Gesichter des Museums

Folge 6: Roman Zieglgänsberger – Kustos der Klassischen Moderne

Wer den drahtigen, jugendlich wirkenden Mann in Vorträgen oder bei Führungen erlebt, der spürt unwillkürlich seine Begeisterung für das, was er beruflich tut. Dr. Roman Zieglgänsberger, Kustos der Klassischen Moderne, nimmt man auf Anhieb ab, dass er sein Arbeitsleben im Museum Wiesbaden als „wunderbar“ empfindet. Wenn am 25. Februar 2018 die Kirchhoff-Ausstellung „Der Garten der Avantgarde“ endet, sind alle Weichen für das nächste Projekt – das ab dem 12. April 2018 die Sammlung Brabant zeigen wird – längst gestellt. Kurator Roman Zieglgänsberger ist diesmal unser „Gesicht des Museums“.


Roman Zieglgänsberger vor dem „Garten Kirchhoff“, einem Gemälde von Walter Jacob (Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)
Roman Zieglgänsberger vor dem „Garten Kirchhoff“, einem Gemälde von Walter Jacob (Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)

Herr Zieglgänsberger, verraten Sie uns, welches Werk aus der Kirchhoff-Ausstellung Ihr Lieblingsbild ist?

Der Kandinsky aus dem Guggenheim-Museum in New York. Das Werk hat den Titel „Ausgedehnt“. Wie der Hintergrund changiert, das ist faszinierend. Für mich war es eine Überraschung, wie gut es ist, das kann man auf den Bilddateien nicht so erkennen. Es hat mich vom Hocker gehauen, als ich das Bild im Original vor mir sah.

Toll, dass man es dem Museum Wiesbaden für die Ausstellung überlassen hat!

Ja, es ist nämlich auf eine Holztafel gemalt und daher sehr fragil. Aber die Amerikaner sind sehr offen und schätzen es, wenn eine Ausstellung auch mit der Provenienzforschung zu tun hat.

Sie haben offenbar mit der Kirchhoff-Ausstellung einen großen Coup gelandet. Was sagen die Besucherzahlen aus?

Ehrlich, ich kenne sie noch nicht genau. Wir müssen am Ende auf null rauskommen.  Da unser Direktor und sein Vize entspannt wirken, sind die Zahlen sicher nicht schlecht.

Was wäre denn ein gutes Ergebnis?

Alles, was über 40.000 hinausgeht. Erfahrungsgemäß kommen im letzten Drittel des Ausstellungszeitraums zwei Drittel der gesamten Besucher.

Es ist ja noch Zeit bis zum 25. Februar, und es wird in der Stadt viel Positives über den „Garten der Avantgarde“ und den Wiesbadener Mäzen Heinrich Kirchhoff gesprochen. Wann und wie kamen Sie auf die Idee, Werke aus der Sammlung aus aller Welt nach Wiesbaden zu holen?

Die Ausstellung „Horizont Jawlensky“ 2014 kam ja sehr gut an. Zeitgleich fassten wir den Beschluss, 2017 etwas zu Kirchhoff zu machen, denn 1917 wurde seine Sammlung erstmals im Museum Wiesbaden präsentiert. Ein Jubiläum hilft immer auch, Sponsoren zu finden. Als wir die ersten Überlegungen hatten, wurde auch die Dissertation der Co-Kuratorin Sibylle Discher angenommen, mit Auszeichnung. Sie wird jetzt bald publiziert.

Und wie ging es dann weiter? Caren Jones, die für das Ausleihen zuständige Registrarin, hatte sicher keinen einfachen Job.

Wir haben früh angefangen. Caren Jones hat ja immer mehrere „Baustellen“. Es hat alles gut funktioniert.

Sie haben sogar den „Garten der Avantgarde“ aus der Beethovenstraße 10 ins Museum geholt …

Ein Glücksfall, dass wir aus dem Kirchhoff-Nachlass von der Familie Berger die Schwarz-Weiß-Fotos zur Verfügung gestellt bekamen, mit diesem Bildmaterial konnten wir wunderbar arbeiten, wir wollen die Menschen auf diese Weise atmosphärisch packen. Optimal ist auch, dass wir dank der von Hans Völcker geschaffenen floralen Fresken im Oktogon der Gemäldegalerie den passenden floralen Raum für den Garten haben. Hans Völcker war der künstlerische Ausstellungsleiter des Nassauischen Kunstvereins und einer der frühen Berater des Sammlers. Heinrich Kirchhoff hat auch viele Werke von Völcker besessen.

Während der Garten der Avantgarde noch bis zum 25. Februar anlocken wird, sind Sie doch ganz bestimmt nun schon intensiv mit der Brabant-Sammlung beschäftigt, die ab April ausgestellt werden wird.

Ja, wir werden das Beste der Sammlung Frank Brabant zeigen, in jedem Raum auch zusätzlich ein bis zwei Bilder aus unserer Sammlung aufhängen. So kann man sehen, wie gut die Sammlungen zusammenwachsen werden.

Zusammenwachsen können sie, weil Frank Brabant eine Stiftung vorbereitet hat und er hälftig dem Museum seiner Heimatstadt Schwerin und dem Museum seiner Wahlheimat Wiesbaden die zirka 600 Werke aus Expressionismus und Neuer Sachlichkeit vermachen wird. Waren die Verhandlungen mit Schwerin, wer was bekommen soll, schwierig?

Dr. Graulich in Schwerin und ich gingen ganz positiv ran, es ist ja für beide Museen ein tolles Geschenk. Frank Brabant wollte, dass wir uns ohne sein Zutun einigen, und das hat funktioniert. Die Aufteilung erfolgte – natürlich abgestimmt mit den Museumsleitern – im Sinne der jeweiligen Sammlungen der zwei Häuser.

Wie muss man sich das vorstellen?

Ein Beispiel: Uns ist ein 20er Jahre Bild von Max Pechstein, der Mitglied der Künstlervereinigung „Brücke“ war, wichtig. Es handelt sich um „Rote Häuser mit Windmühle“. Von Pechstein haben wir kein Gemälde, wir können hier eine Lücke schließen. Schwerin hat keinen Beckmann, wir haben zwei. Also wird das „Stillleben mit grüner Kerze“ von 1941 eines Tages nach Schwerin gehen. Wir wiederum sind sehr interessiert an Conrad Felixmüller und Karl Hofer, sie stehen zwischen Expressionismus und Neuer Sachlichkeit. Das könnte dann einen eigenen Raum geben, der überleitet. Ein Selbstbildnis von Karl Hofer haben wir bereits seit 2014 als Teilschenkung von Frank Brabant.

2014 wurde von ihm doch auch die großartige Schenkung des Jawlensky-Werks „Helene im spanischen Kostüm“ gemacht. Ein Bild, für das russische Interessenten Brabant fünf Millionen angeboten hatten.

Das ist richtig. Wir wussten, dass Frank Brabant uns eines Tages das Bild überlassen wollte. Jawlenskys 150. Geburtstag stand an, und das war ein guter Anlass. Wir sprachen darüber, wie toll es wäre, wenn dieses Werk immer im Museum hinge. Es ist das wichtigste Frühwerk des Künstlers. Es dauerte zwei Wochen, da sagte Frank Brabant uns, dass er dem Museum die „Helene“ schenken werde. Sie ist natürlich immer zu sehen. In der Kirchhoff-Ausstellung sind übrigens auch Leihgaben von Frank Brabant.

Er, der im April achtzig Jahre alt wird, ist dem Museum eng verbunden?

Deshalb soll die Ausstellung auch im April eröffnet werden. Ich glaube, unser Museum ist Frank Brabants zweites Wohnzimmer.

Nun kommen wir mal zu Ihrer Person. Wie waren die Anfänge hier im Museum?

Ich kam 2010 aus Regensburg nach Wiesbaden als Kustos für die Klassische Moderne. Das war kurz vor dem Direktorenwechsel von Volker Rattemeyer zu Alexander Klar. Ich wurde ins kalte Wasser geworfen: Für die Abschiedsausstellung von Rattemeyer „Das Geistige in der Kunst – vom Blauen Reiter bis zum abstrakten Expressionismus“ sollten in kürzester Zeit zu 40 Künstlern die Lebensläufe geschrieben werden, diese Aufgabe fiel meiner Kollegin Evelyn Bergner und mir zu.

Und danach kam die Arbeit an der Sammlung.

Da die Abschiedsausstellung lief, hatte ich vier Monate Zeit, mich mit der ständigen Sammlung und ihrer Einrichtung zu befassen. Ich konnte im Depot stöbern und in Ruhe ein Konzept erstellen. Im März 2011 wurde dann die Kunstsammlung neu präsentiert. Es war eine wunderbare Zusammenarbeit mit Jörg Daur.

Apropos Kollegen. Gibt es unter den Kustoden Konkurrenzdenken?

Im Gegenteil. Wir freuen uns über den Erfolg des anderen. Da hat man selber auch weniger Druck.

Ihre Begeisterung für Ihre Arbeit ist immer spürbar. Wann wussten Sie denn, dass Sie ins Museum gehören?

In der Schule hatte ich Kunst als Leistungskursus. Aber eigentlich malte ich lieber als mich mit Kunstgeschichte zu befassen. Doch später habe ich dann Feuer gefangen. Ich fand früh Kontakt zur Pinakothek, da war der Weg naheliegend …

Wie ihr Name schon vermuten lässt, stammen Sie aus Süddeutschland. Haben Sie in München studiert?

Ja, in München habe ich auch promoviert. Über Karl von Pidoll, er war ein Schüler von Hans von Marées.

Da haben wir wieder eine Brücke nach Wiesbaden. Denn das Marées-Bild „Die Labung“ ist mit der Aktion „Wiesbaden schafft die Wende“ von den Erben erworben wurde, nachdem man es im Zuge der Provenienzforschung zunächst zurückgegeben hatte.

Ja. Sein Schüler Pidoll hat übrigens eine spannende Schrift über Hans von Marées herausgegeben. Pidoll lebte unter anderem in Frankfurt.

Gibt es ein Ziel, das Sie unbedingt erreichen wollen?

Ich bin sehr glücklich darüber, was ich hier als Sammlungsverantwortlicher erreicht habe. Meine Aufgaben sind wunderbar, ich kann die Themen zu 90 Prozent selbst auswählen, natürlich muss alles abgestimmt werden. Ich fühle mich sehr – angenehm – ausgelastet.

Lebt es sich denn für den Münchner gut in Wiesbaden?

Nach Stationen in Stuttgart, Bremen und Regensburg empfand ich den Umzug nach Wiesbaden als unproblematisch. Ich fühle mich im Westend wohl. Mir gefällt vor allem auch die geschlossene Altbau-Substanz. Und die Region ist toll. Wiesbaden ist außerdem so zentral, dass man ständig besucht wird. Jawlensky hat sich auch in Wiesbaden wohlgefühlt, er kam ja ebenfalls aus München.

Was mögen Sie nicht an Wiesbaden?

Ich habe das Gefühl, dass um 22 Uhr meist die Bürgersteige hochgeklappt werden.

Was sagen Sie zum nebenan geplanten Ernst-Museum für abstrakte Kunst?

Großartig! Das bedeutet eine gegenseitige Bestärkung der Museen. Der Standort Wiesbaden wird noch attraktiver, wir bekommen eine Museumsmeile.

Bleiben wir bei der Kunst. Welche Lieblingsbilder haben Sie im Museum Wiesbaden?

Ganz klar, das Marées-Werk. Aber auch bei Spitzwegs Schmetterlingsfänger geht mir das Herz auf, es ist doch ein Programmbild für Kunst und Natur. Und ein Sinnbild, dass man immer seinen viel zu großen Träumen hinterherjagt. Also ein Werk mit einer leicht melancholischen Note. Aber natürlich haben auch das Selbstbildnis Jawlenskys und seine Frauenköpfe eine besondere Bedeutung für mich.

Fühlen Sie sich uns Freunden des Museums verbunden?

Oh ja, der Verein ist für uns sehr wichtig, sowohl dank der finanziellen Unterstützung als auch als Multiplikator. Es ist toll, dass dank der Mitglieder viele Vorträge möglich sind, die allen Interessierten zugutekommen. Mit Freude gestalte ich Veranstaltungen der Freunde mit.

Haben Sie zum Schluss einen Wunsch fürs Museum?

Es wäre toll, wenn es doch noch einen Anbau an das Theodor-Fischer-Gebäude geben würde. Wir brauchen Flächen für Sonderausstellungen, das würde uns sehr voranbringen.

Das Gespräch führte Ingeborg Salm-Boost


Dr. Roman Zieglgänsberger wurde 1972 in München geboren. Hier machte er Abitur und absolvierte sein Studium der Kunstgeschichte. Seine Doktorarbeit schrieb er über den Künstler Karl von Pidoll, Schüler von Hans von Marées. Zieglgänsbergers Stationen waren Staatsgalerie Stuttgart (Volontär), das Modersohn-Becker-Museum in Bremen (Kustos) und die Ostdeutsche Galerie in Regensburg (Leiter der Grafischen Sammlung). Der Kustos ist Lehrbeauftragter an der Universität Mainz und hat eine Reihe von interessanten Publikationen veröffentlicht. Der heute 45-Jährige ist verheiratet und lebt mit seiner Frau im Wiesbadener Westend. Seine Hobbys sind Lesen und, seit der Jugend, das Fußballspielen. Heute kickt er in der „Bunten Liga“ in Mainz, wo es mehr um den Spaß als um Trophäen geht. Als aktuelle Leseempfehlung nennt er uns „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ von Yuval Noah Harari und die Erzählungen von Iwan Bunin, zwei Bücher die derzeit auf dem Nachtkästchen liegen, wie er uns verrät. Mit einem spannenden Nebenjob verdiente er sich in jungen Jahren in seiner Heimatstadt München Geld: Roman Zieglgänsberger war als Discjockey erfolgreich.

Eine schöne Idee für die Kirchhoff-Ausstellung: Roman Zieglgänsberger und Mit-Kuratorin Sibylle Discher vor der Gartentapete (Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)
Eine schöne Idee für die Kirchhoff-Ausstellung: Roman Zieglgänsberger und Mit-Kuratorin Sibylle Discher vor der Gartentapete (Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)

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