Gesichter des Museums
Folge 7: Martina Frankenbach, Leiterin der Kunstbibliothek
„Ich möchte nicht in einer anderen Bibliothek arbeiten“, Martina Frankenbach sagt dies mit einem äußerst sympathischen Lächeln und schaut sich in ihrem Reich um. Das befindet sich im Südflügel des Museums Wiesbaden und nennt sich Kunstbibliothek. Stapel von Büchern liegen bereit, um gesichtet zu werden, darunter auch viele Schenkungen. Der Lesesaal lädt dazu ein, sich mit einem der Nachschlagwerke niederzulassen, die in den Bücherregalen stehen. Schön, die kleinen Treppen und Geländer zum nächsten Raum – Relikte aus alter Zeit. Wir treffen uns zum Interview. Beim Rundgang vorweg sehe ich, dass es eine Etage tiefer, unter dem Projektraum des Museums, ein imponierendes Magazin gibt, davor wiederum ein Arbeitsraum. Hier sitzt Jörg Augustin, über den sich Martina Frankenbach sehr freut, denn sie hat erstmals Personalverstärkung bekommen.
Frau Frankenbach, haben Sie ein Lieblingsbuch in Ihrer Kunstbibliothek?
Nein. Unsere Bücher sind dienend, sie stehen nicht für sich. Ob Kataloge zu Ausstellungen oder wissenschaftliche Bearbeitungen, sie werden nicht in erster Linie als Literatur wahrgenommen. Aber so viel kann ich sagen: Ich finde es gut, wenn Autoren sehr sorgsam mit der Kunst und den Quellen umgehen, dabei trotzdem einen intellektuellen Weitblick haben.
Fällt Ihnen da spontan ein Autor ein?
Ja, hier kann ich Robert Suckale nennen. Seine Veröffentlichungen sind sehr fundiert, und er denkt weiter.
Kann auch der Laie etwas mit Büchern aus der Kunstbibliothek anfangen?
Ja, wenn er zum Beispiel Suckales „Kunst in Deutschland“ liest, ein „Schinken“, der gut und günstig ist. Hier werden Epochen abgearbeitet, aber es gibt auch immer wieder einen neuen Denkanstoß.
Erklären Sie uns Laien doch bitte, was man alles in der Kunst-Museumsbibliothek findet.
Das ist eine wissenschaftliche Spezialbibliothek. Die Kunstsammlung des Museums Wiesbaden mit den Schwerpunkten Klassische Moderne und Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts allgemein sollte von der Bibliothek abgebildet werden. Wir sind in der Klassischen Moderne besser als mit den Alten Meistern. Aber wir arbeiten dran. Wichtige Nachschlagewerke haben wir in unserem Lesesaal, und diese braucht man immer, trotz Internet. Künstlermonographien halten wir vor, und natürlich vor allem Ausstellungskataloge in großer Zahl.
Es ist doch erstaunlich, dass in unserer digitalen Zeit so aufwendige Ausstellungskataloge angeboten werden.
Ja, es gibt hier sogar die Tendenz zum Opulenten. In den 70er Jahren waren die Kataloge viel dünner. Das mit der Opulenz meine ich wertfrei, ich denke an die Platzkapazitäten. Und es gibt natürlich auch große Qualitätsunterschiede bei den Katalogen.
Sie haben auf den Schriftentausch hingewiesen, der für die meisten Museumsbibliotheken existenziell ist. Erklären Sie uns das bitte.
Wir haben zirka 160 nationale und 80 internationale Partner. Mit diesen oft renommierten Häusern tauschen wir die Kataloge aus. Aus Kostengründen und wegen des Verpackungsaufwands schicken wir meistens einmal im Jahr gebündelt die Kataloge an unsere Partner und diese senden an uns. Die wenigsten Museumsbibliotheken verfügen über einen großen Etat. Wenn wir etwas kaufen, dann sehr gezielt, zum Beispiel für die Vorbereitung einer Ausstellung und mit Blick auf unsere Kunstsammlung. Es gibt auch den individuellen Tausch, wenn ein Mitarbeiter bei uns etwas ganz Bestimmtes sucht.
Apropos Mitarbeiter. Nutzen diese die Bibliothek sehr? Und wie sieht es mit externen Besuchern aus?
In erster Linie ist sie Arbeitsbibliothek für die Kollegen. Nicht zuletzt für die Provenienzforschung werden wir gebraucht. Von außen kommen eigentlich nur besonders Interessierte. Vielleicht ist es auch zu wenig bekannt. Aber Besucher sind uns immer willkommen, beispielsweise auch nach einem Museumsbesuch, zur Vertiefung.
Kann man auch ausleihen?
Nein, wir sind eine Präsenzbibliothek, man kann bei uns die Bücher einsehen.
Hier muss ich an unser Kuratoriumsmitglied Jan Baechle denken, der stets im November den Depotfrühschoppen gestaltet und Werke aus dem Depot vorstellt. Er schwärmt von der guten Zusammenarbeit mit Ihnen, Frau Frankenbach.
Herr Baechle macht das schon sehr lange, und ja, er ist ein regelmäßiger und sehr versierter Nutzer unserer Bibliothek. Wir arbeiten gut zusammen.
Verraten Sie uns, welche besonderen Schätze Sie in den Regalen haben. Gehören die Bauhaus-Bände und umfangreiches Material zu Jawlensky dazu?
Ja, beides stimmt. Zu unseren Kostbarkeiten gehören vor allem Bücher aus den Anfängen des 20. Jahrhunderts. Wir haben auch eine schöne Ausgabe vom Blauen Reiter. Man kann sagen, gut sind wir in der Literatur von 1900 bis 1920.
Wie viele Werke gibt es denn heute in der Kunstbibliothek?
Rund 50.000. Es gibt ja auch öfter Schenkungen von Privatpersonen und Nachlässe. Deshalb finden Sie hier, wie zurzeit, immer wieder Stapel von Büchern, die sortiert werden müssen. Alles können wir nicht aufnehmen, aber manches findet sich schon und ist interessant für uns. Auch die Wertermittlung muss natürlich stattfinden.
Welche Rolle spielt bei Ihnen die Digitalisierung?
Am wichtigsten ist der Katalog, er ist das Herz der Bibliothek. Alle ab 1990 erschienenen Bücher haben wir elektronisch erfasst. Wir haben ein spezielles System für Kunstbibliotheken. Die älteren Bücher sind noch in großen Karteikästen und warten auf die Umstellung. Wenn das geschehen ist, dann wird unser elektronischer Katalog nicht nur hausintern, sondern auch extern zu nutzen sein.
Geht es denn voran?
Wir haben personelle Verstärkung bekommen, so dass so dass nun unser alter Zettelkasten digital erfasst werden kann. Aber es gibt auch echte Digitalisierungsprojekte, das heißt: Man soll dann den gesamten Text im Internet lesen können.
Welche Texte werden das sein?
Wir haben Teilbereiche in unserem Bestand, die für die Wissenschaft durchaus auch von überregionaler Bedeutung sind. Diese Texte werden wir längerfristig digital zugänglich machen.
Bei allen Vorteilen dank Computer: Meinen Sie, dass die Haptik auf Dauer Bestand haben wird?
Ich bin sicher, das Buch ist unsterblich. Vor allem auch das Nachschlagewerk. Vom Künstlerlexikon gibt es nun 99 Bände, und wir sind bei R. Außerdem sind gute Online-Nachschlagewerke auch nicht kostenlos. Das Buch ist das Demokratischste, das können Sie bei uns aus dem Regal holen…
Haben Sie miterlebt, als die Kunstbibliothek in die Karlstraße ausquartiert war?
Ja, ich begann Ende 2000 beim Museum, in der Außenstelle Karlstraße. Als die Polizei aus dem Haus in der Karlstraße auszog, kam die Museumsbibliothek dort unter, das Ministerium für Wissenschaft und Kunst hatte den Bau vom Innenministerium übernommen. In der Karlstraße saß ich ziemlich alleine. Wir hatten keine Vernetzung, nur einen PC. Ich war froh, als die Bibliothek in den Südflügel des Museums ziehen konnte. Das war Ende 2013. Ganz früher war die Bibliothek da, wo heute die „Alte Bibliothek“ ist. Später war sie in den Räumen der Naturwissenschaftlichen Sammlung, musste dann aus Platzgründen dort raus und in die Karlstraße ziehen.
Verlassen wir nun mal Ihre Bibliothek und gehen in die Ausstellungsräume. Haben Sie ein Lieblingsbild?
Die Sammlung ist ja auch geprägt von den 60er- und 70er-Jahren. Erst im Laufe meiner Arbeit hier habe ich diese Kunst schätzen gelernt. Ganz besonders aber liebe ich den Kirchensaal mit den mittelalterlichen Plastiken. Hier herrscht eine besondere Atmosphäre, eine wunderbare Geschlossenheit.
Frau Frankenbach, wie immer bei unseren Interviews in der Reihe „Gesichter des Museums“ zum Schluss die Frage: Was wünschen Sie sich fürs Museum Wiesbaden?
Das Museum ist ja in den vergangenen Jahren viel lebendiger geworden, die Wiesbadener nehmen ihr Museum an. Aber das Ziel „Kultur für alle“ müsste man weiterverfolgen. Mit dem eintrittsfreien Samstag am Anfang des Monats ist der richtige Weg eingeschlagen. Jeder sollte unser Museum kennenlernen. Mein zweiter Wunsch wäre, dass die „stille Seite“ weiterhin ihre ernsthafte Berechtigung erfährt, zum Beispiel die Provenienzforschung auch in Zukunft sehr ernst genommen wird. Ich würde es so zusammenfassen: Genaue wissenschaftliche Auseinandersetzung und die Öffnung zu den Menschen, beide Dinge liegen mir besonders am Herzen.
Das Gespräch führte Ingeborg Salm-Boost
P.S.
Die Naturhistorischen Sammlungen verfügen über eine eigene Bibliothek mit ca. 40.000 Medien, hier wird das unter Denkmalschutz stehende Lipmann-Regalsystem genutzt. Die Bibliothek wird von ehrenamtlichen Mitarbeitern betreut und steht auch Besuchern nach Anmeldung offen.
Zur Person:
Martina Frankenbach ist seit 2000 im Museum Wiesbaden als Wissenschaftliche Bibliothekarin tätig. Nach ihrem mit dem Magister abgeschlossenen Studium der Kunstgeschichte in Mainz und Frankfurt mit den Nebenfächern Kunstpädagogik und Pädagogik hat sie im Fernstudium an der Humboldt-Universität in Berlin ihren Master in Bibliothekswissenschaft gemacht. Die 56-Jährige stammt aus dem Untertaunus und ist mittlerweile aus Frankfurt wieder in ihre Heimat zurückgezogen. Privat wie beruflich spielt die Bücherwelt eine große Rolle. Über Menschen, die sich in „ihrer“ Bibliothek nach neuen Erkenntnissen umschauen möchten, freut sich Martina Frankenbach und ermuntert zum Besuch. Das ist in der Regel (außer montags) ohne Anmeldung möglich. Näheres findet man auf der Website des Museums: www.museum-wiesbaden.de.