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Sich mit Seele und Herz öffnen
Als Künstler – ob Dichter, Komponist, Bildhauer – ist man eingeschlossen in einen Kokon, da entsteht der Keim fürs Schaffen … Ich besuche Claudia Marianna Kutzera in ihrer Wohnung in Wiesbadens Innenstadt, die gleichzeitig heute ihr Atelier ist. Ja, das Zuhause mit so viel Kunst und mit historischem Spielzeug, das sie zusammenträgt und oft auch restauriert, passt irgendwie exakt zu der Beschreibung ihres Künstlerschaffens. Ein Dasein, das sie aber durchaus auch oft aus dem Kokon hinausführt. Wir kennen uns noch nicht lange, doch es kommt mir anders vor. Ich bin in der spannenden Welt von Claudia Marianna Kutzera zu Besuch, in die in Kürze auch der Oberbürgermeister einen Ausflug machen wird – um der Künstlerin im Namen der Stadt nachträglich zum 80. Geburtstag Glückwünsche zu überbringen. Die nun 80-Jährige hat noch einen guten Grund, sich sehr zu freuen, es sei bereits die Einladung zur Teilnahme an der, wie sie erzählt, Grafik-Biennale 2025 in Barcelona bei ihr angekommen.

Marianna, du bist Künstlerin und gehörst dem Freunde-Förderkreis an. Was hat dich bewogen, hier einzutreten?
Zirka ein Jahr nach der Gründung bin ich Mitglied geworden. Es waren Menschen wie Felicitas Reusch vom damaligen Vorstand und der damalige Direktor Volker Rattemeyer, die mich dazu inspirierten. Und von der Kunstfreundin und Sammlerin meiner Arbeiten, Susanne von Rothkirch, erfuhr ich viel über das Leben und Schaffen der Hanna Bekker vom Rath, die wiederum dem Museum Wiesbaden eng verbunden war. Sie verstarb 1983.
Wir haben uns bei einem Besuch der Freunde im Kunsthaus Taunusstein kennengelernt. Nimmst du öfter an unseren Veranstaltungen teil?
Ja, das mache ich gerne, wenn ich Zeit habe. Meine Devise ist: Man kann ja nicht alles wissen; deshalb finde ich ein Programmangebot, wie es die Freunde des Museums machen, sehr gut. Übrigens, ich bin auch mit meinen Malschülern 15 Jahre lang oft im Museum Wiesbaden gewesen.
Nach Taunusstein hatte dich ja der Künstler Reinhard Stangl gelockt …
Ja, wir kennen uns aus der Studienzeit in Dresden und waren damals befreundet. Klar, dass ich seine Ausstellung sehen wollte.
Wir werden noch ausführlich über die Bildende Kunst sprechen. Aber zunächst einmal die Frage: Wirst du manchmal in unserem Museum auch von der Natur angezogen?
Oh ja! Sie ist doch so aufschlussreich, das spricht mich an, so wie es schon in der Schule war.
Und was zieht die vielseitige Künstlerin in den Kunstsammlungen an?
Ganz besonders mag ich Jawlensky, vor allem die konstruktiven Arbeiten von ihm. Ebenso die „Helene im spanischen Kostüm“, die der Sammler Brabant ja schon vor Jahren dem Museum geschenkt hat. Aber auch Rebecca Horns Werke ziehen mich sehr an. Und dann noch der „Rote Waggon“ von Ilya Kabakov. Den habe ich mal zusammen mit der früheren stellvertretenden Direktorin Renate Petzinger angeschaut, die Interessantes über Werk und Künstler zu berichten wusste. Das Museum ist und bleibt halt bildend, da kann man noch so alt werden. Man lernt immer etwas dazu, etwa zu den verschiedenen Techniken.
Das sagt die erfolgreiche Frau vom Fach …
Ja, ich habe in Museen viel gelernt. Wichtig ist, dass man mit Auge und Geist aufnimmt, sich mit Seele und Herz öffnet. Man darf sich nie verschließen …

Bleiben wir, ehe wir zu deinem Schaffen kommen, noch kurz beim Haus der Kunst und Natur. Welche Schau hat dich denn in jüngerer Zeit besonders beeindruckt?
„Lebensmenschen“, die Schau, in der Alexej von Jawlensky und Marianne von Werefkin zusammen ausgestellt wurden. Und auch die Pechstein-Schau in diesem Jahr. Ebenso erwähnen möchte ich Otto Ritschl, ihm war ja im Kunsthaus und im Museum Wiesbaden eine Ausstellung gewidmet.
Willst du uns vom Freunde-Vorstand noch einen Tipp fürs Programm geben?
Ich möchte Euch ermuntern, weiterhin Kunstausflüge anzubieten. Wie wäre es mal mit Ingelheim, das Boehringer-Kunstforum im Alten Rathaus?

Nun ist es aber höchste Zeit, zu dir und deiner Passion zu kommen. Auf deiner Visitenkarte steht: Malerin, Grafikerin, Objektkünstlerin. Wie erklärst du deine Richtung?
Ich bin Künstlerin und Handwerkerin. Ja, und das spartenübergreifend. Öl, Aquarell, Collage, Farbholzschnitt, Objektekunst. Ich suche und finde. Vielleicht liegt das auch daran, dass ich als Kind in Dessau in Bauhaus-Nähe, dort, wo auch das Feininger-Atelier zerstört war, aus Glasscherben und Porzellansplittern meine ersten Farbmosaike zusammensetzte. Im Alltag finde ich immer wieder – bis heute – vieles, was sich künstlerisch umsetzen lässt. So bin ich auch oft bei Auslandsreisen auf spannende Themen und Materialien gestoßen.
Zum Beispiel in Moskau. Erzähle doch mal diese Geschichte!
Ich war dort, wie auch andere Künstler, und wollte zur Schwanensee-Aufführung. Mit der U-Bahn fuhr ich eine Station zu weit und stand dann mit meinen Pumps an einem Kreisel im Schnee. Ein Glücksfall, dass ein Brotauto kam, anhielt und der Fahrer mich einsteigen ließ. Es war wunderbar warm im Wagen, der mich bis zur Oper fuhr. Stell` Dir vor, dann ging ich mit den „Schneeschuhen“ über den roten Teppich … Man hatte mir sogar ein noch warmes Brot geschenkt, das hielt ich während der ganzen Aufführung auf dem Schoß … Diese Geschichte passierte 1988.
Du hast das später künstlerisch „verarbeitet“, dir sind aber auch die anderen schönen Künste ganz wichtig …
Ja. Für mich gehören Musik, Bildende Kunst und Literatur zusammen. Ich würde sagen, die Musik ist führend … Poesie und Musik sind mir für meine Arbeit in der Bildenden Kunst ganz wichtig. Von Mozart bis Rachmaninow fühle ich mich inspiriert.
Aus der Musik wählst du ja häufig auch die Namen für deine Werke. Ein Beispiel bitte.
„Liebeszauber für Manuel de Falla“.
Klingt spannend. Er war ein spanischer Komponist … Gedichte schreibst du auch! Ich habe in einem Büchlein von dir u. a. den „Geburtstagstraum“ gefunden. Das passt doch gut in diesen Tagen, in denen du die 80 erreicht hast. Lass es mich kurz hier einblenden:
im oktober ist alles aus gold
roter wein auf dem hut von stroh
schlaf der sonnenblumen
kein apfel am baum
der wind singt meinen traum
Und dann gibt es noch deine Sammelleidenschaft. Was sammelst du?
Es ist historisches Spielzeug, auch Puppen, Dinge, die ich teils selbst restauriere. Da gab es schon öfter Ausstellungen, auch zum Beispiel in Wiesbaden-Dotzheim mit dem Titel „Spielzeugträume“. Einen Teil der Sammlung habe ich dem Schlossmuseum Hoyerswerda in Sachsen vermacht.
Deiner Arbeit waren schon viele Kunst-Ausstellungen gewidmet, man kann sagen, von Wiesbaden bis in die weite Welt. Und Werke von dir sind in so mancher Stadt dauerhaft zu finden. Worauf blickst du besonders gern?
Da darf ich Orte nennen, wo ich vertreten bin und die ich sehr mag: Neu Dehli, St. Petersburg, New York, München, Dresden (mit einem Selbstporträt) und Frankfurt an der Oder …
Noch ein Blick weit zurück: Du warst ja auch in jungen Jahren gutverdienendes Mannequin, du hast, durch Vermittlung der Tänzerin Gret Palucca in einem DEFA-Fernsehfilm mit Armin Müller-Stahl spielen dürfen, der Künstler Curt Querner war dein Lehrer und Förderer … Könnte man sagen, du hast neben großem Talent, Zielstrebigkeit und Kreativität auch immer wieder Glück gehabt und die richtigen Leute getroffen?
Ja, das ist richtig. Glück war vor allem, dass Privatmenschen und Vertreter von staatlichen Institutionen meine Bilder gesehen haben und sie dann auch kaufen wollten.
Zum Schluss: Du hast nun die 80 erreicht, auch wenn man es kaum glauben mag. Hast du einen Wunsch?
Vor allem, dass es Frieden geben wird.
Das Gespräch führte Ingeborg Salm-Boost
PS: Im Interview und auch privat lässt sich Claudia Marianna Kutzera gerne mit ihrem zweiten Vornamen Marianna ansprechen.
Zur Person
Claudia Marianna Kutzera kam in Rathenow zur Welt. Auf dem Bahnhof! Einen Pflasterstein aus dem Bahnhof, der für sie wie ein Kunstwerk ist, bewahrt sie bis heute auf. Die Mutter hatte es nicht mehr ins Krankenhaus geschafft. Im Zug, in dem die Schwangere zuvor unterwegs war, saß auch Käthe Kollwitz, man war miteinander bekannt. So spannend wie Claudia Mariannas Eintritt ins Leben war, ging es auch immer weiter. Zu viel, um es hier ausführlich zu erzählen. Sie stammt aus einer Theaterfamilie, wuchs in Berlin und Dessau auf, das Bauhaus in der Nähe. Sie erinnert sich an den Kontakt zu Studenten dort, daran, wie sie und andere Kinder Glasscherben in den Kriegstrümmern sammelten, um Mosaike zusammenzusetzen. Aber auch daran, wie das Elternhaus Ende der 1950er Jahre zusammenbrach. Mädcheninternat, ab 1968 Abendstudium an der Akademie der Bildenden Künste in Dresden.
Alles war damals nicht so einfach in der DDR, erinnert sich die Künstlerin. Die Mutter lebte nun mit ihrem zweiten Ehemann in den USA – „Staatsfeind Nummer 1“ für die DDR. Gerne und dankbar denkt sie an die die Förderung durch Curt Querner, ein Otto Dix-Schüler, zurück, der sie über einen längeren Zeitraum unterrichtete. Sie wurde 1976 Mitglied im Berufsverband und durfte mit anderen im Dresdner Zwinger ausstellen. „Stell’ Dir das vor“, sagt sie heute noch staunend. Und erinnert sich auch daran, wie sie der große Musiker Ludwig Güttler verteidigte, als sie kurz vor der Wende Bildaufträge für die Musikhochschule hatte, Arbeiten, die aber bei der Partei nicht gut ankamen. Als die Mauer fiel, war Marianna Kutzera zu einem Stipendium in Polen.
Eine wichtige Station in ihrem Leben war später dann München, wo sie u. a. in der Deutschen Bank ausstellte. Sie gehörte dem Künstlerverband Bayern/Oberbayern an und erfuhr dort Unterstützung. Auch der österreichischen Künstlergruppe „Frequenzen“ schloss sie sich in den 1990er Jahren an, war Gründungsmitglied. Außerdem baute Claudia Marianna Kutzera in Münchener Kliniken Kunsttherapie auf – eine Arbeit, die sie ebenso erfüllte wie in späteren Jahren der Malunterricht im Museum Wiesbaden. Ehe sie in Hessen durch ihre zweite Heirat ansässig wurde, hatte die Mutter zweier Töchter schon zahlreiche Ausstellungen im In- und Ausland. Keine Frage: Oft traf die vielseitige Künstlerin die richtigen Leute, wie sie bestätigt. Sehr geschätzt hat sie in Wiesbaden den Kontakt mit Christa Moering. Die Kunstreferentin der Stadt, Isolde Schmidt, kaufte mehrere Kunstwerke vom aktiven BBK-Mitglied Kutzera an, die Naspa erwarb, so die Künstlerin, 35 Arbeiten von ihr. Eine große Freude war für sie auch, dass sie auf Einladung des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst ein Stipendium in der Barockstadt Český Krumlov (Tschechien) erhielt und dort, im Egon-Schiele-Zentrum, eine Ausstellung stattfand. (isa)