Kunstvoll und Naturnah

Eduardo Chillida als „Architekt der Leere“

Eduardo Chillida (1924—2000) bezeichnete sich in einem Interview im Jahr 1969 selbst als „Architekt der Leere“. Aus dem Munde eines Bildhauers klingt diese Beschreibung zunächst paradox— wieso nennt der Bildhauer sich selbst einen Architekten, und was haben Architektur und Bildhauerei mit Leere zu tun? Da die Architektur sich gemeinhin auf handwerklicher und ästhetischer Ebene mit dem umbauten Raum beschäftigt, bestimmt die Funktion des leeren Innenraums die äußere Erscheinung des Bauwerks. Die Skulptur hingegen ist funktionslos, sie wird als ästhetisches Objekt von außen gedacht und entworfen. Eduardo Chillida scheint sich mit seinen Skulpturen in einem Dazwischen der Gattungsgrenzen zu bewegen.

Eduardo Chillida, Berlín, 1999. Bundeskanzleramt, Berlin © VG Bild-Kunst, Bonn 2018 (Foto: Archivo Eduardo Chillida)
Eduardo Chillida, Berlín, 1999. Bundeskanzleramt, Berlin © VG Bild-Kunst, Bonn 2018 (Foto: Archivo Eduardo Chillida)

Sein Interesse an der Skulptur ist von seinen Jugendjahren geprägt. Im Alter von 19 Jahren nahm er zunächst ein Architekturstudium auf, das er jedoch vorzeitig abbrach, um sich ganz der Zeichnung und der Skulptur zu widmen. Eine Nähe zur Baukunst hat man wohl nicht zu Unrecht seiner architektonischen Vorbildung zugeschrieben. Als er 1948 nach Paris ging, entstanden unter dem Eindruck der griechischen Plastiken im Louvre seine ersten Skulpturen aus Gips und Ton. Doch seine künstlerische Laufbahn fand ihren Anfang erst in den 1950er Jahren nach seiner endgültigen Rückkehr ins Baskenland.

Eduardo Chillida „Architekt der Leere”, Ausstellungsansicht Museum Wiesbaden 11/ 2018 – 3/ 2019 (Foto: Lea Schäfer)
Eduardo Chillida „Architekt der Leere”, Ausstellungsansicht Museum Wiesbaden 11/ 2018 – 3/ 2019 (Foto: Lea Schäfer)

Das Œuvre was in der Folge entsteht, ist vielfältig und beinhaltet schwere Skulpturen aus Eisen, Holz, Alabaster, Granit und Stahl sowie eine Vielzahl von Papierarbeiten und Druckgrafiken. In den 1980er Jahren entstand eine Werkreihe der sogenannten Casas (Häuser). In unterschiedlichste Materialien baute Chillida kleine Räume ein, die er verschiedenen Künstlern und Denkern widmete. So entstand als eines der ersten Casas das Haus für den großen deutschen Komponisten Johann Sebastian Bach, das auch in der aktuellen Schau zu sehen sein wird.

Eduardo Chillida, La casa de J. S. Bach, 1980, Cortenstahl, 22 x 45 x 55 cm. Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía, Madrid © VG Bild-Kunst, Bonn 2018 (Foto: Lea Schäfer)
Eduardo Chillida, La casa de J. S. Bach, 1980, Cortenstahl, 22 x 45 x 55 cm. Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía, Madrid © VG Bild-Kunst, Bonn 2018 (Foto: Lea Schäfer)

In einem Interview berichtete Chillida von einer Besichtigung der Hagia Sophia in Istanbul, die ihn zu dieser Skulptur anregte. Den starken Eindruck des expansiven Innenraums der Hagia Sophia verglich er mit den Lungen des Komponisten. Für die Kraft dieser Lungen und die Qualitäten von Bachs Musik suchte er in der Casa de J. S. Bach eine künstlerische Ausdrucksform. Er spricht von der „Macht von Bachs Musik und seinen Variationen […], die Macht, sich in Zeit und Raum auszudehnen, […] [wie die] Wogen des Meeres.“ (Friedhelm Mennekes, Eduardo Chillida – Kreuz und Raum, Mainz/München 2001, S. 15) Chillida fand für seine Beobachtungen Entsprechungen in den formenden Kräften der Natur und übersetzte diese in einem zweiten Schritt in seine individuelle künstlerische Sprache. So sind die Wogen des Meeres in die Formen der drei gewölbten Leerräume eingefangen, die zugleich für den Variantenreichtum und die Fülle von Bachs Musik stehen. In Abwandlungen, Variationen und Brüchen thematisiert Eduardo Chillida in diesem Werk Rhythmus, Bewegung, Klang und Stille. Dabei wird die Leere mithilfe der Bearbeitung des architektonischen Körpers umformt und gefasst. Das Zusammenspiel von Leerraum und seiner äußeren Hülle machen das Kunstwerk aus – ein Spiel, indem er das Skulpturale als auch das Architektonische zu vereinen vermag.

Eduardo Chillida, Peine del viento XV, 1975–1977. San Sebastián © VG Bild-Kunst, Bonn 2018 (Foto: Lea Schäfer)
Eduardo Chillida, Peine del viento XV, 1975–1977. San Sebastián © VG Bild-Kunst, Bonn 2018 (Foto: Lea Schäfer)
Lea Schäfer

Lea Schäfer studierte Bildende Kunst, Geschichte und Kunstgeschichte in Mainz und schloss mit einem Meisterschülerstudium in der Malereiklasse an der Kunsthochschule Mainz ab. Seit 2018 ist sie wissenschaftliche Volontärin in den Kunstsammlungen am Museum Wiesbaden und arbeitete gemeinsam mit Dr. Alexander Klar an dem Ausstellungsprojekt „Eduardo Chillida – Architekt der Leere“.

 

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