Kunstvoll und Naturnah

Die Kulturen der Welt zu Gast in Wiesbaden

Wer die Sonderausstellungen der Naturhistorischen Sammlung besucht, kann leicht erkennen, dass in den Depots nicht nur Naturprodukte lagern. Tatsächlich begleitet seit Anbeginn die Ethnologie die Naturgeschichte. Eine solche Einheit galt im 19. Jahrhundert als üblich und sinnvoll – heute ist sie ein kostbares Gut.

Kopfschmuck der Jivaro (Shuar) aus Ecuador. Sammlung Museum Wiesbaden (Foto: Bernd Fickert)

Bereits zur Gründung der Sammlungen wurden 1829 von Bürgern der Region und der im Ausland tätigen Forschungsreisenden ethnologische Objekte den Museumsvereinen übergeben. Zu den Ehrenmitgliedern zählte beispielsweise Prinz Maximilian zu Wied-Neuwied, dem das Museum eine Sammlung von zum Großteil erstbeschriebenen Vögeln aus Brasilien zu verdanken hat. Er reiste 1815 bis 1817 in die Mata Atlantica Brasiliens und forschte dort sowohl zoologisch als auch ethnologisch. Besonders die Ethnie der Botokuden stand im Fokus seiner Reise. Der größte Teil der Sammlungen gelangte nach New York (Gründung des American Museums of Natural History) und nach Stuttgart in das Linden-Museum. In der Folge reiste Wied 1832 in die Prärien Nordamerikas, wo er über ein Dutzend Ethnien besuchte. Der größte Teil dieser Sammlung wird aktuell im Neuen Schloss in Berlin aufgebaut und soll 2020 erstmals wieder zu sehen sein.

Federkranz der Kayapo aus Brasilien, Para. Sammlung Museum Wiesbaden (Foto: Bernd Fickert)

Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts wurden weltweit ethnologische Sammlungen innerhalb der Naturgeschichte aufgebaut. Im Laufe der Kolonialzeit kam es zunehmend zur Teilung und Einrichtung eigenständiger ethnographischer Museen, die mit einer Ausdifferenzierung der Ethnologie als universitärer Fachwissenschaft einherging.

In Wiesbaden blieben bis heute die ethnologischen Sammlungen der Naturhistorischen Sammlungen erhalten. Verloren gingen dagegen die parallel existierenden ethnologischen Sammlungen der Nassauischen Altertümer, die heute der Universität Marburg gehören und dort aktuell eine Revision und Neuaufstellung erleben dürfen. Dieser Verkauf ist besonders deshalb bedauerlich, da sich darin auch Einzelsammlungen von bedeutenden Nassauern befinden, deren zoologische und ethnologische Objekte nun an getrennten Orten gepflegt werden. Ein Beispiel dafür ist Ernst Albert Fritze, dessen historisch bedeutende zoologische Sammlungen zum Malaiischen Archipel in Wiesbaden lagern, während die völkerkundlichen Objekte sich nun in Marburg befinden.

Halsschmuck der Jivaro (Shuar) aus Ecuador. Sammlung Museum Wiesbaden (Foto: Bernd Fickert)

Die Schwerpunkte der ethnologischen Sammlungen sind vielfältig, folgen dennoch einer Ordnung. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts finden sich überwiegend Belege von Forschungsreisenden und Missionaren. Im Anschluss dominieren Sammlungen aus den Kolonialgebieten. Dabei muss beachtet werden, dass Nassau mindestens vor 1866 zahlreichen Bürgern eine Tätigkeit in kolonialen Diensten Hollands bot. Nach dem Ersten Weltkrieg versiegte zunehmend das Interesse bzw. Wiesbadens Sammlung wurde nicht weiter ausgebaut. Seit den 1990er Jahren gelangen zunehmend wieder ethnologische Objekte in den Bestand. Dabei handelt es sich meist um einzelne Spenden, aber auch um Ankäufe im Zusammenhang mit dem neuen Konzept und den angebotenen und noch geplanten ethnologischen Ausstellungen.

Die Sammlung innerhalb der Naturhistorischen Sammlungen umfasst aktuell 360 Objekte. Darunter finden sich Belege aus allen Regionen mit einem Schwerpunkt auf Amerika (118 Objekte) und Afrika (106). Es folgen Asien (14), Südostasien (15), Australien (67) und Ozeanien (4). Bezüglich der Objektgruppen sind schmückende, der Jagd und dem Kampf dienliche Objekte in der Mehrheit. Ein erkennbares Sammlungskonzept fehlt bis in die Neuzeit. Mit der erstmaligen Erfassung unter Mitarbeit von Liane Apel (Ethnologin) konnte im Jahr 2004 ein erstes Ziel formuliert werden.

Kumana-Geflecht der Apalay/Aparai aus Brasilien, Rio Jari. Sammlung Museum Wiesbaden (Foto: Bernd Fickert)

Da es in Deutschland in erheblichem Maße in den vergangenen Jahrzehnten zur Reduktion ethnologisch orientierter Ausstellungen gekommen ist und nur noch etwa die Hälfte der noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts existierenden Kulturen erlebbar sind, sollte auch ein Regionalmuseum den Erhalt und die Pflege ethnologischer Objekte fortführen. Insbesondere der Verlust seit den 1960er Jahren ist erheblich und die letzten Forschungsreisenden gelangen aktuell in ein Alter, das die Übernahme der Sammlungen erfordert. Darüber hinaus kamen über den beginnenden Tourismus nach dem Zweiten Weltkrieg erhebliche Mengen ethnologischer Objekte in private Wohnzimmer, die inzwischen oft unwiederbringliche Elemente einer verschwundenen Kultur darstellen. Von den Erben werden diese meist aus Mangel an regionalen Ansprechpartnern nicht als bedeutende Kulturobjekte erkannt. Die großen Sammlungen gelangen dagegen zunehmend durch Ankauf in den Besitzstand nordamerikanischer Museen, da sich in Europa weder die Museen noch die Stiftungen dafür sonderlich interessieren.

Ohrschmuck der Erikbaktsa aus Brasilien, Oberer Tapajoz, Mato Grosso. Sammlung Museum Wiesbaden (Foto: Bernd Fickert)

Die Naturhistorische Abteilung hat den großen Wunsch, dass eine ethnologisch-archäologisch orientierte Kuratorenstelle eingerichtet wird und hofft auf Unterstützung. Damit ließen sich auch die anstehenden Arbeiten zur Klärung des kolonialen Erbes und die Provenienzforschung eines jeden Objektes vorantreiben.

Die Mitarbeiter des Museums freuen sich über das rege Interesse an den bisher angebotenen Ausstellungen, die von der Völkerkunde begleitet wurden oder diese im Fokus hatten:

  • Leben im Regenwald (2000)
  • Nordamerikas indigene Kulturen (2002)
  • Völker der Sonara (2003)
  • Indigenas Amazoniens (2006)
  • Kulturen Neuguineas (2014)
  • Jäger und Sammler der Welt (2015)
  • Pilze in der Nutzung des Menschen (2017)
  • Federschmuck (2019)

Fritz Geller-Grimm


Fritz Geller-Grimm ist Leiter der Naturhistorischen Sammlungen im Museum Wiesbaden. Der Diplom-Biologe hat die Ausstellung „Mit fremden Federn“ kuratiert, die in besonderem Maße Federschmuck indianischer Kulturen aus Amerika zeigt.


Titelbild: Maske der Dan (Yakuba) von der Elfenbeinküste. Sammlung Museum Wiesbaden; Foto: Bernd Fickert

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