Rebecca Horn – ein Rückblick

Kunst zwischen Poesie, Alchemie und Anarchie

Selfie-Hotspot, Kunstwerk und die Einladung, das Museum zu entdecken: Die Installation „Jupiter im Oktogon“ begrüßt seit Jahren BesucherInnen des Museums Wiesbaden und ist längst ein fester Bestandteil des Hauses. Das Werk der Künstlerin Rebecca Horn ist aus Wiesbaden nicht mehr wegzudenken. Im März 2024 wurde die Sammlung noch einmal umfangreich erweitert, denn das Museum erhielt anlässlich des 80. Geburtstages Horns 60 Dauerleihgaben ihrer außergewöhnlichen Arbeiten. Nun ist Rebecca Horn verstorben und die Kunstwelt trauert um eine der bedeutendsten deutschen Künstlerinnen.

Eine von 30 raumgreifenden Installationen, die dem Museum Wiesbaden im Rahmen der neuen exklusiven Kooperation anvertraut worden sind: „Der Rabenbaum“ von Rebecca Horn. © VG Bild-Kunst, Bonn 2024, Installationsansicht mit Gästen (Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)

Doch Ihre Kunst lebt weiter. Im Juli vergangenen Jahres erhielten die Freunde des Museums Einblick in das Schaffen und bewegte Leben der zeitgenössischen Künstlerin. Silvia Langen, eine langjährige Wegbegleiterin Horns, begeisterte in einem Vortrag für die Werke und die Lyrik der Doppelbegabten. Horn, die zu Beginn des Vortrages als „bodenständig“ und „resolut“ charakterisiert wurde, war nämlich ein Multitalent. Sie verkörperte Bildhauerei, Installationen, Aktionskunst, Film und Poesie. Diese stand – so berichtete Silvia Langen – meist am Anfang des Schöpfungsprozesses. Horns Arbeit begann häufig mit einer Meditation, aus der Ideen geboren wurden, welche dann vorerst in Gedichtform das Licht der Welt erblickten. Aus diesem Konzept entwickelte sich schließlich ihre Kunst: „It’s a magic act“, so drückte es Langen in ihrem Vortrag aus.

Begeisterte mit ihren Kenntnissen zu Leben und Werk Rebecca Horns: Silvia Langen, die auf Einladung der Freunde des Museums Wiesbaden zum Vortrag im Juli 2023 begrüßt werden konnte. (Foto: Antje Schilling)

Geboren und aufgewachsen im Odenwald, begann Horn 1963 ein Studium für Kunst und Philosophie an der Hochschule der Bildenden Künste in Hamburg. Die dortigen Arbeiten mit Fieberglas ließen sie schwer erkranken. Gefesselt ans Krankenhausbett flüchtete sich Horn ins Schreiben und Zeichnen. Was ihr gefiel, wurde zur Dekoration im Zimmer ausgehangen. Der Wind, der ihre Bilder bewegte, brachte Inspiration und führte schließlich zu den ersten Körperskulpturen Horns.

Rebecca Horn, „Bleistiftmaske“, 1972. © VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Eingespannt zwischen Himmel und Erde experimentierte sie 1972 mittels „Körperfächern“ mit beweglichen Räumen. Sie wollte die Welt vermessen. Doch die Körperskulpturen waren nur der Anfang ihres künstlerischen Schaffens. Auf die Umsiedelung nach New York folgten Fotoübermalungen und Performances, die schließlich Filme hervorbrachten. Inspiriert durch Stummfilme von und mit Buster Keaton entstanden surreale Drehbücher. Requisiten und Objekte bekamen in den Werken Horns eine neue Funktion und treten auch weiterhin mit den Betrachtenden in den Dialog. Eine Transformation, die einem alchemistischen Prozess gleicht. Besonders in den 1990ern flossen Formen der Anarchie und Befreiung in die Filme der Künstlerin ein: In „Busters Bedroom“ spielt energisch ein Klavier. Notenblätter fliegen durch den Raum, fluten ihn regelrecht. Doch der Klavierspieler braucht sie nicht. Alles löst und befreit sich. Die energiegeladene Szene des Films setzte Horn noch einmal in Form von Skulpturen um. Ein Klavier, dem Flügel gewachsen scheinen, hängt dabei kopfüber an der Decke und speit seine Tasten aus. Die Arbeit heißt „Concert of anarchy“ und spielt mit dem Motiv der Zerstörung. Es geht um explosive Veränderungen, die auch im Innern des Publikums hervorgerufen werden. Ziel ist es, Wahrnehmungen zu erweitern und kritisch zu hinterfragen. Rahmen zu sprengen, um neue Räume zu schaffen.

„Rebecca Horn“. Ausstellungsansicht, Haus der Kunst 2024 (Foto: Markus Tretter) © VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Bei Horns Kunst spielten dabei auch wiederholt politische Positionierungen eine zentrale Rolle. Silvia Langen führte Beispiele wie die Installation „Konzert für Buchenwald“ an, bei denen bewusst geschichtlich geprägte Orte ausgewählt wurden. Wer die Ausstellung besucht, hört ein Konzert der Vergangenheit. Die Planungen zu dieser Rauminstallation wurden dabei selbst wie eine Komposition entwickelt. Element für Element fügt sich zusammen und ergibt ein stimmiges Bild. Zwischen Harmonie und Mahnung werden Besucher und Besucherinnen dazu eingeladen, sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen, die nicht immer angenehme Melodien spielt. Doch wer in die Historie schaut, lernt auch etwas über sich.

„Rebecca Horn“. Ausstellungsansicht, Haus der Kunst 2024 (Foto: Markus Tretter) © VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Selbst und der uns umgebenden Welt ist ein wiederkehrendes Motiv in Rebecca Horns Kunst. Auch in den uns bekannten Spiegel-Installationen verschmelzen Realität und Abbild. Die eigene Position im Universum wird ausgelotet. Wo stehen wir? Wer sind wir und was wollen wir sein? Was bewegt uns? Was hält uns auf? Die Beantwortung der Fragen fand 2007 eine neue Qualität für die Künstlerin. Sie schien „angekommen“. Im eigenen Tun wie auch geographisch. Horn kehrte in diesem Jahr wieder zu ihrem Geburtsort zurück, kaufte eine Fabrik samt Gelände an und errichtete daraus ihre neue Heimat. Die „Moontower Foundation“ wurde gegründet. Bad König – der Heimatort der Künstlerin – vereinte Wohnort, Studio, Museum und widmete sich fortan der Förderung junger KünstlerInnen. Für Horn kam Ruhe in ihr Leben. Nach Anarchie und Zerstörung gewannen Meditation und Energieströme an Bedeutung in ihrem Werk. Selbst der 2015 erlittene Schlaganfall bremste ihre Kreativität nicht. Mit ihren „Hauchkörpern“ kehrte Horn stattdessen den Blick ins Innere, auf die Seele des Menschen. Dabei blieben typische Elemente ihrer Kunst, wie beispielsweise zyklische Bewegungen, erhalten.

Museum Wiesbaden: Oktogon, Blick in die Kuppel mit zwei Spiegeln der Installation „Jupiter im Oktogon“ von Rebecca Horn, erworben im Rahmen der Verleihung des Alexej von Jawlensky-Preises 2007 der Landeshauptstadt Wiesbaden. (Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert) © VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Völlig zurecht ist sie eine der bedeutendsten deutschen Künstlerinnen unserer Zeit und wurde vielfach ausgezeichnet. Dabei faszinieren nicht allein ihre Kunst, sondern auch ihr Lebensweg und ihre Persönlichkeit. Rebecca Horns Arbeit steht für Energie, für Passion, für neues Denken.

Rebecca Horn: Eine der international renommiertesten Künstlerinnen der Gegenwart starb am Freitagabend (6. September 2024) im Alter von 80 Jahren. © Rebecca Horn (Foto: Gunter Lepkowski, Berlin)

Wir erinnern uns an eine Frau, die die Kunstwelt nachhaltig verändert hat. Gewiss werden viele Freunde des Museums gerade dieser Tage die wunderbare Kooperation zwischen dem Land Hessen und der Stiftung der Künstlerin zu schätzen wissen und zu Horns Ehren einen ganz besonderen Museumsbesuch planen.

Antje Schilling

 

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