Im Atelier bei …

„Ich wusste lange Zeit nicht, dass man Malerei studieren kann“ …

… sagt Viola Bittl, und noch immer scheint sie ein wenig überrascht zu sein, dass sie es dann wirklich auch gemacht hat. Schmal, fast zierlich in dunkler Jeans, grauem T-Shirt und schwarzen Sneakern, ohne Schminke und Schmuck, wirkt sie sehr jung. Die heute 44-jährige Künstlerin steht mitten in ihrem fast leeren Atelier in Frankfurt.

Viola Bittl freut sich über ihren neuen Katalog. (Foto: Martina Caroline Conrad)

Die meisten ihrer Bilder sind derzeit in einer Ausstellung in Engen am Bodensee, und ein Großteil ihrer Malutensilien ist in Bamberg. Dort hat Viola Bittl ein elfmonatiges Stipendium am Internationalen Künstlerhaus Villa Concordia. Und das ist das Stichwort – ein Stipendium verbindet sie auch mit Wiesbaden. Während der Corona-Pandemie vergab das Land Hessen Arbeitsstipendien an Künstlerinnen und Künstler, allerdings unter der Voraussetzung, dass sich eine andere Institution beteiligt. Keine Frage für die Freunde des Museums Wiesbaden e.V., sollte doch anschließend dafür ein neues Werk dem Museum gehören und zudem eine kleine Ausstellung realisiert werden.

Eva Hesse, No Title, 1961 umrahmt von Viola Bittl, Ohne Titel X, 2020 und Ohne Titel II, 2020 in der Ausstellung „Viola Bittl – Intervention“ © Estate of Eva Hesse ⁄ Viola Bittl. (Foto: Wolfgang Günzel)

So ein Stipendium ist ein Glücksgriff für eine Künstlerin – zumindest, wenn sie Viola Bittl heißt. Vorher war viel Trubel und Ablenkung, durch die finanzielle Unterstützung war es für sie 2021 möglich, sich in ihr Atelier zurückzuziehen und ganz konzentriert an einem großformatigen Bild zu arbeiten. Im Katalog zeigt sie mir das Bild, das ich bereits aus dem Museum Wiesbaden kenne. Ein Großformat in leuchtenden Farben. Zwar hat das Gemälde keinen Titel, aber für mich ist es eine Kreuzung, blau auf hellem Grund. Hier trennen sich Wege oder finden neu zusammen. Hier muss man sich entscheiden, in welche Richtung es weitergehen soll oder ob man kurz innehält. Vielleicht auf der Überholspur, also der etwas dunkleren Fläche? Vielleicht aber will man auch lieber etwas abwarten, im hellen Außerhalb bleiben. Viola Bittl überlegt – nein, das hat sie eigentlich nicht gemeint mit dem Bild. Aber es ist wichtig, dass es viele Möglichkeiten gibt in ihren Bildern – auch für den Betrachter. „Wenn ich darin etwas Konkretes sehe, muss ich es übermalen, denn das möchte ich nicht.“

Viola Bittl, Ohne Titel X, 2020 (erworben mit Unterstützung der Freunde des Museums Wiesbaden) wurde in der Ausstellung „Viola Bittl – Intervention“, 1. Oktober 2021 bis 6. Februar 2022, vorgestellt. (Foto: Bernd Fickert/Museum Wiesbaden)

Ganz klar ist das Bekenntnis zur Abstraktion, zu einer Malerei, in der es Pinselspuren gibt, dünne Lasuren und deckende Schichten, Formen und Linien, aber keine Figur. Vorder- und Hintergrund schieben sich mal über-, mal nebeneinander. Ein Raum, den man mit eigenen Gedanken und Assoziationen füllen kann.

Wie kommt man zur Malerei in einer Zeit, in der die Malerei immer wieder totgesagt wird? Viola Bittl überlegt … Wieso wird man Künstlerin? Viola Bittl überlegt … Nur zögerlich erklärt sie, dass sie zwar als Kind gerne gemalt hat, aber nie im Museum war. „Ich komme aus einer Arbeiterfamilie und wusste lange Zeit nicht, dass man Malerei studieren kann.“

Im Prinzip ist es ein großer Zufall, dass Viola Bittl zur Malerei gefunden hat. 2004 war sie als Au-pair in Arizona und wusste nicht wie es weitergehen soll in ihrem Leben. Ziellos durchstöberte sie das Internet, entdeckte das Studium an einer Kunstakademie. Und jetzt gab es ein Ziel! Die 24-Jährige sondierte ausführlich per Internet Malschulen, Akademien, Professorinnen und Lehrer. Sean Scully, damals Professor in München, hatte es ihr angetan. „Für mich war es absolut verständlich, wie er über abstrakte Malerei spricht.“ Viola Bittl hat nur Fachabitur, erzählt sie. Doch sie wollte zu Sean Scully, einem abstrakten irischen Maler, hat sich beworben und wurde angenommen. Damals malte sie noch Porträts und Landschaften. „Ich wusste, dass ich die Person finden muss, die mich unterrichtet – und nicht derjenige mich.“

Beeindruckend an Scully war, dass er seine Schüler unterstützt hat und jeden seinen eigenen Weg gehen ließ, erzählt Viola Bittl. Viele andere Professoren und Professorinnen würden mehr Eingriff in die Kunst ihrer Studenten und Studentinnen nehmen. Doch nach drei Jahren hat der Professor und überaus renommierte Maler dann die Akademie in München verlassen.

Unzufrieden fragte sich Viola Bittl 2007: „Was mache ich eigentlich?“ Zwar war sie glücklich, dass es mit dem Studium der Malerei geklappt hatte, aber mit ihrer Malerei schien es nicht vorwärts zu gehen. Doch statt aufzuhören, ist die Künstlerin mit der ihr eigenen Beharrlichkeit ihren Weg gegangen, hat neue Impulse gesucht. Sie löste sich während eines Auslandssemesters in Finnland von allem Figürlichen. Sie hat die Bilder entleert, bis nur noch Malprozess und abstrakte Formen geblieben sind. Die Spur des breiten Pinsels war damals wie heute wichtig.

Das Wohnzimmer einer Malerin. (Foto: Martina Caroline Conrad)

An der Städelschule in Frankfurt wurde der Weg konsequent weiterverfolgt. Ihre Gemälde und Zeichnungen können – so sagt Viola Bittl – alles sein. Früher waren da mal weniger Schichten, heute sind Vorder- und Hintergrund mehr ineinander verwoben. Wichtig ist, dass der Prozess des Auflösens und Verdichtens, das Malen verschiedener Schichten, das Überdecken und wieder Sichtbarmachen zu einem für sie stimmigen Gesamteindruck führt.

Und der scheint auch für andere stimmig zu sein. Immer wieder erhält Viola Bittl Stipendien und Preise – so das Projektstipendium zu Corona-Zeiten mit Hilfe der Freunde des Museums Wiesbaden oder ein sehr begehrtes Residenzstipendium der Hessischen Kulturstiftung 2017 in New York. Auf der Homepage der Hessischen Kulturstiftung ist dazu zu lesen: „Während ihres Stipendiums in New York studierte Bittl in den Museen, Galerien und Bibliotheken die abstrakte Malerei der 30er und 40er Jahre des 20. Jahrhunderts und setzte sich intensiv mit in Europa wenig bekannten Künstlern wie William Baziotes, Forrest Bess, Myron Stout und Arthur Garfield Dove auseinander. Im Atelier tauschte sie sich mit den zeitgenössischen Malern Gary Stephan und David Reed aus, die ebenfalls Möglichkeiten der malerischen Abstraktion ausloten. Bittls Bilder, meist Öl auf Leinwand, bieten kaum erzählerische Anknüpfungspunkte. Oft sind ihre Bilder jedoch von einer Empfindung oder Impression inspiriert, die sie zu neuen Ideen und Fragestellungen an Malerei anregen. Neben dem Studium der amerikanischen Malerei ließ sie sich von der New Yorker Architektur, von zeitgenössischem Tanz und dem alltäglichen Umfeld zu neuen Arbeiten anregen.“

Der Entwurf für ein Kunst-am-Bau-Projekt. (Foto: Martina Caroline Conrad)

Stipendien und Preise sind wichtig für Viola Bittl; sie nutzt diese Zeiten ohne finanzielle Sorgen, um ihre Malerei weiterzuentwickeln. In den letzten zwanzig Jahren hat sich die Künstlerin oft mit Nebenjobs über Wasser gehalten, um malen zu können. Viele Durststrecken liegen hinter ihr. Oft hatte sie das Gefühl, „niemand interessiert sich für meine Bilder.“ Immer wieder gab es Zweifel, aber nie hätte sie die Malerei aufgegeben. „Ich bin geduldig. Das Schwierigste ist immer, neue Bilder zu malen. Der Kampf vor der leeren Leinwand.“

Auszeichnungen ebnen Wege, ebenso wie ein Atelier. Mitten in Frankfurt in der Gutleutstraße, ganz hinten die letzte Tür, führt zu Viola Bittls Atelier: zwei kleine Zimmer für sie, Küche und WC auf dem Flur mit zahlreichen anderen Künstlerinnen und Künstlern. Früher war das Haus mal ein Luxushotel. Von außen nobel, aber ein bisschen heruntergekommen, diente die Adresse später als NSDAP-Parteizentrale, Sitz der KPD-Bezirksleitung, Filmarchiv und Landesbildstelle. Seit 2008 sind hier Künstlerateliers untergebracht. Sie werden gefördert, aber sie sind nicht umsonst. Ein wichtiger Baustein in der Karriere von Viola Bittl, die sich sonst kein Atelier leisten könnte.

Vorstudien und Entwürfe für Bilder entstehen. (Foto: Martina Caroline Conrad)

Ich verabschiede mich nach einer guten Stunde von der Künstlerin. Privates gibt sie nicht gerne preis, aber wir haben über vieles gesprochen – Kunst und Künstlerinnen, Akademien und Ausstellungen, vor allem aber über Malerei.

Ich glaube nicht, dass es Zufall war, dass Viola Bittl entdeckt hat, dass man Malerei studieren kann. Hartnäckig und beständig, konzentriert und zielstrebig wie sie ist, hätte sie den Weg zur Malerei mit Sicherheit früher oder später gefunden. Ihre Bilder erzählen Geschichten ohne Figuren, sie vermitteln Farbeindrücke und Gefühle, sie sind offene Räume für den Betrachter. Aber sie sind vor allem malerisch im besten Sinn, Farbe definiert Formen ohne gegenständlich zu sein.

Martina Caroline Conrad

 

 

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