Gesichter des Museums

Folge 8: Astrid Lembcke-Thiel – Bildung und Vermittlung

Wir Aktive bei den „Freunden des Museums Wiesbaden“ kennen Astrid Lembcke-Thiel natürlich gut. Der Verein fördert eine Reihe von Projekten, die sie und ihr Kollege Daniel Altzweig bei edu, der Abteilung für Bildung und Vermittlung im Museum Wiesbaden, anbieten und selbst konzipiert haben. Die beiden sind sich einig: Er ist der Innenminister, sie die Außenministerin. Auch in einer unserer Mitgliederversammlungen hat Astrid Lembcke-Thiel dem Publikum die edu-Arbeit schon einmal sehr anschaulich nahegebracht.


Mit der Jugend im Kunst-Gespräch: Astrid Lembcke-Thiel freut sich über das Projekt „Art Transformer“, das sie mit der 6. Klasse der Diltheyschule im Rahmen ihres Studiums durchführte. Hier ist sie mit den drei Brüdern der Familie Gold zu sehen. (Foto: Museum/Bernd Fickert)
Mit der Jugend im Kunst-Gespräch: Astrid Lembcke-Thiel freut sich über das Projekt „Art Transformer“, das sie mit der 6. Klasse der Diltheyschule im Rahmen ihres Studiums durchführte. Hier ist sie mit den drei Brüdern der Familie Gold zu sehen. (Foto: Museum/Bernd Fickert)

Frau Lembcke-Thiel, in einem Buchbeitrag fordern Sie „mutige Menschen für die Kunstvermittlung“. Wie meinen Sie das?

Ich meine, dass man in der Kunstvermittlung die Dinge in Frage stellen und querdenken sollte. Kunstvermittlung braucht Leute, die sich nicht nur den Katalog unter den Arm klemmen. Es wird erst interessant, wenn wir der eigenen Wahrnehmung folgen. Wenn zum Beispiel jemand sagt: „Das Bild finde ich unwahrscheinlich hässlich“, dann wird es spannend.

Sie sagen auch: „Mich interessiert der Moment, in dem ich als Vertreterin der Institution und als Kunstvermittlerin mit kritischem und hinterfragendem Selbstverständnis auf die Besucher und Besucherinnen treffe.“

Ja, ob Kind, Jugendliche oder Erwachsene, das macht keinen so großen Unterschied, es geht darum, ob man einen Denkraum öffnen kann. Erwachsene nicken dann aufmerksam. Kinder hüpfen vor Freude. Jugendliche machen Fotos. Es ist wichtig, offen dafür zu sein, was ein Kunstwerk auslösen und anregen kann, nach dem Motto „Ich und das Bild“.

Erzählen Sie uns von den Anfängen. Die Freunde des Museums haben die Arbeit damals schon unterstützt?

Wir wollten 2012 mit edu, also der Education-Abteilung, etwas etablieren, was es hier in dieser Form noch nicht gab. Das war, nachdem der neue Direktor gekommen war. Vorher gab es keine hauptamtliche Museumspädagogik.

Mit Alexander Klar, der Ende 2010 anfing, ging es dann voran?

Es ist ein langer Prozess. Der Verein Freunde des Museums war von Anbeginn ein wunderbarer Partner.

Wann sollte denn die Auseinandersetzung mit Kunst beginnen, in der Kita schon?

Ja. Wir möchten nicht nur den Fokus auf die Schulklassen richten. Vor allem auch für Familien wollten wir mit der so genannten Kleinen Malschule etwas anbieten. Da waren die Freunde ja von der ersten Stunde an Partner. Ich bin an einem Projekt beteiligt, das die Robert-Bosch-Stiftung und die Kulturstiftung Brandenburger Tor aufgelegt haben, es heißt „Kunst und Spiele“, ist für Kinder von drei und vier Jahren gedacht. Die räumliche Erfahrung ist der Schlüssel.

„Auf ästhetischem Weg lernen“, dieses Zitat von Ihnen habe ich in einer Publikation über eine Tagung an der Fliedner-Fachhochschule in Düsseldorf gefunden. Verfolgen Sie diesen Weg mit Erfolg?

Das funktioniert. Bildung ist am erfolgreichsten, wenn man sich selbst etwas aneignet – über die Sinne, das ist der Schlüssel zum gelingenden Lernen. Selbsttätigkeit und Umgang mit den Sinnen, das kann altersunabhängig stattfinden. Zum Beispiel im Museum. Das Museum ist ein solcher auratischer Ort.

Aber in den Schulen funktioniert das nicht unbedingt so, oder?

Nein, in den meisten Schulen lernt man in der Regel leider zu sehr systematisiert. In den Kitas ist das noch anders.

Würden Sie sich das Lernen in den Schulen anders wünschen? Ist das zum Beispiel auch Thema in Ihrem Master-Studium, das Sie neben Ihrer Arbeit durchziehen?

Ziel des Studiums ist es, kulturelle Bildung, das Lernen mit allen Sinnen zu etablieren.

Klingt spannend. Bleiben wir mal dabei. Nennen Sie Beispiele aus Wiesbaden und erklären Sie doch bitte, wie das mit der kulturellen Bildung funktioniert.

Dilthey-Gymnasium und Jawlensky-Schule sowie die Bodelschwingh-Schule sind solche zertifizierten Kulturschulen. Kulturelle Bildung ist Bildung aufgrund ästhetischer Erfahrungen. Auch über die Sinne lernen und in der Schule persönlichkeitsnahe Erfahrungen machen, das hat Einfluss auf die Lebensbildung. Mein großer Wunsch ist, dass die Schulen sich verändern. Und dazu ist das Museum ein idealer Partner.

Von den Wünschen zur Realität. edu hat schon an einigen Preisen Anteil gehabt. So auch zweimal beim Leonardo Schul Award der Wiesbaden Stiftung.

Ja, es gab schon zwei Leonardos für Schulteams, mit denen wir zusammengearbeitet haben – 2007 und 2017.

2017 hatte das Sieger-Projekt mit der großen Barock-Ausstellung zu tun?

Es ging darum, dass SchülerInnen zirka 300 Jahre alte Bilder aus der Ausstellung „Caravaggios Erben – Barock in Neapel“ in Bezug zur eigenen Lebenswelt setzten.

Eine der Erfolgsstorys ist der „Weg des Löwen“ …

Das Projekt ist mittlerweile international bekannt, ich durfte es zum Beispiel in Russland vorstellen. Es ist ein Projekt mit fünf Modulen, an dem alle städtischen Kitas teilnehmen und womit wir sehr stark herkunftsbenachteiligte Familien erreichen. Der Lions Club Wiesbaden Mattiacum hat es anlässlich seines 50-jährigen Bestehens mit 50.000 Euro unterstützt

Was passiert auf dem „Weg des Löwen“?

2013 habe ich freiberuflich damit angefangen, mit einem Koffer in die Kitas zu gehen, Materialien auszupacken. Die Kinder können selbsttätig entdecken, was eigentlich so ein Museum alles sammelt. Im zweiten Schritt kommen die Kleinen ins Museum. Und zum Schluss sind auch ihre Eltern eingeladen und die Kinder führen sie durchs Museum.

Und das „Sammelfieber“, ein Projekt, das wir Freunde fördern, geht doch auch in die Richtung?

Genau, es ist quasi eine Weiterentwicklung, setzt jedoch beim Sammeln als Ausgangspunkt für ästhetische Erfahrungsbildung in der Kindertagesstätte an. Dann erst kommen die Kinder und betrachten als Sammlerkollegen die Sammlungen von Kunst und Natur bei uns. Das Sammeln ist hier also das Bindeglied zwischen Bildungsort Kita und Bildungsort Museum. Sammelfieber eben!

Der Maltisch in der Wandelhalle wird an den eintrittsfreien Samstagen ja toll angenommen. Und Kinder mit oder ohne Eltern können nach dem Programm ganz für sich nochmals aktiv werden. Wir vom Freunde-Infostand gegenüber beobachten, wie gut das angenommen wird …

Wir freuen uns ungemein darüber, denn dieses Verweilenkönnen in solch beeindruckender Architektur und dann eigenen Ideen mit professioneller Unterstützung folgen zu können, das ist etwas ganz Wertvolles für Kinder und junge Familien. Vorher oder im Anschluss noch selbst zu schauen, was es alles zu entdecken gibt, das kann man sonst fast nur im Wald auf so spannende und zum Staunen einladende Art und Weise.

Worauf sprechen Kids schneller an: Natur oder Kunst, vermutlich ist es die Natur?

Immer auf die Natur. Die knüpft ja an die eigene Lebenswelt an. Jeder kennt etwas davon, fühlt sich wissend. Und der Eisbär ist natürlich ganz besonders beliebt.

Wie wecken Sie und die freien Mitarbeiter Interesse für die Kunst?

Ich denke, über die eigene Begeisterung und über möglichst ungewöhnliche Methoden.

Da sind wir wieder beim Thema: Sich selbst etwas aneignen über die Sinne… Wie sieht das denn bei den Jugendlichen aus. Wie war das Projekt #Shortnight der Oranienschüler während der Kurzen Nacht der Museen und Galerien 2018?

Das ist bestens gelaufen. Die Präsentation war wirklich beeindruckend. Es sind tiefgründige, audiovisuelle persönliche Auseinandersetzungen, zum Beispiel bei den Alten Meistern, entstanden.

Bei all den tollen Apps und Videos: Lieben Sie aber auch das Haptische noch? Es gibt so schöne edu-Saalkarten im Museum.

Oh ja, ich bin ein Fan von Vermittlungsmaterial zum Benutzen. Mit der Uni Siegen, Fach Kunst, habe ich zum Beispiel die Kartensammlung „Schätze im Museum“ gemacht.


Es gibt auch zu aktuellen Ausstellungen wie die der Sammlung Brabant – „Von Beckmann bis Jawlensky“– wunderbare Karten. Da fragt beispielsweise Frieda (12) den Sammler nach seiner Intention. Und auf der Vorderseite sieht man das ausgestellte „Männerporträt“ von Eberhard Dietzsch …

Wir hatten Frank Brabant besucht und Frieda konnte ihre Fragen stellen. Wir haben anlässlich dieser Ausstellung auch die Sammlerin Hannah Bekker vom Rath im Porträt von Benno Walldorf – das ist im Besitz des Museums – auf Karte und dazu auf der Rückseite einen Brief an die „Liebe Hanna“.

Der Brief ist wirklich berührend und stilistisch beeindruckend. Wer ist die 19-jährige Marlene, die ihn verfasst hat?

Da verrate ich Ihnen: Es ist meine Tochter. Sie ist nun erwachsen, war aber als Kind und Jugendliche oft hier im Museum. Es gibt übrigens einen Jugendkunstclub, der sich einmal wöchentlich trifft.


Wie steht denn edu da im Vergleich zur Bildungsarbeit in anderen Museen?

Wir machen echt gute Arbeit, das können mein Kollege Daniel Altzweig und ich mit Fug und Recht sagen. Mit uns engagieren sich tolle Leute mit Hingabe in der Vermittlung. Leider ist unser Bereich immer noch zu wenig sichtbar.

Sie meinen, dass Ihr Bereich sichtbarer sein müsste?

Ja, das wünsche ich mir in der Tat. Und dass der Besuch im Museum hier für noch mehr Menschen selbstverständlich wird. Unser Malheft heißt „Mein Museum, so will ich es haben“. Das muss in die Köpfe. Das Museum ist doch einfach ein cooler Ort! Meine Vision wäre, dass Kids mindestens genauso gerne ins Museum gehen wie zu McDonald’s.

Ein cooler Ort, an dem Ihnen welches Kunstwerk besonders gefällt?

Das Oktogon. Denn ich denke am liebsten in Räumen, bin eine Freundin von Offenheit und Vernetzung. Und die Spiegelinstallation Jupiter hat so eine Wirkung, sie ist schon gut und klug von Rebecca Horn gemacht.

Wir müssen unbedingt noch das Projekt „Blickfang“ für von Demenz Betroffene und ihre Angehörigen ansprechen.

Das bieten wir im zweiten Jahr mit dem Forum Demenz und der Alzheimer Gesellschaft an. Das ist eine sehr gute, tragfähige Kooperation. Das Gespräch über ein Kunstwerk, das die Dementen führen, ist für alle Seiten bereichernd. Das und das gemeinsame Kaffeetrinken tut nicht zuletzt den Angehörigen gut.

Nicht unerwähnt sollte das jüngste Projekt bleiben, das wir von den Freunden auch gerne unterstützen: „Zwischennaht“. Es wird genäht im Museum.

Das ist besonders spannend. Eine Weiterführung des Projekts „Zwischennaht“ im Wiesbadener Nähpoint mit Evim. Es zeigt das Verantwortungsbewusstsein des Museums im Hinblick auf Ressourcen-Orientierung und soziale Verantwortung. Geflüchtete Frauen nähen aus alten Museumsfahnen, die in der Wilhelmstraße hingen, Stoffbeutel und Taschen und sind somit in der Lage, Geld für sich und ihre Familien zu verdienen. Das Besondere ist auch, dass sie dies im Museum tun werden, in unseren Ateliers. Wer sich dafür interessiert, kann zu uns kommen und Kontakt aufnehmen. Es ist wie eine kleine Museumsmanufaktur zu verstehen. Ein schöner Gedanke in Zeiten, da so viel in China produziert wird. Vielleicht ergeben sich ja noch ganz andere Möglichkeiten für die Frauen.

Erlauben Sie jetzt bitte eine private Frage: Warum haben Sie sich einst entschieden, nach der Schreinerlehre, dem Architekturstudium mit Schwerpunkt Innenarchitektur und mit anschließender Arbeit in diesem Bereich ins Museum zu wechseln?

Ich blieb nach dem Studium auf der Suche nach dem richtigen Ort für mich. Am liebsten kommuniziere ich, stelle auch gerne Fragen. Als das Museum jemand suchte für freie Mitarbeit bei Führungen und Workshops, fühlte ich mich angesprochen. Hierhin zu wechseln war genau richtig.

Aber eigentlich ein fremdes Metier?

Natürlich habe ich viel Weiterbildung an der Uni der Künste in Berlin betrieben. Und jetzt ist mir noch der wissenschaftliche Abschluss wichtig. Es ist gut, das eigene Tun zu reflektieren und wissenschaftlich zu untermauern. Wenn unser Zweig der Vermittlung noch wichtiger werden soll, braucht es wissenschaftliche Arbeit. Besonders befasse ich mich mit der ästhetischen Forschung im Museum mit Kindern im Übergang von der Kita zur Grundschule.

Man könnte annehmen, Sie hätten früh schon erahnt, dass das Museum einmal Ihre Welt sein würde. Denn in ihrer Diplomarbeit zur Architektin planten Sie ein lichtdurchflutetes Museum auf der Loreley, in dem auf einer Brücke ein Vermittlungsraum sein sollte. Nun haben Sie sich einem Studium zugewandt, das sich inhaltlich mit Schule befasst und sind im Museum engagiert …

Die kulturelle Bildung an Schulen ist ein Herzensthema von mir. Deshalb will ich auch diese neue Möglichkeit an der Philipps-Uni in Marburg besonders betonen, einen Weiterbildungsmaster macht man hier. Das ist besonders für Lehrer, Künstler und Kunstvermittler interessant. Ich freue mich sehr, dass ich ein Stipendium dafür bekommen habe.

Zum Schluss könnten Sie noch einen Wunsch fürs Museum formulieren.

Ich möchte gerne einen Satz zitieren, den ich in der Pinakothek der Moderne in München auf einem ausgestellten Sitzwürfel, ohne Angabe des Verfassers, gelesen habe. Genau das denke ich auch: „Das Museum als öffentlicher Raum, in dem Menschen Kunst (und sich selbst) begegnen, dient sicher auch dem Kenner und Liebhaber. Das genügt uns jedoch nicht. Wir sind der Meinung, dass Kunst zu wichtig ist, um ihr sinnliches und geistiges Potenzial exklusiv zu nutzen.“

Das Gespräch führte Ingeborg Salm-Boost


Zur Person

Astrid Lembcke-Thiel (51) ist gebürtige Frankfurterin. Sie hat mit ihrem Mann zwei Töchter im Alter von 19 und 21 Jahren. Nach Schreinerlehre und dem Studium der Architektur in Mainz mit Schwerpunkt Innenarchitektur war sie in ihrem Beruf tätig, ehe sie sich für eine ganz andere Laufbahn entschied und 2004 im Museum Wiesbaden zunächst als „Freie“ in die Bildung- und Vermittlungsarbeit einstieg. Mit ihrem Kollegen Daniel Altzweig bietet sie in der Education-Abteilung ein breites Spektrum für Kita-Kinder, Grundschüler und Jugendliche weiterführender Schulen an. Astrid Lembcke-Thiel möchte, dass alle Schulen eines Tages das kulturelle Lernen verfolgen. Ein Thema, dem sie sich berufsbegleitend neben ihrer Arbeit im Museum und als Freiberuflerin derzeit in einem neuen Studiengang zum Weiterbildungsmaster an der Marburger Universität wissenschaftlich widmet. Derzeit schreibt sie ihre Master-Arbeit.


Aktuell von den Freunden geförderte Projekte der Museumspädagogik: #Shortnight von Oranienschülern (anlässlich der Kurzen Nacht der Galerien und Museen), Relaunch Offenes Atelier für Familien (Konzeption, Erprobung, Anleitung), Betreuung Pädagogik an den zwölf eintrittsfreien Samstagen, Konzeption Tischgestaltung für die Museumsgala, Mappenvorbereitung für angehende Studenten an der Hochschule RheinMain zuzüglich 15 Staffeleien, Projekt „Blickfang für Menschen mit Demenz und deren Angehörige. Projekt „Zwischennaht“ – eine Art Nähmanufaktur im Museum mit Flüchtlingsfrauen

 

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