Mit Beuys fortschreiten

Gespräche zu den Heilkräften der Kunst bestens angenommen

Das war schon einzigartig: Matthias Schenk, Gründer des „Erfahrungsfeld der Sinne“ von Schloss Freudenberg und sein Mitstreiter, Gerhard Schuster, Beuys-Kenner aus Wien, standen für ganze 66 Stunden an acht Museumstagen dem Beuys-interessierten Publikum frei zur Verfügung. Und hierbei ging es nicht darum, eins zu eins den Beuys-Gedanken des Heilpotenzials von Kunst zu praktizieren, sondern vielmehr diesen mit darauf aufbauendem Gedankengut fruchtbar weiterzuführen. So berichtet Daniel Altzweig aus der Abteilung Bildung und Vermittlung über diese besondere Woche im Museum.


„Mit Beuys fortschreiten“ hätte die Veranstaltung gut und gerne heißen können. Dass diese in der hauseigenen Beuys-Sammlung Axel Hinrich Murken stattfand, war natürlich sinnvoll, denn so konnte das Publikum selbst erfahrend und erlebend nachvollziehen, dass mit der Ausstellung diverser Objekte wie der „Capri-Batterie“ nicht etwa surreale Stillleben im herkömmlichen Sinne gemeint sind.

Die berühmte Capri-Batterie …
… und die Zitronen auf dem Schreibtisch. (Fotos: Gerhard Schuster)

Vielmehr stellen jene Objekte ein Konzentrat von Relikten ganz bestimmter Aktionen und Performances von Joseph Beuys dar, die nun zu neuem Leben erweckt wurden. Allein die Aura der Gegenstände machten sich Matthias Schenk und Gerhard Schuster mit einem ganzen Arsenal ähnlicher und „ehrlicher“ Gegenstände zunutze:  Neben einem Korb voller Zitronen sorgten eine Kirchenbank, ein alter Ausschanktisch mit Frankfurter Stühlen, eine mechanische Olympia-Schreibmaschine und eine Staffelei mit improvisierter Kreidetafel als Flipchart für das nötige Setting, um nun Besucher ALLER Altersgruppen – gleich welcher Vorbildung –  einzuladen, sich auf das einzulassen, was Beuys mit seinem neuen, erweiterten Kunstbegriff gemeint hat.

Dazu gehört eben auch, dass jener Kunstbegriff nichts Statisch-Übergestülptes ist, sondern im Diskurs mit allen, die bereit sind zu denken, stets neu errungen werden muss. Schenk und Schuster fragten, provozierten, dokumentierten Statements der Teilnehmenden, weil sie sie ernst nahmen. Und sie luden sie dazu ein, in Interaktion mit Materialien, sich selbst und mit den beiden Fragenden zu treten, um über jene Selbsterfahrung im besten Sinne ihre momentane Geisteshaltung, ja, ihren Geistes-Zustand wahrzunehmen.

Interessieren sich für den erweiterten Kunstbegriff: eine der Schulklassen in der Beuys-Sammlung – nicht nur zum Schauen … (Foto: Gerhard Schuster)

Hätte das Haus nicht kräftig die Werbetrommel gerührt, wären vermutlich doch nicht so viele Menschen gekommen – angesichts der Vorsicht ob der noch immer schwelenden Pandemie. Von der Kindertagesstätte Hellkundweg bis zum Oberstufenkurs der Elly-Heuss-Schule nahmen in jener Woche insgesamt acht Gruppen in Klassengröße an diesem besonderen Format teil, und das trotz der vielen anderen Sonderausstellungen, die das Haus parallel zu bieten hat.

Zwei, die eine Eiche vor dem Museum pflanzten. (Foto: Gerhard Schuster)

Ein besonderes Ereignis konnten all diejenigen erleben, die am letzten Tag der Intervention hoch in das zweite Obergeschoss gekommen waren: nämlich den Überraschungsgast, Geiger Marco Pacagnic, der seinen musiktherapeutischen Ansatz dargelegt hat, mal sprechend und – ganz in Beuys’scher Tradition – an der „Tafel“ graphisch darlegend, mal noch überzeugender: durch sein wundervolles Violinenspiel. Dabei konnte er sogar spontane Musikwünsche der Teilnehmenden prompt zufrieden stellen, und zwar so rein und mit Fortissimo gespielt, dass das ganze Museum von klanglich wohliger Wärme durchzogen war. Dies bewies einmal mehr, dass die durch „Reibung erzeugte Wärme“ provokativer Gespräche, wie sie Joseph Beuys einst einforderte, auch über Musik erreicht werden kann.

Daniel Altzweig


PS: Hier noch ein paar der Gedanken, die Matthias Schenk nach der Intervention niedergeschrieben und Daniel Altzweig sowie Museumsdirektor Andreas Henning geschickt hat. Inklusive Ideen für weitere gemeinsame Aktionen, die wir hier (noch) nicht verraten.

O-Ton Matthias Schenk:

Bei meinen Vorbereitungen zu diesem Brief reift ein Thema, das das Museum selbst in die „Heilkräfte der Kunst“ aufnimmt. Denn: Während unseres Aufenthalts im Museum sind uns so viele Künstlerinnen und Künstler begegnet: Die Pförtnerinnen und Pförtner, das Team Café Mechtild, die „Aufsichtigen“ in den Sälen, die Hausmeister, Haustechniker, die Raumpflegerin, die Restauratorin, die Registrarin, Bildner- und VermittlerInnen und die Direktion: „Die Kunst fängt an der Pforte an.“

… zur Ernte und zum Abschluss unserer Interventionen spielte der Geiger Marco Pocagnic die „Produktive Resignationskraft“, das Kommenlassen des Zukünftigen in Organisationen und Unternehmen. Die Spontanität (freier Wille) der Menschen im Museum hat dies möglich gemacht. Für einen Moment hat die ganze Sammlung von Axel Hinrich Murken geklungen und gesungen …

… von den Besucherinnen und Besuchern wurden alle unsere Gegenstände (Schreibmaschine, Ledertasche, Stäbe und Kugeln) wie Kunstwerke aufgefasst. Es war ein großartiger Moment, wenn wir dann zusammen mit den Besuchern in der Sammlung hantierten. Die Reaktionen waren von ablehnend und befremdlich bis freudig und enthemmt. „Bitte nicht anfassen!“ trifft auf „Bitte berühren!“ …

Bis ins Café wurden wir bei unseren Interventionen begleitet. Wir haben beiläufig der Gastgeberin von der Capri-Batterie berichtet und „flux“ kredenzte sie uns eine Zitronentarte. So manchen Beuys-Besucher/manche Beuys-Besucherin haben wir auf diese zweite Batterie hingewiesen …

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