei den Pilzen rechnen wir auch mit gutem Zulauf. Der Wald und die Ökosysteme sind in den Lehrplänen.

Und wie beurteilen Sie den eintrittsfreien Samstag?

Der wird richtig gut angenommen. Auch unsere Führungen im naturwissenschaftlichen Bereich. Wir bemühen uns sehr, unsere Themen so zu platzieren, dass sie spannend sind.

Herr Dr. Lerp, welche Hobbys haben Sie denn?

Ich bin gerne draußen und habe Spaß an Geocaching, also an Schatzsuche in der Natur. Und dann mache ich schon seit 13 Jahren per E-Mail bei einem Rollenspiel mit.

Rollenspiel?

Ja, es geht um die Star Wars-Geschichte, die ich mit einem Kreis von Gleichgesinnten immer weiterschreibe. Sozusagen eine unendliche Geschichte. Das habe ich schon zur Abi-Zeit begonnen.

Gehen wir nochmal ins Museum, haben Sie auch guten Kontakt zu der anderen Sparte im Haus, zur Kunst?

Ja, ich habe ein gutes Verhältnis zu den Kuratoren und ihren Mitarbeitern, und zu den Restauratoren. Ab und zu bekomme ich auch Hilfe von diesen.

Sie haben die Zeiten, in denen sich Ihre Sparte zu Recht vernachlässigt fühlte, nicht miterlebt …

Das stimmt, ich bin nicht vorbelastet.

Besuchen Sie denn auch Kunstausstellungen?

Natürlich. Nolde habe ich mir angeschaut. Und auch die Serra-Arbeiten.

Haben Sie ein Lieblingskunstwerk im Museum Wiesbaden?

Wenn ich darüber nachdenke, die Arbeit von Katharina Grosse „Sieben Stunden, Acht Stimmen, Drei Bäume“ gefällt mir sehr gut.

Bevor Martina Mulcahy mit Ihnen die Pilz-Exkursion startet, haben Sie noch einen Wunsch fürs Museum frei.

Es sollten noch mehr Menschen in die Naturhistorischen Sammlungen kommen.


Pilze sind überall: Als Belag auf der Pizza oder als delikater Trüffel, häufig auch von uns unbemerkt, manche schädlich, andere nützlich, mal sind sie mikroskopisch klein, mal das größte Lebewesen der Welt. Bei all dieser Vielfältigkeit, was genau sind eigentlich Pilze?

Was Pilze genau sind, das ist lange Zeit unklar gewesen. Pilze sind keine Pflanzen, sie sind auch keine Tiere; Pilze liegen zwischen diesen beiden. Sie stehen den Tieren deutlich näher als den Pflanzen und bilden ein eigenes, das bisher am wenigsten verstandene, Reich des Lebens. Was wir häufig von den Pilzen kennen sind ihre vielgestaltigen Fruchtkörper, das sind aber nur ihre oberirdischen Teile, ihre Verbreitungseinheiten, also zum Beispiel der Fliegenpilz mit Ständer und Hut. Der eigentliche Pilz lebt im Boden, auch als Myzel bezeichnet. Dabei handelt es sich um ein Geflecht aus feinen Strängen, die Wasser und Nährstoffe transportieren und das eine enorm große Fläche einnehmen kann.  

Die aktuelle Ausstellung vermittelt Wissenschaft auf anschauliche Weise, und das mit hoher ästhetischer Präzision. Wie ist Ihnen das gelungen?

Das ist hauptsächlich Klaus und Lilo Wechsler zu verdanken, die diese wunderbaren Pilzmodelle erschaffen haben. Sie haben diese nicht einfach modelliert, sondern haben Abgüsse von echten Pilzen erstellt, dieses mit einem komplizierten Verfahren, das auch patentiert ist, mit dem Ergebnis, dass sie ganz feine Strukturen und die Farbgebung so wissenschaftlich akkurat wie möglich darstellen. Die Pilze, die dort gezeigt werden, sind in vielen Fällen herbarisiert, und es gibt sozusagen echte wissenschaftliche Belege zu jedem einzelnen Modell, das in der Ausstellung präsentiert wird, und das ist schon etwas Einmaliges. Wir haben zudem, weil Pilze so klein sind, einige Modelle und Animationen in der Ausstellung, die versuchen schematisch zu zeigen, wie Pilze eigentlich wachsen, wie Sporen verbreitet werden, wie ein Myzel wächst und wie sich dann daraus der Fruchtkörper bildet, und so versuchen wir eben möglichst plastisch und anschaulich darzustellen, was Pilze sind.

130.000 verschiedene Arten von Pilzen sind derzeit weltweit bekannt. Wir blicken vor unsere Tür, nach Wiesbaden-Naurod, wo es bereits eine riesige Vielfalt an Pilzarten gibt. Was erfahren wir darüber?

Das war eine faszinierende Studie, die in Naurod durchgeführt wurde. Man denkt ja immer, dass viele neue Arten nur noch in den Tropen gefunden werden können und dass in Mitteleuropa ja eigentlich alles schon bekannt ist, aber das ist weit gefehlt. In Naurod hat die Arbeitsgruppe von Frau Prof. Dr. Meike Piepenbring von der Frankfurter Goethe-Universität auf einem Areal von 500 Metern mit einer Breite von 20 Metern regelmäßig, einmal im Monat, die Artenvielfalt von Pilzen und Pflanzen erfasst, und das drei Jahre lang. Gefunden wurden dabei gut 200 Pflanzenarten, weitere kamen bei den folgenden Zählungen nicht mehr hinzu.

Und wie viele Pilzarten sind es in Naurod?

Bei den Pilzen hat man über 1000 Arten gefunden und bei jeder Untersuchung war wieder ein guter Teil neuer Arten dabei, die in der Studie noch nicht erfasst worden waren; bis zum Schluss wurden in jedem Sammelergebnis neue Pilze dokumentiert. Die Forschungsgruppe geht davon aus, dass diese über 1000 Pilzarten gerade mal 60% dessen sind, was man wirklich dort antrifft. Finden können wir da eine unheimliche Vielfalt an verschiedensten Pilzen. Das reicht von bekannten Arten wie dem Parasol bis hin zu unbekannten Pilzen, die sie noch gar nicht bestimmen konnten; das sind auch Mikropilze, einzellige Pilze, die man nur mit Hilfe molekularer Techniken, also anhand ihrer Erbsubstanz, überhaupt erst unterscheiden kann, und das ist eine unheimliche Tiefe an Forschung. Wir können jetzt natürlich sagen, dass Wiesbaden-Naurod zu den Biodiversity Hotspots der Pilze gehört, aber das liegt nur daran, dass man andernorts eben noch nie so intensiv nachgesehen hat.

Bei all den Pilzarten zählen in Deutschland etwa 200 zu den Speisepilzen. Manche Arten müssen im Nachhinein als „giftig“ eingestuft werden, andere sind lange dafür bekannt und lösen immer wieder schwere gesundheitliche Folgen aus. Sie zeigen Beispiele für beides. Können Sie uns drüber kurz berichten?

Es gibt mehrere Pilze, deren Einordnung, ob nun essbar oder giftig, sich geändert hat. Besonders bekannt ist da der Nebeltrichterling, der galt lange Zeit als essbar. Wir stellen hier auch ein kleines Pilzbestimmungsbuch aus, in dem er noch als essbarer Pilz aufgeführt wird, aber er kann beim Vorliegen bestimmter Stoffwechselerkrankungen eine vergiftende Wirkung haben und wird deshalb aus Sicherheitsgründen als giftig eingestuft. Dennoch konnte man diesen Pilz, der auch unter dem Namen „Herbstblattl“ bekannt ist, lange Zeit auf Märkten in Bayern kaufen.

Haben Sie ein weiteres Beispiel?

Ein weiteres Beispiel ist der Hallimasch; ich habe diesen als Kind immer gegessen. Heute gilt er als ungenießbar oder sogar auch als giftig, weil er bei manchen Menschen schwere Magenprobleme verursachen kann. Es scheint von der individuellen Konstitution abhängig zu sein, ob man diese Pilzart verträgt oder nicht. Viele Vergiftungen bei uns werden durch die Karbolchampignons ausgelöst. Er ist für seine Giftigkeit lange bekannt, aber wegen seiner Ähnlichkeit mit anderen Champignons wird er eben immer noch gesammelt, und viele Menschen denken, dass Champignons alle essbar sind. Es ist ein generelles Problem bei der Unterscheidung von Speise- und Giftpilzen, dass viele Speisepilze Doppelgänger haben, die eben nicht verzehrt werden dürfen. Essen sollte man Pilze nur, wenn man sich wirklich sicher ist.

Von großer Bedeutung für uns Menschen sind Medikamente oder Stoffwechselprodukte, die aus Pilzen gewonnen werden. Ebenso sind Heilpilze seit Jahrhunderten Bestandteil der traditionellen chinesischen Medizin. Können Sie uns einige der heilenden Pilze nennen, auf die wir in der Ausstellung treffen?

Das bekannteste Beispiel für ein Medikament ist sicher Penicillin, das Stoffwechselprodukt eines Schimmelpilzes, das antibakteriell wirkt. Da heute immer mehr Resistenzen gegen Antibiotika zum Tragen kommen, sucht die Forschung nach weiteren Stoffen in Pilzen, die eine antibakterielle Wirkung haben und gegen die sich noch keine Resistenzen gebildet haben. Penicillin und verwandte Substanzen sind ganz bekannte medizinische Pilze. Als Heilpilze kommen einige Pilze in Betracht. Sogar Ötzi hatte wohl Heilpilze dabei, nämlich den Birkenporling. Der soll, in einem Sud aufgekocht, gut gegen Magenbeschwerden und gegen Darmparasiten sein. Wir zeigen in der Ausstellung auch den glänzenden Lackporling, der von großer Bedeutung in der traditionellen chinesischen Medizin ist und vielfältige Heilwirkungen haben soll. Wir raten allerdings dazu, sich bei der Behandlung von Krankheiten nicht allein auf die Wirkung eines Heilpilzes zu verlassen. Eine Garantie im Hinblick auf eine Heilung gibt es bei Heilpilzen sicher nicht.

Im Untergeschoss der Ausstellung erwartet uns das überdimensionale Modell einer Pilzart, von der eine berauschende Wirkung ausgehen soll. Was hat es damit auf sich?

Bei der so dargestellten Art handelt es sich um einen psilocybinhaltigen Pilz, den Dung-Kahlkopf. In den 50er Jahren wurde zum ersten Mal die berauschende Wirkung von Pilzen beschrieben, in einem Artikel, der den Titel „Magic Mushrooms“ trug. Die Wirkung wird mit der von LSD verglichen; es sollen Halluzinationen auftreten, und sie sollen berauschend wirken. Dieses Thema hat auch in der Hippiezeit eine gewisse Bedeutung erlangt.

 Das klingt gefährlich …

Wir wollten es deshalb nicht aussparen, weisen aber hier auch ausdrücklich darauf hin, dass es nach dem Betäubungsmittelgesetz verboten ist, diese Pilze zu konsumieren. Wir warnen auch vor den gesundheitlichen Schäden, die Psilocybin auslösen kann; Panikattacken und längerfristige Angststörungen zählen dazu. Pilze sind außerdem keine Tabletten, die eine definierte Menge eines Wirkstoffes ausweisen. Bei diesen Pilzen weiß man nie, wieviel davon in dem lebenden Organismus gebildet wird. So kann man sich auch nicht darauf verlassen, dass sich, nimmt man beispielsweise drei Pilze ein, stets dieselbe Wirkung einstellt. Dieses kann fatale Folgen haben; wir können deshalb nur dringend davon abraten.

Pilze sind nützlich, können aber auch enormen Schaden anrichten: Sie vernichten Nutzpflanzen und ganze Wälder, verursachen Schäden in Millionenhöhe und lösen Hungersnöte aus. Wäre unsere Welt ohne Pilze vielleicht doch denkbar?

Unsere Welt ohne Pilze ist zunächst einmal gar nicht möglich, denn Pilze sind praktisch überall und das fast unbemerkt. Ökologisch sind sie von großer Bedeutung; Pilze sorgen für den organischen Abbau, sie sind außerdem wichtige Symbiosepartner für Pflanzen. Das heißt, Pilze und Pflanzen leben in enger Gemeinschaft und versorgen sich gegenseitig mit lebenswichtigen Nährstoffen. Wenn ich zwar keine schädliche Wirkung der Pilze mehr habe, aber eben auch das Wachstum der Pflanzen ausbleibt, dann habe ich am Ende gar keine Erträge mehr. Klarmachen muss man sich, dass alle Getreideformen, über Reis, Mais bis zu unseren heimischen Getreidearten nur dank Pilzen existieren, alle leben in Symbiose mit Pilzen.

Also haben mehr Pilze einen größeren Nutzen als dass sie Schaden anrichten?

Ja, die Schäden, die Pilze verursachen, sind gering im Hinblick auf den vielfältigen Nutzen, der von ihnen ausgeht. In unseren Wäldern würde sich das tote organische Material, das dort anfällt, türmen, würden Pilze dieses nicht abbauen. Ich darf hierzu Frau Prof. Piepenbrink zitieren „Der Wald würde an sich selbst ersticken, würde es keine Pilze geben“. Auch könnten Insektenplagen entstehen, denn viele Pilze parasitieren Insekten und sorgen so für ein ökologisches Gleichgewicht. Pilze sind so integraler Bestandteil unseres Ökosystems, das ohne sie nicht funktionieren würde.

Eine Ausstellung, die neugierig macht und Begeisterung weckt – es wird Zeit, in die Pilze zu gehen …


Weitere Interviews aus der Reihe „Gesichter des Museums“:

Folge 3: Suzan Mesgaran, Veranstaltungsmanagerin
Folge 2: Peter Forster, Kustos der Alten Meister
Folge 1: Walter Büttner, der Mann mit dem guten Überblick

 

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