Kunstvoll und Naturnah

Wildes Leben im Wiesbadener Westend

In einer der lauen Sommernächte 2019 saß ich zusammen mit meinem Mann auf der Dachterrasse unserer Wohnung im Wiesbadener Westend, als plötzlich etwas mit braun-weißem Fell und weißer Schwanzquaste auf dem Balkongeländer entlang huschte. Wir blickten uns verwundert an und waren uns nicht sicher, was wir da im fünften Stock des Gründerzeit-Altbaus am Ring gesehen hatten. Zu groß für eine Maus, glücklicherweise zu klein für eine Ratte oder einen Marder. Wir waren neugierig, wer da nach Einbruch der Dämmerung auf unserer Terrasse herumspazierte und sich über unsere Cocktailtomaten hermachte. So kauften wir uns eine Wildtierkamera, die wir auf die Wildkräuterkästen ausrichteten und legten Walnusskerne als Köder aus. Die Überraschung war groß: Auf zahlreichen Infrarot-Fotos blickte uns ein seltsames Tier mit großen Augen und Ohren, einer „Zorro-Maske“, dunklem Fell, hellem Bauch und weißer Schwanzquaste an. Die Internet-Recherche ergab: Es musste ein Gartenschläfer sein.

Gartenschläfer im Blumenkasten, 2020; fotokunst (artphoto ©Carolin von Wolmar/www.carokunst.com)

Der Gartenschläfer ist fast ausgestorben

Informationen auf der Website des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), ergaben, dass dieses kleine, nachtaktive Tier ein Verwandter des Siebenschläfers und der Haselmaus ist und zur Gattung der Bilche gehört. Die stark bedrohte Tierart steht auf der Roten Liste und ist europaweit besonders geschützt. Sie darf weder gefangen noch vertrieben werden. Die kleinen, nützlichen Schlafmäuse sind Allesfresser und ernähren sich besonders gerne von Nacktschnecken, die sie erst mit Sand panieren, um dann mit ihren Pfoten die bittere Schleimschicht abzukratzen. Weitere Lieblingsspeisen sind Spinnen, Käfer, Würmer, Motten, Nüsse und Obst. Die Gartenschläfer kommen fast nur noch rund um Mainz, Wiesbaden und dem Rheingau vor. Wiesbaden scheint dabei ein richtiger „Gartenschläfer-Hotspot“ zu sein. Die Wildstation Bilche in Wiesbaden kümmert sich intensiv um den Erhalt der Schlafmäuse und päppelt „Findelkinder“ und verletzte Tiere sogar mit der Flasche auf.

Gartenschläfer in der Abenddämmerung (2020); fotokunst. artphoto (©Carolin von Wolmar/www.carokunst.com)

BUND-Projekt „Spurensuche Gartenschläfer“ im Corona-Lockdown

Im ersten Corona-Lockdown 2020 entschieden wir uns spontan dazu, uns als ehrenamtliche Wildtierbeobachter des Projektes „Spurensuche Gartenschläfer“ des BUND Hessen, der Uni Gießen und der Senckenberg-Gesellschaft zu engagieren. Zusammen mit 13 weiteren Beobachtungsstellen in Hessen versuchten wir mittels Infrarotkamera möglichst viele Fotos zu machen und zusätzliche Informationen zum Verhalten der kleinen Säugetiere zu sammeln. Von April bis November 2020 entstanden allein bei uns rund 30.000 Aufnahmen, in manchen Nächten mehr als 1.000. Ab Juli waren dann auch mehrere Tiere auf den Fotos zu sehen und ab August sogar vier winzige Jungtiere mit riesigen Ohren. In Spitzenzeiten saßen bis zu sieben „Garties“ in einem Blumenkasten und mümmelten vorzugsweise Walnüsse. Für uns sah es wie eine Großfamilie mit zwei erwachsenen Tieren und fünf „Halbstarken“ aus, die zusammen kuschelten, futterten, rauften und die Rangfolge aushandelten. Im November verschwanden die kleinen Wildtiere in den Winterschlaf und erst im Juni 2021 tauchte ein „Gartie“ wieder auf, der uns aktuell jeden Abend nach der Dämmerung besucht. Er mag auch gerne Walnusskerne aber noch viel lieber ab und zu ein Stück Käserinde.

Drei Gartenschläfer unterm Oregano (2020); fotokunst. artphoto (©Carolin von Wolmar/www.carokunst.com)

Lebensraum der Schlafmaus

Gartenschläfer leben in Nadel- und Mischwäldern, in Weinbergen, Gärten, auf Streuobstwiesen, an Feldrändern und in Steinhaufen, aber auch in die Nähe von Menschen, in Siedlungen, zieht es sie: In der Innenstadt unter Dächern von Altbauten, Mauerspalten und mit Efeu bewachsenen Hauswänden trifft man sie an. Ihnen reicht ein loser Dachziegel oder ein Vogelkasten, um einen Kogel aus Moos und Federn zu bauen. Die Tiere schlafen tagsüber und werden erst nach der Dämmerung aktiv, daher ist im urbanen Bereich ihr größter Feind die Hauskatze. Seitdem die Schlafmäuse mit der Zorro-Maske bei uns sind, sehen wir hier in der Innenstadt auch andere Tiere, die uns in dieser Vielfalt vorher nicht aufgefallen sind: vier Mäusebussarde, Wanderfalken, zwei Turmfalken, ein Habicht, zahlreiche europäische Eichhörnchen, Stare, Krähen und kleine Fledermäuse. Nur Nacktschnecken, die sind wir seitdem los.

Mäusebussard im Kirschbaum (2020); fotokunst. artphoto (©Carolin von Wolmar/www.carokunst.com)

Ausstellung „Deutschlands Panda – der Gartenschläfer“ im Museum Wiesbaden

Wir freuen uns, dass wir einen Teil der schwierigen Zeit während der coronabedingten Lockdowns so sinnvoll für das Artenschutz-Projekt des BUND Hessen einbringen konnten. Wir möchten alle ermutigen, mehr Lebensraum für die Gartenschläfer und andere Arten zu schaffen. Das ist einfach möglich: Für das Winterquartier Vogelkästen mit Loch Richtung Baumstamm aufhängen oder Steinhaufen im Garten anlegen, Kiesgärten-Steinwüsten unbedingt vermeiden, Teile des Rasens als Wiese stehen lassen und mehr Obststräucher sowie Wildkräuter pflanzen. Vielleicht können Sie demnächst dann auch Gartenschläfer beobachten. Einen Besuch der Ausstellung zum Thema Gartenschläfer, die am 10. Oktober dieses Jahres im Museum Wiesbaden eröffnet wurde, empfehlen wir Ihnen gerne.

Carolin von Wolmar


Zur Person:
Carolin Wolfram von Wolmar ist im Rheinland geboren und in Wiesbaden aufgewachsen, wo sie als freie Medizinjournalistin und Moderatorin sowie Fotokünstlerin lebt. Neben beruflichen Stationen als Produktmanagerin für verschiedene Pharmaunternehmen im Rhein-Main-Gebiet studierte sie Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Gesundheitsmanagement und danach Fachjournalismus. Die Unternehmensgründerin ist als Medizinjournalistin und Moderatorin wissenschaftlicher Fortbildungen tätig. Daneben ist sie als Künstlerin im Bereich der Fotokunst aktiv und war bereits in verschiedenen Ausstellungen anzutreffen, u. a. in Düsseldorf und Wiesbaden, wo Arbeiten von ihr auch zur Kunstsammlung der IHK gehören. Sie liebt es, in Museen Kunst zu erleben und ist seit 2018 Mitglied im Förderverein. Besuche in Theater und Programmkino gehören ebenso zu ihren Interessen wie Streifzüge mit der Kamera durch die Natur. (may)

 

Carolin von Wolmar mit ihrer limitierten Fotokunst-Arbeit „Der Mini“; 5 Expl., 80 x 80 cm, Foto-HD-Druck auf dünner Metallplatte (Foto: privat)

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