Im Gespräch mit Danielle Neess

Große Auftritte liebte er nicht

Ein Bilderbuch-Sommertag. Ein wunderbarer Garten. Und mir gegenüber zwei sympathische Damen, Freundinnen des Museums Wiesbaden. Wir sitzen bei Tee und Kuchen, Mops Hector lässt sich im Schatten nieder, am Stuhl seiner Dame des Herzens. Es ist Danielle Neess, Witwe von Ferdinand Wolfgang Neess, der dem Museum Wiesbaden mit seiner einzigartigen Jugendstil-Sammlung 2019 eine „Sensationsschenkung“ gemacht hat. Ende Januar 2020 ist der Mäzen verstorben. Im Interview für diese Freunde-Website in der Jugendstilvilla des Paares zwischen all den Kostbarkeiten hatte er im August 2018 gesagt, dass das Sammeln der Jugendstil-Kunst seine Lebensaufgabe sei. Große Auftritte waren seine Sache nicht, doch von seiner Leidenschaft erzählte er gerne. Am 28. Juni, dem Tag an dem seit Eröffnung der Dauerausstellung „Jugendstil. Sammlung Neess“ ein Jahr vergangen ist, wäre Ferdinand Wolfgang Neess 91 Jahre alt geworden. Auch, wenn es ihr nicht ganz leicht fällt, über ihren Mann und sein beeindruckendes Sammler-Leben zu sprechen, Danielle Neess kommt zu einem Treffen im Garten ihrer Freundin Ursula Misselhorn.

Es wird ein schöner, langer Nachmittag. Danielle Neess, die eng mit dem Museum Wiesbaden zusammenarbeitet, hat dafür gesorgt, dass zum Jahrestag die Ausstellung um mehrere Exponate bereichert werden konnte. Sie sagt: „Das Werk von Ferdinand soll in seinem Sinne weiterleben, ich möchte, dass Ferdinand von oben hinunter schaut und glücklich ist.“

Schon vor langer Zeit hatte sich die Französin in die Jugendstil-Materie eingearbeitet, hatte dann mit ihrem Mann die Schenkung mit über 500 Exponaten vorbereitet. Keine Frage, dass es unzählige Dinge für den Vertrag zu verhandeln und zu klären galt. Aber das ist Vergangenheit. Das „Gesamtkunstwerk“, wie es nun im Südflügel des Museums zu bewundern ist, hält sie für äußerst gelungen. Dass sie einige Monate nach der Eröffnung immer wieder mal mit Freundinnen in der Ausstellung mit den zahllosen Kostbarkeiten Staub wischte – weil zunächst niemand dafür zur Verfügung stand, ist nun auch vorbei. „Wir haben dann eine Lösung gefunden“, sagt Danielle Neess, die regelmäßig im Jugendstil unterwegs ist und auch Alarm schlägt, wenn zum Beispiel die Podeste nicht in Ordnung sind. Sie ist temperamentvoll, hält mit ihrer Meinung nicht hinter dem Berg. Mit Kustos Dr. Peter Forster, der vom ersten Tag an mit dem Ehepaar diese „Sensationsschenkung“ vorbereitete, ist die Witwe in gutem Einvernehmen und ständigem, engem Austausch. „Es gibt viele Details, um die ich mich kümmere.“ Dass der neue Direktor, Dr. Andreas Henning, kurz nach seinem Antritt den Weg zu Danielle Neess in die Jugendstil-Villa fand, die Ferdinand Wolfgang Neess einst vor dem Verfall rettete, das hat sie gefreut.

Bevor wir im Garten sitzend einen kleinen Ausflug in die Vergangenheit machen, frage ich, ob sie denn im Bezug auf das Landesmuseum und die nun dort für immer beheimatete Sammlung noch Wünsche hat. Oh ja, die gibt es. Als erstes wünscht sie sich, „dass jemand Dr. Forster unterstützt“, denn diese Sammlung sei eine ständige Herausforderung. „Es wäre kein Luxus, wenn er hier einen Mitarbeiter bekäme.“ Und dann wäre da der Wunsch, dass die nächste Generation die Kunst des Jugendstils mit all ihren Facetten noch mehr entdecken, lieben und schätzen lernt. Dass überhaupt, dieses „Gesamtkunstwerk“ weiter so viele Menschen mit seiner Pracht erfreuen kann. Es rührt Danielle Neess, wenn sie bei ihren Streifzügen durch die Sammlung („am liebsten allein“) begeisterte Menschen trifft. Und wenn sie immer wieder einen Herrn sieht, der auf einem Stuhl vor der Sphinx (von Franz von Stuck) sitzt und dieses ganz besondere Werk betrachtet. Sie wünscht dem Museum, dass es weiter als Haus der Kunst und Natur, in das der Jugendstil wunderbar passt, so begehrt bleibt.

Oskar Zwintscher „Bildnis mit gelben Narzissen“; © Sammlung F. W. Neess (Foto Markus Bollen)

Die Witwe des Mannes, der die größte europäische Privatsammlung des Jugendstils zusammengetragen hat, sagt: „Die Ästhetik war ihm das Wichtigste.“ Und: „Er erwarb nur Spitzenqualität, von jedem Künstler nur das Beste.“ So bescheiden er selbst gewesen sei, so prächtig habe er seine Sammlung zusammengestellt. Wenig nur habe er ausgeliehen. „Die Sammlung war immer schon in der ganzen Welt bekannt. Aber man kannte sie nur von Abbildungen, die wenigsten sahen die Bilder, Keramiken, Möbel, Lampen in natura. Von so mancher Auktion beispielsweise in Paris oder Wien mit so manchem prominenten Mitbieter kann Danielle Neess erzählen. Und davon, wie ihr Mann zumindest nach außen hin unaufgeregt und beharrlich sein Ziel jeweils verfolgte.

Apropos Paris. Für Kustos Forster war es jetzt auch ein glücklicher Umstand, dass Danielle Neess noch beste Verbindungen in die Hauptstadt Frankreichs hat. Denn als sinnvolle Ergänzung war er höchst interessiert an zwei Arbeiten von Agathon Léonard, Tanzfiguren, die für einen Tafelaufsatz aus Porzellan entworfen und mit Fassungen in vergoldeter Bronze versehen wurden (siehe Artikel „Ein Jahr Jugendstil“). Diese beiden Spitzenobjekte, wie sie eher selten zu sehen seien, hat die Witwe noch zusammen mit ihrem Mann erworben, nun können sie im Museum bewundert werden, sagt uns Peter Forster begeistert am Telefon. Auch die hochwertigen Vitrinen wurden dafür von Danielle Neess angeschafft. Und ebenso ließ sie nun, zum Jahrestag, dem Museum das Gemälde „Der Tod und das Mädchen“ zukommen, geschaffen von Friedrich König, Mitbegründer der Wiener Sezession. Dieses Werk hatte Danielle Neess entdeckt – und erworben.

Agathon Léonard „Danseuse aux cothurnes“, Jugendstilsammlung F.W. Neess (Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)

Das Ehepaar Neess hatte sich, überzeugt das Richtige zu tun, von der gesamten Sammlung (bis auf einige Werke und Dauerleihgaben) getrennt. „Ich empfinde eine Menge Glück, das empfinde ich nach der Wegbereitung, bei der mir meine Frau sehr geholfen hat. Jetzt weiß ich, wo meine Sammlung hinkommt, das ist eine Sicherheit, die ich vorher nicht hatte.“ Dies sagte Ferdinand Wolfgang Neess 2018 im Interview für diese Website. In Kürze wird nun auch noch die umfangreiche Fachbibliothek des Verstorbenen ihr neues Domizil im Museum finden, so wie es im Schenkungsvertrag vorgesehen ist. Noch muss der Platz dafür vorbereitet werden, die Jugendstil-Literatur soll für Forschungsarbeiten öffentlich zugänglich sein.

Viel könnten wir noch an diesem Nachmittag im Garten des Ehepaars Misselhorn, das übrigens auch die Arbeit von Peter Forster immer wieder unterstützt, über das Museum und den Jugendstil allererster Klasse reden. Auch darüber, dass Ferdinand Wolfgang Neess noch eine zweite Leidenschaft hatte: Die Musik. Er spielte Querflöte und gab Konzerte mit Musik aus der Jahrhundertwende, erinnert seine Frau. Nun soll aber zum Abschluss sie uns verraten, welches Exponat ihr ganz besonders am Herzen liegt. Sie macht kein Geheimnis daraus: Das Werk heißt „Das Geheimnis“ (Le Secret), von Georges Flamand und gehört zur Sammlung.

Der Nachmittag ist fortgeschritten. Immer noch herrliches Sommerwetter. Mops Hector döst vor sich hin. Es waren unterhaltsame Stunden. In Erinnerung an einen besonderen Menschen und Sammler, der, wie seine Frau sagt, stets am liebsten in „seiner Welt“ blieb.

Ingeborg Salm-Boost

Jugendstil-Glasvitrine (Ausstellungsansicht), Jugendstilsammlung F.W. Neess (Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)

Titelbild: Ehepaar Neess, 2019 (Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)

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