Gesichter des Museums

Folge 9: Susanne Kridlo, Kuratorin Naturwissenschaft

Wenn man Susanne Kridlo im Museum begegnet, dann trifft man auf eine Diplom-Biologin und Kuratorin, die nicht viel Aufhebens um ihre Person macht. Sie weiß die Interessen der Naturhistorischen Abteilungen bestens zu vertreten. Wer mit Susanne Kridlo ins Gespräch über ihre Arbeit heute und in der Zeit vor dem Einstieg ins Museum Wiesbaden kommt, der entwickelt Respekt, Sympathie und Staunen über ihre Vielseitigkeit und Zielstrebigkeit. Hinter ihrem Schreibtisch hängt übrigens das Bild einer beeindruckenden Botanikerin und Erzieherin, die von 1717 bis 1795 lebte: Catharina Helena Dörrien. Sie gilt nicht zuletzt als Pionierin der Mädchenbildung. 


Zwei starke Frauen: Susann Kridlo vor dem Bildnis der Erzieherin und Botanikerin Catharina Helena Dörrien (Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)
Zwei starke Frauen: Susann Kridlo vor dem Bildnis der Erzieherin und Botanikerin Catharina Helena Dörrien (Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)

Frau Kridlo, Sie haben kürzlich einen interessanten Gastbeitrag für den Kurier über den Ornithologen Fritz Neubauer verfasst. Er war in den 50er Jahren Direktor des eigenständigen Naturkundemuseums Wiesbaden. Hätten Sie gerne bei ihm gearbeitet?

Ich glaube schon. Wahrscheinlich hätte ich mich aber blamiert, bin ja keine Vogelkundlerin. Vielleicht wäre ich eine geworden, wenn ich ihm als junge Biologin begegnet wäre – weil Fritz Neubauer so sehr begeistern konnte. Er war ein Mensch, der ein großes Wissen hatte. Übrigens, nach Erscheinen des Artikels rief mich ein früherer Präparator an, der mit Neubauer gearbeitet hatte. Er erzählte, der Direktor hätte in vielen jungen Wiesbadener Männern eine große Leidenschaft für Ornithologie und Zoologie geweckt. Aus manchem seien heute bekannte Professoren geworden…

Die Zeiten der Selbstständigkeit des Naturhistorischen Bereichs sind seit 1973 schon vorbei. Gibt es heute ein gutes Zusammenleben zwischen Kunst und Natur?

Ein kleines Indiz dafür ist, dass wir mittags einträchtig an einem großen Tisch sitzen. Und es gibt immer einen Austausch. Trotzdem ist es gut, dass es klare Bereiche gibt. Ich kam 2008 und habe unter Volker Rattemeyer angefangen. Da stand ja die Feinkonzeption der „Ästhetik der Natur“ an.

Man hat den Eindruck, die Naturkundler sind ein eingeschworenes Team, dem ständig neue Sachen einfallen.

Es ist schon ziemlich großartig, dass wir so viel Kraft in die Ausstellungen investieren können. Es muss ja ein Spagat stattfinden zwischen der Arbeit in den Sammlungen und den Ausstellungen. Da bleibt für wissenschaftliches Arbeiten keine Zeit.  Ich selber komme nicht aus der klassischen Sammlungsarbeit.  Ich hatte immer mehr den Schwerpunkt Vermittlung.

Was gefällt Ihnen am besten an Ihrer Arbeit?

Die Kombination zwischen der Entwicklung von Ausstellungen und der Möglichkeit, jederzeit dazuzulernen. Ich kann recherchieren, zusammenfassen, auf den Punkt bringen … Und ich habe ja immer hier im Museum auch den Kontakt zu den Sammlungen.

Welche Ausstellungen waren für Sie besonders spannend?

Ich finde das Konzept der Dauerausstellung „Ästhetik der Natur“ sehr überzeugend: Die Themen sind ja Form, Farbe, Bewegung und Zeit. Als ich mich beworben hatte, waren die Details dazu noch nicht geplant. Ich konnte an der Feinkonzeption arbeiten, mich mit dem Farboktogon und der Nestervitrine befassen. Es war toll, mit dem Farbforscher Stefan Muntwyler und mit dem Bildhauer Auke de Vries zu arbeiten. Der Niederländer hatte zuvor in der Kunst eine Sonderausstellung mit Skulpturen, sie hieß „Intervention (Nester)“ und zeigte schwebende farbige Metallskulpturen, die aussahen wie Nester. Großartig, dass wir ihn gewinnen konnten, die Nestervitrine zu gestalten!

Und bei den Ausstellungen der vergangenen Jahre?

Die kleine Kabinett-Ausstellung zu Korallen, die Fliegen-Ausstellung und auch das Erdreich waren schon Highlights für mich.

Sie sagten einmal im Zusammenhang mit der Erdreich-Ausstellung: „Böden sind sensible Naturkörper und vergessen nichts“. Ist das ein Achtsamkeitsappell an uns Menschen?

Ja, das kann man so sagen. Das Umweltministerium hatte uns eine Mitmach-Ausstellung angeboten. Unter Einbeziehung dieses Konzepts haben wir dann eine große Sonderausstellung zum Thema Boden entwickelt.

In einer Serie der lokalen Zeitung stellen Sie, gut verständlich, Schätze aus dem Depot vor. Nennen Sie doch mal einige besonders spannende Sammlungsstücke.

Die Eiersammlung ist zum Beispiel immer wieder schön. Es macht stets aufs Neue Freude, diese Schränke aufzuziehen. Und ich bin sehr froh, dass wir die Gerning-Insektensammlung haben, eine der ältesten entomologischen Sammlungen in hervorragendem Zustand. Da gibt es Schmetterlinge und Käfer aus aller Welt. Johann Isaac Gerning, der Sohn von Johann Christian Gerning, hat Wiesbaden diese Schätze überlassen. Damit wurde das Naturhistorische Museum begründet.

Interessant, dass der Frankfurter Gerning Wiesbaden bedachte.

Ich glaube, da hatte Goethe seine Hände mit im Spiel und vermittelte, dass Isaac Gerning eine Leibrente erhielt.

In einem Fragebogen haben Sie verraten, Sie würden gerne ein Buch mit dem Titel „Das andere Denken“ – Über die Entstehung der Lebewesen“ schreiben. Was meinen Sie damit?

Wie das Leben entstanden ist, darüber gibt es viele verschiedene Modelle, Mythen, Geschichten außerhalb der Evolutionstheorie. Damit würde ich mich gerne befassen – und der Antwort auf die Frage nach der Stellung des Menschen gegenüber Tieren und Pflanzen näher kommen.

Museumspädagogik, Vermittlungstätigkeit, das liegt Ihnen auch am Herzen …

Ich habe viele Jahre während des Studiums Führungen im Senckenberg-Museum gemacht. Es ist interessant, zu vermitteln, mitzubekommen, was der einzelne Betrachter denkt. Es ist schön, wenn man im Dialog Kindern, aber eben auch Erwachsenen, auf die Sprünge helfen kann, wenn sie sich ihre Gedanken machen.

Sie waren mal kurz in der Marketing-Branche, das hilft vermutlich auch bei ihrem heutigen Job?

Für eine kleine Frankfurter Firma, die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit machte, hatte ich als ersten Auftrag, für eine Ausstellung zu recherchieren, sie hieß „Von nah und fern“. Ein Projekt des Amtes für multikulturelle Angelegenheiten, das sich an Schulen richtete .

Wie lange ist das schon her?

Es war in den 1990er Jahren. Ich habe damals gelernt: Wenn ich etwas vermitteln will, muss ich Haltung oder Stimmung transportieren. Das hilft beim Ausstellungsmachen.

Und dann kamen Sie vom Recherchieren zum Konzipieren. Etwa in Dresden, beim Deutschen Hygiene-Museum, wo Sie mit der über Deutschland hinaus Aufmerksamkeit erregenden Ausstellung „Sex – Vom Wissen und Wünschen“ zu tun hatten.

Ja, zwei wichtige Stationen waren die Kunsthalle Bonn und das Hygiene-Museum Dresden.

Und was hatte es in Dresden mit dem Sex auf sich?

Diesem Thema widmete sich das Hygiene-Museum und ich war die Projektleiterin. Ein anspruchsvolles Thema in einer Reihe, die sich vorher schon mit Abtreibung und der Pille befasst hatte. Ich sollte Sexualität als biologisches, gesellschaftliches und kulturelles Phänomen präsentieren. Es ist eine kulturhistorische Ausstellung geworden, in der es zum Beispiel auch um die Einordnung der neuesten Reproduktionstechniken ging. Fortpflanzung muss also nichts mehr mit Sexualität zu tun haben. Es ging auch darum, wie sich die Moralvorstellungen verändert haben. Eine der bedeutendsten deutschen Künstlerinnen, Rosemarie Trockel, konnten wir dafür gewinnen, die Ausstellung zusammen mit weiteren Künstlern zu gestalten.

Bleiben wir mal bei der Kunst. Wo liegen denn da Ihre Vorlieben, haben Sie hier im Museum Wiesbaden ein Lieblingskunstwerk?

Nicht wirklich. Aber die Sphinx von Katsura Funakoshi kommt am nächsten dran. Aus den Sonderausstellungen sind mir besonders die Arbeiten von Fred Sandback in Erinnerung geblieben. Und Sabrina Haunsperg hat mich sehr beeindruckt, ich mag die Arbeiten dieser jungen Künstlerin sehr. Mich würde interessieren, ob die Arbeiten von Sandback und Haunsperg in einem Raum zusammen auszuhalten sind … Zurzeit freue ich mich auch über Marioni. Wäre schön, wenn Bilder von ihm nach der Ausstellung hängen bleiben würden.

Zurück zur Naturwissenschaft. Was erwartet die Besucher bei Karl Remigius Fresenius?

Man lernt einen bedeutenden Chemiker kennen, der in diesem Jahr 200 Jahre alt geworden wäre. Die analytische Chemie war damals das, was heute IT bedeutet. Junge Männer haben in Waschküchen experimentiert. Es herrschte Aufbruchstimmung. Und Fresenius war mittendrin. Wenn man sich auf die Kabinett-Ausstellung einlässt, kann man viel Spannendes entdecken. Sehr geholfen hat uns Professor Leo Groß von der Hochschule Fresenius.

Die Eiszeit-Safari ab 7. Oktober wird doch sicher ein Knüller …

Ja, das denke ich auch. Das wird eine sehr familienfreundliche Ausstellung, es gibt viel zu entdecken.

Was beschäftigt Sie besonders in den nächsten Monaten?

Da möchte ich auf eine Kabinett-Ausstellung mit dem Titel „Rot, Weiß, Blau – Farbgeschichten aus Hessen“ hinweisen, die ich kuratiere. Sie startet am 17. März 2019 und zeigt an Beispielen vom 16. Jahrhundert bis heute, wie die Region mit Farben und Farbmitteln verbunden ist.

Das macht neugierig auf das nächste Jahr. Aber kommen wir mal kurz zur Privatperson Kridlo. Außer dem Boden, „der nichts vergisst“, lieben Sie auch das Wasser ganz besonders …

Sie sprechen das Schwimmen an. Ich liebe es, bin in einem Schwimmverein und kann auch außerhalb der Öffnungszeiten meine Bahnen ziehen. Gerne fahre ich auch ans Meer. Und ich trinke sehr gerne klares, gutes Wasser.

Was ist Ihnen im Privatleben wichtig?

Mein Partner. Meine Nichten und überhaupt die Familie und der große Freundeskreis. Und die Kultur ist mir sehr wichtig, im Kleinen wie im Großen.

Hätten Sie einen Wunsch an uns Freunde des Museums?

Dass sie noch mehr Werbung für die Naturhistorischen Sammlungen machen. Wir erfahren schon viel Unterstützung vom Verein, etwa, wenn wir besondere Referentinnen und Referenten zu Vorträgen einladen. Wir freuen uns auch immer wieder über den großen Zuspruch, wenn wir einen Jour Fixe für die Freunde anbieten. Unsere Ausstellungen könnten aber immer noch viel mehr Besucher vertragen. Also, den nächsten Besuch, den Freunde des Museums haben, auch in die Dauerausstellung „Ästhetik der Natur“ führen!

Zum Schluss: Was wünschen Sie sich fürs Museum?

Der Wunsch richtet sich eigentlich ans zuständige Ministerium, ich denke, die Museumsleitung haben wir schon überzeugt: Wir brauchen eine feste Stelle in der Museumspädagogik für die Naturhistorischen Sammlungen, eine Person mit biologischem Hintergrund. Die Vermittlungsangebote können immer noch ausgebaut werden.

Das Interview führte Ingeborg Salm-Boost


Zur Person
Susanne Kridlo stammt aus Nordrhein-Westfalen, sie ist in Baden-Württemberg und Hessen aufgewachsen. In Frankfurt absolvierte die heute 60-jährige Diplom-Biologin ihr Studium. Schon als Studentin war sie im Senckenberg-Museum aktiv und wurde „infiziert“, Ausstellungen zu machen. Sie war auch wissenschaftliche Mitarbeiterin am Senckenberg-Museum. Ein Volontariat im Naturkundemuseum Braunschweig gehörte ebenso zu ihren Stationen wie der Ausflug in die PR-Welt. Freiberufliche Tätigkeit führte sie unter anderem in die Bundeskunsthalle nach Bonn und ans Deutsche Hygiene-Museum Dresden. Seit 2008 arbeitet sie im Museum Wiesbaden in der Abteilung Naturhistorische Sammlungen als Kuratorin. Susanne Kridlo lebt mit dem Pfarrer und Medienexperten der Evangelischen Kirche in Frankfurt, Hans Albert Genthe, in Eschborn. „Wir suchen gerade eine Wohnung in Wiesbaden“, verrät Susanne Kridlo im Interview für die Freunde-Website.

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