Kunstvoll und Naturnah

Fremdgesteuert durch Pilze

Zu sehen in der aktuellen Pilz-Ausstellung: Ameise, befallen vom parasitären Pilz Ophiocordyceps unilateralis (Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)
Zu sehen in der aktuellen Pilz-Ausstellung: Ameise, befallen vom parasitären Pilz Ophiocordyceps unilateralis (Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)

Metamorphosen gehören schon immer zu den Wundern, die uns begeistern — oder erschrecken. Zu Ersteren zählt die Verwandlung der Raupe zum Schmetterling, die bereits die junge Maria Sybilla Merian zu tagelangem Verharren im Garten veranlasste und dabei erkannte, dass das erste Wesen sich dem Wachstum und das erwachsene Tier der Fortpflanzung widmet und so ein sinnvolles Ganzes entsteht.

Auch uns Menschen ist eine solche Verwandlung beschieden, verläuft diese allerdings weniger sprunghaft und ist in unserer Zeitwahrnehmung verlangsamt. Nicht nur das Äußere, auch unsere Psyche ist davon betroffen. Sommersprossen und ein Grundcharakter bleiben ein Leben lang erhalten, aber unser kindliches Erleben und Agieren unterscheidet sich doch deutlich von dem eines Erwachsenen.

Schrecken lösen allerdings Änderungen aus, die weder selbstbestimmt sind, noch uns zum Vorteil gereichen. Davon berichtet in besonders anschaulicher Weise Franz Kafkas „Die Verwandlung“, in der sich Gregor Samsa ungewollt in ein Insekt verwandelt sieht. Dabei werden die körperlichen Metamorphosen weniger dramatisch dargestellt, denn die eigentliche Katastrophe ist der Verlust der Selbstbestimmung und der eigenen Identität.

In der Natur sind solche Prozesse durchaus möglich, auch wenn wir nicht wissen, wie sehr die Psyche dabei Schaden nimmt. In der aktuellen Ausstellung zu den Pilzen werden Verhaltensänderungen vorgestellt, die erkennen lassen, dass die Opfer zu Marionetten degenerieren, die einzig der Verbreitung und Vermehrung eines anderen Wesens dienen. Direkt vor unseren Augen, in unseren Gärten und Wäldern, sind solche Geschichten erlebbar. Wahrnehmen kann man sie aber nur durch intensives Studium.

Weit verbreitet haben sich beispielsweise Kernkeulenpilze aus der Verwandtschaft der Gattung Cordyceps. Besonders bekannt unter Forstleuten ist der Pilz Cordyceps militaris, der Schmetterlingspuppen befällt und tötet.

Hier aber soll die Rede von parasitischen Pilzen sein, die zur Erfüllung ihrer Wünsche eine ganz besondere List anwenden. Gelangen Sporen von Ophiocordyceps unilateralis auf den Körper von Ameisen, so dringen die Hyphen in den Körper ein und beginnen das Verhalten ihres Wirtes zu verändern. Man hat den Eindruck, dass die Ameise zum Sklaven des Pilzes wird. Aber dies können wir nur vermuten, denn möglicherweise ist die Ameise davon überzeugt, richtig und wohltuend zu handeln.

Sie wandert nicht mehr zurück in das Nest, sondern sucht jetzt höher gelegene Plätze auf, meist die geschützte Unterseite von Blättern. Das allein wäre für den Pilz aber noch nicht ausreichend, denn im Todesfall würde der Leichnam abstürzen. Daher wundert es nicht, dass die Ameise fest in das Blatt beißt und in eine Starre verfällt. Der Pilz tötet sie und bildet Fruchtkörper. Die Sporen erreichen so ein großes Gebiet und der Zyklus schließt sich.

Bleibt zu fragen, ob es auch Organismen gibt, die unser Verhalten maßgeblich beeinflussen – an der Beantwortung wird geforscht und hoffentlich bleibt uns manches verborgen.

Fritz Geller-Grimm


Fritz Geller-Grimm ist Leiter der Naturwissenschaftlichen Sammlungen im Museum Wiesbaden. Der Diplom-Biologe ist Spezialist für Insekten, der artenreichsten Gruppe von Lebewesen, und hat vor seinem Studium eine Ausbildung zum Präparator absolviert.

 

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