Kunstvoll und Naturnah

Frank Stella und die schillernden Lachse

Frank Stella ist heute 86 Jahre alt und noch immer trifft er mit seiner Kunst den Geist der Zeit. Der US-amerikanische Künstler erlangte in den frühen 1960er Jahren durch seine Streifenbilder, insbesondere mit den Black Paintings, in kürzester Zeit Aufmerksamkeit in der Kunstwelt und verharrte über die bisherige Schaffensphase mit seiner Kunst nie lange an einem Punkt. Lässt man sich durch die aktuelle Ausstellung des Jawlensky-Preisträgers treiben, kann eine stetige Veränderung in seiner Farb-, Material- und Formensprache festgestellt werden. Eine prägnante Entwicklung zeigt sich durch das immer weiter in den Raum-Hineinwirken seiner Arbeiten. Und so scheinen die andauernden Experimente der vergangenen sechs Jahrzehnte in der jüngsten Serie, den Atlantic Salmon Rivers, zusammenzufließen. Selbst nach Vollendung der Objekte ist Stellas Drang nach Bewegung und Erneuerung spürbar – noch nach der Ausstellungseröffnung nannte er die Serie der neusten Arbeiten um: aus den Salmon Rivers of the Maritim Provinces wurden kurzerhand die Atlantic Salmon Rivers.

Frank Stella, Blick in den Ausstellungsraum auf die Atlantic Salmon Rivers-Serie, 2021, © VG Bild-Kunst, Bonn 2022 ( Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)

Bei einer Internetreche nach dem Titel stößt man sogleich auf Seiten, die die besten Destinationen zum Lachsfischen anpreisen. Gelistet sind u.a. Island, Norwegen oder eben die touristisch geprägte Region Gaspésie in Kanada, in der die Flüsse und Seen zu finden sind, von denen sich die einzelnen Werktitel der neuen Serie ableiten. Türkisfarbenes, eisig klares Wasser, Angler, die stolz ihren Fang in die Kamera halten oder metallisch schimmernde Fische, werden auf diesen Websites präsentiert. Womöglich sind es diese Bilder, von denen sich Stella inspirieren ließ und die ihn an Angelausflüge mit seinem Vater in eben diese Region Kanadas erinnert haben – Bilder und Eindrücke, die ihn zu dieser Serie anregten.

Sind es umherwirbelnde, aufspringende Lachse, die sich in seinen Objekten widerspiegeln und denen die wilden Windungen folgen? Oder sind gar Gräten und Innereien erkennbar? Die Arbeiten der Atlantic Salmon Rivers-Serie sind abstrakt und doch lassen sich Assoziationspunkte ausmachen, formelle Verwandtschaften mit Bekanntem finden und es sind Farb- und Formkombinationen, die Erinnerungen in uns wachrufen.

Frank Stella, Blick in den Ausstellungsraum auf die Atlantic Salmon Rivers-Serie, 2021, © VG Bild-Kunst, Bonn 2022 ( Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)

Acht dieser Arbeiten stehen verteilt in dem großen Ausstellungsraum der Galerie, sodass sie von allen Seiten umrundet und begutachtet werden können – denn davon leben diese sprudelnden, verknoteten, skulpturalen Objekte. Stählerne Gestelle halten die voluminösen Knoten und lassen sie zugleich in der Schwerelosigkeit baumeln, wodurch der Eindruck einer Warenpräsentation geweckt wird. Roh, industriell und in gewisser Weise unfertig rahmen und tragen sie das schillernde, knallig bunte Kunstwerk in der Mitte. Trotz der raumgreifenden Wirkung sieht Stella seine Arbeiten noch immer der Malerei verpflichtet und das zu Recht. Auch wenn die Objekte zunächst virtuell konstruiert und in einem speziellen 3D-Druck Verfahren hergestellt werden, ist die Bearbeitung der Oberfläche, das Ansprühen mit Farbe, letztlich noch immer ein malerischer Akt. Mag die Farbgebung zwar einen „disneyhaften“, an Autoscooter erinnernden Charakter besitzen, so ist der Bezug zur Natur der kanadischen Region Gaspésie dennoch vorhanden: das Hellblau des Himmels, das klare Türkis der Flüsse, das satte Grün der einrahmenden Wälder oder das schillernde Silber der Lachsfischhaut. Auch das Zurückgreifen auf arabeske Formen ist ein Verweis auf die Natur und deren Bedeutung für die Kunst. Sein eigenes Schaffen setzt er der Natürlichkeit jedoch bewusst entgegen, indem er die Farbigkeit stark übertreibt und die Objekte zudem in Kunststoff produziert, demnach der stärkste ästhetische Gegensatz, dem man den Inhalten der Serie entgegensetzen kann.

Frank Stella, Blick in den Ausstellungsraum auf die Atlantic Salmon Rivers-Serie, 2021, © VG Bild-Kunst, Bonn 2022 (Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)

Ein weiteres Merkmal der Atlantic Salmon Rivers-Serie, das Stella bereits in seinen frühen Arbeiten angewendet hat, ist das Prinzip der Wiederholung. Waren es in den 1960er Jahren die meist malerpinselbreiten Streifen, sind es heute einzelne, am Computer kreierte, abstrakte Elemente, die immer wieder neu zusammengesetzt werden und dadurch einerseits eine Verbindung innerhalb der Serie schaffen, andererseits dazu einladen, ein und derselben Form in anderem Kontext – aus einer anderen Perspektive mit einem frischen Blick zu begegnen. Fühlen Sie sich herzlich eingeladen, diese und weitere Aspekte in Frank Stellas künstlerischem Schaffen zu entdecken!

Valerie Ucke

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