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Lust auf mehr

Schon das Cover macht Lust auf mehr! Diese in sich gekehrte junge Frau – die Augen geschlossen, ein Lächeln auf den Lippen im Wissen um eine gute Schaffenszeit. Sie trägt – im Spiegel – das Meer … „Emporio del Sale“ heißt das Buch. Die Künstlerin Ricarda Peters hat es über ihre Zeit in Venedig verfasst, wohin sie ihrem Mentor, Professor Emilio Vedova, gefolgt war und wo sie sich in einer früheren Salzkammer ein Atelier einrichtete. Es ist der Künstlergruppe50 zu verdanken, dass nun die spannenden Gedanken ihres mittlerweile 87-jährigen Mitglieds Ricarda Peters zur Kunst und zur Arbeit mit dem italienischen Meister in Buchform vorliegt, inklusive des Briefwechsels mit ihm. Emilio Vedova gilt als einer der wichtigsten Repräsentanten der italienischen Informel-Malerei in den fünfziger und frühen sechziger Jahren. Tom Sommerlatte, Kollege Ricardas in der Künstlergruppe50, hat das Wirken von Vedovas Meisterschülerin im Epilog mit der Überschrift „Ein Leben in Spannung“ eindrucksvoll beschrieben. Und auch das „KunstKontor“ in der Taunusstraße, dem die Malerin verbunden ist, unterstützte dieses Buchprojekt: „Ricarda bringt den Geist und die Geschichte Venedigs, der Zeit mit Emilio Vedova, ganz nah zu unserem Ort, nach Wiesbaden an den Rhein. Ricarda legt dabei keinen Wert auf die ,große Welt der Kunst‘, denn sie spricht von Wahrhaftigkeit, von Konsequenz und daraus entspringender Freiheit.“

Wer gerne mit der Künstlerin, von der auch Museumserbauer Reinhard Ernst zwei Werke in der Sammlung hat, zurückblicken, interessante Arbeiten von ihr und Fotografien aus ihrer Italien-Zeit anschauen möchte, kann sich das gelungene Buch in der Kunsthandlung Reichard, Taunusstraße, zum Selbstkostenpreis von 20 Euro abholen. Wie Ricarda, über die sich auf dieser Freunde-Website ein Beitrag mit dem Titel „Immer weiter machen“ findet, ist Horst Reichard bei den Freunden des Museums Wiesbaden und in der Künstlergruppe50. Über diese und ihren Film anlässlich des 70-jährigen Bestehens ist ebenfalls ein Text auf der Freunde-Website veröffentlicht.

Das von der Künstlergruppe50 herausgegebene Buch „Emporio del Sale“ wurde von Mitglied Iris Kaczmarczyk grafisch gestaltet und von Helga Sigmund redaktionell betreut. Ricarda Peters wurde einst von Reinhard Reiter dazu inspiriert, ihre Venedig-Zeit in Schriftform festzuhalten. Von 1965 bis 2004 war sie immer wieder an diesem Ort. Siehe auch ihr Video von 1993 „Reflections on Reflexes“ auf unserer Startseite.

Hier nun veröffentlichen wir mit dem Einverständnis des Autors Tom Sommerlatte, der seit 2000 Mitglied des Freunde-Kuratoriums ist, Gedanken zu Ricarda Peters und ihrem künstlerischen Schaffen, dem sie sich bis vor wenigen Jahren noch intensiv gewidmet hatte.

(isa)

Herrliche Venedig-Zeiten: Die Betrachtungen der Künstlerin Ricarda Peters gibt es nun dank Künstlergruppe50 in Buchform. (Cover-Gestaltung: Iris Kaczmarczyk, Foto: Privat)

Epilog
Ein Leben in Spannung

„Das Erstaunliche am Chaos ist, dass es sich bei genauerem Hinsehen oft als strukturiert erweist. Das Erstaunliche an Ordnung und Struktur ist, dass sie sich bei genauerem Hinsehen oft als chaotisch erweisen“ –- Ricarda Peters kommt es auf das Hinsehen an, auf das mentale Modell der Wahrnehmung, auf die Fähigkeit, sich von Konventionen des Sehens und Interpretierens zu lösen.
Sie hat diese Loslösung in ihrer Kunst vollzogen, nicht aus Protest gegen etablierte Konventionen, sondern aus Entdeckerfreude, aus Bewunderung für und Staunen über eine höhere Art von Wirklichkeit, von Schönheit.
Was sie in ihrem Lebensbericht erkennen lässt, ist ihre Spannung zwischen Konsequenz und Wagemut, zwischen Zugehörigkeit und Loslösung, sowohl in ihrem Leben, als auch in ihrer Kunst. „Wenn Du Dich ernsthaft mit der Malerei auseinandersetzen willst, dann musst Du in das Atelier eines großen Malers gehen!“ gab ihr der Vater, der Dirigent Schmidtgen, mit auf den Weg. Sie tat es und hielt es in ihrer langjährigen Verbindung mit dem großen italienischen Meister der abstrakten Malerei Emilio Vedova konsequent durch, auch in vielen menschlichen und künstlerischen Spannungen mit ihm. „Lebe jeden Tag, als wäre es dein letzter!“ war die Herausforderung, die Vedova ihr immer wieder provozierend nahelegte und vorlebte. So erklären sich die vielen Jahre ihrer geradezu kühnen künstlerischen Suche und Behauptung in Venedig, wo sie schließlich bei internationalen Ausstellungen im Lido und im Palazzo Albrizzi auf der Biennale mit ihren Werken (z. B. dem Trash Art Tower) den Durchbruch schaffte. Aus ihren Anfängen bei Vedova in Venedig leitet sich auch der Titel „Emporio del Sale“ dieses Buches ab, denn das Atelier, das Vedova ihr zuwies, war eine von mehreren ehemaligen venezianischen Salzkammern (saloni del sale) aus dem 15. Jahrhundert, in der sie sich einen Arbeitsplatz freiräumen musste.

Zum Spannungspol Zugehörigkeit gehört, dass Ricarda Peters nach Jahren als Meisterschülerin und dann Assistentin Vedovas in ihre Heimatstadt Wiesbaden zurückkehrte, wo sie in den frühen 1970er Jahren Mitglied der Künstlergruppe50 wurde und bis heute bei den zahlreichen Ausstellungen der Gruppe in Wiesbaden, Mainz, Görlitz und Berlin und im Ausland in San Sebastian, St. Petersburg, Klagenfurt, Breslau, Istanbul-Fatih und Gent teilnahm. In der Gruppe hat sie konsequent ihre Position der Entdeckerfreude, des experimentellen Erarbeitens abstrakter dynamischer Farb- und Formenwelten weiterverfolgt und ist mit ihrer kühnen Suche nach universalen Gesetzmäßigkeiten immer weiter in Neuland vorgestoßen.

Bilder der gegenständlichen Wirklichkeit wie Sammelplätze von Altpapier, Industrieabfall und Schrott transponiert sie in atmosphärisch heitere, surreal erscheinende Szenerien und hebt so die Grenze zwischen Wirklichkeit und Fantasie auf. Wenn sie durch Berge von Trash wandelt, mit ihrem gelassenen, aber auch staunenden Blick der Malerin, die nicht zu erschaffen braucht, sondern durch Zufall Geschaffenes auf neue, forschende Art einfängt und vermittelt, dann will sie deutlich machen, was „die Welt im Innersten zusammenhält“.  Wenn sie ihre eigenen Bilder zerschneidet und zu neuartigen, zwar zufälligen, aber dennoch gültigen Kompositionen wieder zusammenfügt, so macht sie eine überraschende Ästhetik sichtbar, ähnlich wie sie im Wasser des Canale Grande von Venedig das von den Wellen verwandelte Spiegelbild der Wirklichkeit als eine neue Komposition entdeckte und filmisch einfing (ihre „Reflections on Reflexes“). Diesen Schritt immer wieder zu gehen, schafft Ricarda Peters mit höchster künstlerischer Disziplin und gleichzeitig der Beschwingtheit faustischen Wissens, dass etwas die Welt im Innersten zusammenhält und dass sie dem auf ihre Art auf der Spur ist.

Die Künstlergruppe50 würdigt mit der Herausgabe ihres so schön bebilderten Lebensberichts eine Kollegin, eine Seelenverwandte, die zugleich losgelöst und zugehörig ist, zugleich konsequent und wagemutig.

Tom Sommerlatte im Namen der Künstlergruppe50 Wiesbaden

 

 

 

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