Interview mit Reinhard Ernst

Eine „Kunstmeile“ für Wiesbaden

So sieht das Maki-Museumsgebäude im Vorentwurf aus: helle Granitfassade, Fensterfront im Erdgeschoss. Es soll ein Café und einen öffentlich zugänglichen Innenhof geben. Foto: zur Verfügung gestellt von Reinhard Ernst
So sieht das Maki-Museumsgebäude im Vorentwurf aus: helle Granitfassade, Fensterfront im Erdgeschoss. Es soll ein Café und einen öffentlich zugänglichen Innenhof geben. Foto: zur Verfügung gestellt von Reinhard Ernst

Liebe Freunde, kurz nach Erscheinen unseres Interviews mit Reinhard Ernst, hat – wie auf dieser Website angekündigt – der weltweit bekannte japanische Architekt Fukihimo Maki in Wiesbaden dem Gestaltungsbeirat seinen Museums-Entwurf  für die Wilhelmstraße 1 vorgestellt. Wie im Wiesbadener Kurier vom 14. September zu lesen war, zeigte sich das Fachgremium von den Ideen Makis tief beeidruckt. Die Vorsitzende Gesine Weinmiller drückte es so aus: „Machen Sie einfach weiter damit, so schnell Sie können.“ Wir zeigen Ihnen den Entwurf als Ergänzung zu unserem Gespräch mit dem Sammler Reinhard Ernst, der das Museum für abstrakten Expressionismus auf eigene Kosten bauen und betreiben will.


Wir sitzen im Stiftungsbüro am Kureck zwischen einigen seiner abstrakten Bilder und an einem imponierenden Tisch, der aus Teilen einer alten Flugzeugtragfläche gearbeitet ist. Und – die Besucherin staunt – in einer Ecke ist ein wunderschöner alter Kachelofen zu entdecken. Wie das? Reinhard Ernst verrät, dass er seit vielen Jahren solche Öfen erwirbt und mit eigener Hand restauriert …

Doch hier geht es heute um die „Kunstmeile“.

Eine „Kunstmeile“ für Wiesbaden? Die hessische Landeshauptstadt könnte ganz nah an der Verwirklichung dieser Idee sein – wenn tatsächlich in diesem Jahr das von Sammler Reinhard-Ernst verfolgte Museums-Projekt auf dem Grundstück gegenüber dem Museum Wiesbaden (wo einmal das Stadtmuseum geplant war) genehmigt werden sollte. Der renommierte und weltweit bekannte japanische Architekt Maki hat bereits Vorplanungen im Auftrag der Sonja & Reinhard Ernst-Stiftung fertiggestellt. Am 13. September wird er in Wiesbaden vor dem Gestaltungsbeirat, der teils öffentlich tagt, seine Idee vom Museum der abstrakten expressionistischen Kunst vorstellen.

Reinhard Ernst möchte dort seine Sammlung und wechselnde Ausstellungen zeigen. Wenn man sich über den Erbbauzins einigen kann, würde er den Bau finanzieren und das Museum auf Kosten der Stiftung betreiben. Äußerst angenehme Aussichten für Freunde der Bildenden Kunst. Auf der Rue fänden sich dann neben dem Museum Wiesbaden das Museum des Sammlers Ernst, der Nassauische Kunstverein und auf der anderen Straßenseite der Bellevue-Saal. Aber lassen wir Reinhard Ernst selbst sprechen. Er, der gerne eng mit dem Museum Wiesbaden zusammenarbeiten möchte, ist übrigens während unseres Interviews zum „Freund des Museums“ geworden. Dem Collector’s Circle, der das Museum mit 10 000 Euro pro Mitglied/Paar jährlich unterstützt, gehört er seit Gründung an.


Herr Ernst, können die Freunde des Museums mittlerweile mit Ihnen zuversichtlich auf Ihre ambitionierten Pläne für Wiesbaden schauen?

Ich möchte den Tag nicht vor dem Abend loben. Fest steht: Beide Seiten wollen bis Jahresende zu einem Ergebnis kommen. Und die Verträge sollen formuliert sein, so dass das Parlament entscheiden kann. Ich bin zuversichtlich.

Glauben Sie daran, dass Sie mit der Stadt über das Feintuning einig werden, wenn erst einmal grundsätzlich die Ampel auf Grün geschaltet worden ist?

Ich denke schon.

Was erwarten Sie an Entgegenkommen, wenn Sie das Museum mit Ihrer Sammlung und wechselnden Ausstellungen nicht nur bauen, sondern auch auf Ihre Kosten betreiben? Immerhin sind Sie nicht nur Kunstfreund, sondern ebenfalls sehr erfolgreicher Geschäftsmann.

Meine Erwartungen waren schon von Anfang an niedrig angesetzt. Über die Modalitäten des Erbbaurechtsvertrags wird derzeit verhandelt.

Frankenthaler – zur Verfügung gestellt von Reinhard Ernst

Haben Sie denn in den vergangenen Monaten auch häufiger mit Bürgern gesprochen? Es gab immerhin so etwas wie eine kleine Bürgerbeteiligung.

Da gab es ja Zustimmung. Von den Menschen, die ich kenne, ist offenbar keiner negativ gestimmt. Natürlich muss ich mich fragen: Sind alle ehrlich zu mir? Es wäre sicher einfach, ein Hotel an der exponierten Stelle zu bauen, aber wäre die Chance dann nicht vergeudet, eine „Kunstmeile“ in der Stadt zu etablieren? Ein Stadtmuseum dort wäre auch gut gewesen, aber diese Chance ist vertan.

Bei den politischen Entscheidungsträgern scheint es mittlerweile eine breite Zustimmung für Ihr Konzept zu geben?

Ja, ich habe es schon in einigen Rathaus-Fraktionen vorgestellt, das Echo war positiv. Bei der CDU war ich leider noch nicht eingeladen, aber auch von einzelnen CDU-Politikern habe ich positive Resonanz erfahren.

Eigentlich muss man in Wiesbaden doch froh sein, dass Limburg – wo sie ja bis 2017 zwei große, weltweit agierende Firmen hatten – nicht auf Ihre Idee des Kunstmuseums eingegangen ist …

Die Voraussetzungen haben dort nicht gestimmt. Man hätte mir zeigen müssen, dass man das Museum will. Meine Vorstellung war, dass die Stadt sich in dem Ort, an dem ich lange Zeit Gewerbesteuer in Millionenhöhe gezahlt habe, zur Hälfte, maximal mit 500 000 Euro jährlich, an den Betriebskosten beteiligt. Und dass die Entscheidungsträger 75 Prozent Zustimmung geben – 73 Prozent wäre auch noch in Ordnung gewesen…

Und da stellte man sich quer. Ein Glück für Wiesbaden.

In Limburg wäre es auch ein anderes Konzept gewesen. Wir hätten nicht in der Stadt, mehr in die Landschaft gebaut, Planungsentwürfe gab es schon.

Aber hier in Wiesbaden wollen Sie die Betriebskosten alleine tragen?

Ja, hier zahle ich auch keine Gewerbesteuer.

In der Wilhelmstraße ist ja der Sitz der Sonja & Reinhard-Ernst-Stiftung. Wird diese das Museum, so es denn kommt, betreiben?

Ja. Die Stiftung verfolgt nur eigene Projekte in den Bereichen Kunst und Kultur, Ausbildung und Unterstützung von Jugendlichen und alten Menschen sowie im Denkmalschutz. In Japan haben wir zum Beispiel nach der Tsunami-Katastrophe 2011 in Natori das Haus der Begegnung gebaut, für Kinder und für Alte. Dort leben viele Betagte heute noch in Containern. Es gibt bei diesen Menschen viel aufzuarbeiten. Und in Eppstein haben wir 2016 eine Musikschule errichtet, an der nun 450 Kinder Unterricht erhalten.

Zurück zum Museumsprojekt. Sagen Sie uns etwas zum Stand der Planungen Ihres Architekten und Freundes Maki, der ja am 13. September vor dem Gestaltungsbeirat die Ideen erläutern soll. Sie waren soeben wieder in Japan

Die Vorplanungen sind weit gediehen, das hat die Stiftung finanziert. Die japanischen Architekten kommen ständig hierher. Fumihiko Maki steht für Schlichtheit, für Einfachheit. Unser mögliches Museum wird aber aufgelöster als man seine Handschrift vielleicht von anderen Bauten kennt. Er hat internationales Renommee, ist Pritzker-Preisträger und hat zum Beispiel das Four World Trade-Center Ground Zero in New York (2008 bis 2013) gebaut. Eines ist mir wichtig: Ein Museum soll nicht bei den Besuchern Ehrfurcht auslösen, sondern Wohlbefinden, auch wenn im Inneren natürlich nicht nur schöne Bilder zu sehen sein werden. Sie wissen, es wird auch einen Veranstaltungsraum und ein Café geben, das sollte man von außen wahrnehmen. Und viel Grün gehört dazu. Es gibt zahlreiche Ideen, die wir gemeinsam entwickelt haben.

Sie wollen schon im Detail mitsprechen?

Ja, ich weiß von jeder Ecke, was dort hinkommen soll. Wir müssen entlang der Wilhelmstraße und der Rheinstraße bauen, das ist vorgegeben. Dann ist die Frage, wie löst man diesen Würfel auf. Es geht nach heutiger Planung um 8 500 Quadratmeter Nutzfläche.

K. O. Goetz – Zur Verfügung gestellt von Reinhard Ernst
K. O. Götz – zur Verfügung gestellt von Reinhard Ernst

Jetzt ist es aber höchste Zeit, dass wir über die Inhalte, über Ihre Sammlung reden. Wie würden Sie einem in Ihrem Genre nicht so bewanderten Kunstfreund in kurzen Worten Ihre Sammlung näherbringen?

Sie besteht ausschließlich aus abstrakter Kunst und hat drei Schwerpunkte. Deutschland und Europa – alles, was nach 1945 bis 1980/90 passiert ist, auch mit zeitgenössischer Kunst.

Das war erst ein Bereich …

Der zweite ist die japanische abstrakte Kunst nach 1945. Diese Kunstrichtung war nicht bekannt in Europa. Ich bin seit 1970 in Japan zu Hause. Eine Große unter den Künstlern, Tokoda, wird jetzt 105.

Und der dritte Schwerpunkt?

Da sind wir bei den Amerikanern. Etwa bei Morris Louis, da ist auch eine Leihgabe im Museum Wiesbaden: „Looms“ von 1959. Von meinen rund 600 Bildern sind immer welche unterwegs.

Sie haben doch sicher auch Lieblingsbilder?

Ich habe drei Favoriten: Karl Otto Götz, Hubert Berke (der ist zu wenig bekannt) und meine Lieblingsmalerin Helen Frankenthaler. Von ihr habe ich die größte Sammlung außerhalb der USA. Auch Robert Motherwell, mit dem sie eine Zeit lang verheiratet war, ist in meiner Sammlung vertreten. Es ist reiner Zufall, aber ich habe sogar das Bild „The Wedding“, das er malte, als die beiden heirateten. Es gibt von mehreren Künstlerehepaaren Werke bei mir, das würde für eine eigene Ausstellung reichen. Es ist aber wirklich Zufall.

Gehen wir mal kurz ins Museum Wiesbaden, dem Sie ja verbunden sind. Was gefällt Ihnen hier besonders?

Hier gibt es einige wunderschöne informelle Bilder. Zum Beispiel Karl Otto Götz. Es hängt so einiges, was auch in mein Museum passen würde. Es wird zu einer engen Zusammenarbeit kommen.

Mit Museumsdirektor Alexander Klar haben Sie einen beharrlichen Mitstreiter für die Museumsidee gefunden. Wie kamen Sie zusammen?

Wir kennen uns, seit er in Wiesbaden ist. Und er unterstützt mich sehr. Ich habe auch immer schon Kontakt zu Volker Rattemeyer, ein großer Kenner der Kunst, die ich sammle. Ich habe viel von seinem Wissen profitiert, vor allem was die „Amerikaner“ angeht.

Was hat Sie bewogen, seit Beginn dem Collector’s Circle des Museums Wiesbaden beizutreten, wo Sie doch eigentlich Ihr eigenes Museumsding voranbringen wollen?

Ich bin dem Museum Wiesbaden verbunden und unterstütze es gerne regelmäßig. Daran wird sich nichts ändern.

Aber Mitglied bei den Freunden sind Sie – noch – nicht?

Das können wir gerne ändern. Schicken Sie mir einen Mitgliedsantrag.

Das mache ich doch sehr gerne.

Motherwell – zur Verfügung gestellt von Reinhard Ernst

Herr Ernst, Ihre Frau tritt selten in der Öffentlichkeit auf, wie steht sie eigentlich zu den Plänen?

Sie hat sich sofort angefreundet mit meiner Kunst-Vorliebe und ist mit den Werken, die wir zu Hause hängen haben, sehr einverstanden. Sie ist an meiner Seite, bleibt aber lieber im Hintergrund, was mir persönlich auch lieb wäre, aber ich muss ja meine Pläne in der Öffentlichkeit vertreten. Meine Frau kümmert sich mehr um den sozialen Bereich unserer Stiftung, zum Beispiel um die Musikschule in Eppstein.

Nochmal zum geplanten Museum. Wie sollte es denn heißen?

Man sagt mir, es müsste unseren Namen tragen. Aber damit habe ich nicht viel am Hut. Da ist noch nichts entschieden.

Jetzt drängt sich noch die Frage auf: Kränkt es Sie eigentlich, wenn manche behaupten, Sie wollten sich „nur“ ein Denkmal setzen?

Wer das behauptet, hat sich mit dem Thema nicht befasst. Es kränkt mich nicht.

Herr Ernst, viele Wiesbadener meinen, Sie seien hier noch gar nicht lange in der Landeshauptstadt zu Hause. Das trügt aber? Sie waren früher nur wenig in der Öffentlichkeit unterwegs.

Ja, letzteres stimmt, ich war geschäftlich viel im Ausland. Aber wir wohnen bereits seit 2000 hier. Auch in den 1980er Jahren wollten wir schon in Wiesbaden bauen, aber da haben wir nichts Passendes gefunden und haben in Eppstein gebaut. Meine Frau stammt aus Naurod.

Zum Schluss eine Wiesbaden-Frage an Sie: Wenn Sie mit ortsunkundigen Gästen drei Stationen in Wiesbaden ansteuern sollten, wo würden Sie dann hingehen – Museen mal nicht berücksichtigt?

Das wären schon klassische Ziele: Neroberg, Kurhaus und Rheinufer.

Das Interview führte Ingeborg Salm-Boost

Sammler Reinhard Ernst vor "Looms" von Morris Louis, das als Leihgabe im Museum Wiesbaden hängt. Foto: Bernd Fickert/Museum Wiesbaden
Sammler Reinhard Ernst vor „Looms“ von Morris Louis, das als Leihgabe im Museum Wiesbaden hängt. Foto: Bernd Fickert/Museum Wiesbaden

Zur Person

Seit Anfang der 1980er Jahre sammelt Reinhard Ernst moderne Kunst. Geschäftlich war er viel auf Reisen. Und nutzte diese auch, sich in Museen umzusehen. So wuchs seine Leidenschaft für die abstrakte expressionistische Malerei heran. Heute hat er – im erbauten Depot, zu Hause, im Büro und als Leihgaben auf Reisen – rund 600 Werke mit den Schwerpunkten Europa, Amerika und Japan. Mit Japan war er immer schon geschäftlich verbunden, ist es auch heute noch emotional. Das Ehepaar Ernst hat gute Freunde in Japan, so auch den berühmten Architekten Fumihiko Maki.

Reinhard Ernst begann als Angestellter im Management 1970 bei Harmonic Drive Systems, einem amerikanisch-japanischen Unternehmen für Antriebstechnik. Später erwarb er, zunächst mit drei Kollegen, die in Deutschland und Japan agierende Gesellschaft. 1988 wechselte er den Standort: von Langen nach Limburg in einen Neubau. Ernst zog sich schließlich aus Japan zurück und übernahm stattdessen alle Anteile an der Firma für hochpräzise Antriebstechnik in Deutschland. Hinzu kam 2006 die Gründung seiner zweiten Firma, Ovalo, für automatisierte Technik, ein Zulieferer der Automobilindustrie (der u. a. komplette Systeme für Fahrwerke liefert). Hier arbeiten heute 120 Beschäftigte, größtenteils Ingenieure. Bei Harmonic Drive, wo Ernst mit 28 Leuten begann, sind heute 420 Mitarbeiter aktiv, mehr als die Hälfte davon als Maschinenbauingenieure. Reinhard Ernst, der Ende September 72 Jahre alt wird, hat mit Blick auf die Zukunft beide Unternehmen dieses Jahr verkauft – an zwei börsennotierte japanische Firmen, „die ich seit 40 Jahren kenne, davon ein ehemaliger Partner“, betont Reinhard Ernst.

Die Stiftung wurde 2005 gegründet, siehe Interview. Unter ihrem Dach befinden sich auch zahlreiche größtenteils denkmalgeschützte Immobilien. Die gesamte Sammlung von Reinhard Ernst wird eines Tages in den Besitz der Stiftung übergehen, die ja auch das Museum betreiben soll.

Der gebürtige Westerwälder ist in Eppstein aufgewachsen. Er lebt mit seiner Frau Sonja, die aus Naurod stammt, seit 2000 in Wiesbaden.

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