Jugenstil entdecken

Die Vorfreude auf das Wasser

Die Freude am Museum Wiesbaden war groß, als die Zusage der Pinakotheken München ins Haus flatterte: Walter Cranes fantastisches Werk „Die Rosse des Neptun“ (1892) reist für die bevorstehende Ausstellung „Wasser im Jugendstil. Heilsbringer und Todesschlund“ von München nach Wiesbaden und wird für ein zusätzliches Highlight sorgen.

Walter Crane, Die Rosse des Neptun, 1892, Öl auf Leinwand, 85,6 x 215 cm, Bayerische Staatsgemäldesammlung – Neue Pinakothek München (Foto: bpk/Bayerische Staatsgemäldesammlungen)

Der britische Künstler Walter Crane (1845–1915) stellt die ungeheure Kraft der Wellen in einer eindrucksvollen Metapher dar: Neptun, der römische Gott des Wassers und der Beherrscher des Meeres, treibt eine Herde galoppierender, schaumweißer Rosse vor sich her, die in einer Art Metamorphose aus dem vom Wind aufgepeitschten Wellenberg herausstürmen und somit selbst zur brechenden Welle werden. Den Dreizack in der Hand haltend, lebt Neptun die Kontrolle, die er über die Urgewalt Wasser besitzt, energisch aus. Mit panischem Blick, parieren die von ihm getriebenen Tiere mit hervortretenden Augen und den geöffneten Mäulern. Anstelle von Hufen, enden die knochigen Vorderläufe in bedrohlich wirkenden, grotesken Flossen, wodurch der mythologische Charakter des Bildes erneut aufgegriffen wird. Fast schon greifbar erscheint das Gefühl, in wenigen Augenblicken von den gewaltigen Wassermassen überrollt zu werden. Mit stürmischen Pinselstrichen lässt Crane die Mähnen der Pferde im Wind wehen, während andere Partien des Gemäldes, wie die mit Perlen und Muscheln versehenen Hälse oder die schäumend auslaufenden Wellen am Strand, einen filigranen, fast ornamentalen Charakter besitzen.

Walter Crane beschäftigte sich ab den 1860er Jahren intensiv mit japanischen Farbholzschnitten und mittelalterlicher Buchmalerei und war zudem erfolgreich als Buchausstatter tätig. Als Teil der Arts and Crafts-Bewegung strebte er Reformbewegungen an, wobei er als Maler von vornehmlich symbolisch aufgeladenen Landschaften ein wichtiges Bindeglied zwischen den Präraffaeliten und dem Jugendstil darstellt. Zu der dynamischen Meereskomposition wurde er beim Anblick der Brandung während einer Amerikareise angeregt, von der er 1892 zurückkehrte. Insbesondere die Vermittlung der Bewegung und Kraft des Elements Wasser, scheinen ihm ein wichtiges Anliegen gewesen zu sein. Spüren Sie die Dynamik und Wucht, mit der die Schimmel hastig auf Sie zugestürmt kommen? Auf jeden Fall sollten Sie es sich nicht nehmen lassen, das großformatige Gemälde vom 13. Mai an im Original zu betrachten.

In der bevorstehenden Ausstellung „Wasser im Jugendstil. Heilsbringer und Todesschlund“ haben Sie die Möglichkeit – neben vielen weiteren herausragenden Exponaten – in die Welt des Wassers einzutauchen und neue Perspektiven auf das Wiesbaden so auszeichnende Element zu entdecken.

Valerie Ucke


Zur Person
Valerie Ucke, seit Anfang 2022 wissenschaftliche Volontärin der Abteilung Kunst im Museum Wiesbaden, studierte Kunstgeschichte und Wirtschaftswissenschaften an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Aus kunsthistorischer Perspektive beschäftigt sie sich insbesondere mit Künstlerinnen und Künstlern des späten 19. Jahrhunderts bis hin zu zeitgenössischen Positionen. Durch einen Aufenthalt an der Sorbonne in Paris bildete sich bei ihr schon früh als Forschungsinteresse ein Frankreich-Schwerpunkt heraus. (red)

 

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