Kunstvoll und Naturnah

Ruhe vor dem Sturm

Dietrich Monten, Heißer Manövertag, 1835, Öl auf Leinwand (Foto: Bernd Fickert/Museum Wiesbaden)
Dietrich Monten, Heißer Manövertag, 1835, Öl auf Leinwand (Foto: Bernd Fickert/Museum Wiesbaden)

In der Ausstellung unseres Museums „Aus dem Neunzehnten“ von 2016 war das Bild, das ich Ihnen heute vorstellen will, schon einmal zu sehen – jetzt ist es erst einmal wieder im Depot. Das Bild wurde von dem – damals noch städtischen – Museum 1944 erworben, war aber bis 1988 in Dresden ausgelagert.

Der „Historien -, Schlachten – und Genremaler, Lithograph und Radierer“ (Thieme-Becker) Dietrich Monten lebte von 1799 bis 1843 und erhielt seine Ausbildungen an den Kunstakademien von Düsseldorf, woher er stammte, und München. Er war zu seiner Zeit ein geschätzter Künstler seines Faches, und seine Bilder finden sich u. a. in den Kunstmuseen von Berlin, Düsseldorf, Hannover, Leipzig, München und Regensburg.

In unserem Museum befinden sich drei Werke von ihm. Wie die gesamte Historienmalerei, die seit der Renaissance zu den vornehmsten Gattungen der Malerei gehörte, sind auch ihre Maler nach dem 2. Weltkrieg ein wenig in Vergessenheit geraten, was angesichts unserer Geschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auch nicht weiter verwundert; gute Historienmalerei aus früheren Epochen gibt es in unserem Museum aber durchaus, und dazu gehören auch die drei Bilder von Monten.

Eines davon, das als „Heißer Manövertag“ bezeichnet wird, wollen wir uns etwas genauer ansehen. Was sehen wir auf den ersten Blick? Zwei Kavalleristen und ihre Pferde ruhen sich im Schatten eines üppig belaubten Baumes aus. Der rechte Soldat weckt seinen Kameraden auf. Seine Tonpfeife hat er in der linken Hand. Im Hintergrund reitet ein weiterer Soldat auf unsere kleine Gruppe zu. Soweit, so gut – es ist ein fast idyllisches Genrebild mit zwei müden Soldaten, die einen anstrengenden Manövertag hinter sich haben, wie ja schon der Titel verrät.

Aber auf den zweiten Blick erzählt das Bild doch eine ganze Menge mehr: Zunächst einmal sind das nicht irgendwelche Kavalleristen, sondern Angehörige eines der berühmtesten Kavallerieregimenter der preußischen Geschichte. Es heißt „Kürassier Regiment „Königin“ (Pommersches) Nr. 2“. Garnison war Pasewalk in Mecklenburg-Vorpommern, die deshalb auch „Garnisonstadt Pasewalk“ hieß. Der Reiter, der aus dem Hintergrund links herantrabt, ist ein Offizier, wie man an den Epauletten an der Schulter erkennen kann.

Die idyllische Stimmung, die das Bild ausstrahlt, wird sehr bald ein unangenehmes Ende haben, denn die Soldaten haben gleich gegen mehrere Heeresdienstvorschriften verstoßen: Die Pferde sind nicht abgesattelt und versorgt; die Soldaten waren einfach zu faul, die Steigbügel hochzuschieben – was noch heute jeder Reiter macht, wenn er absteigt, damit er sich oder das Pferd nicht mit den pendelnden schweren Steigbügeln verletzt; der prächtige Helm des Schlafenden liegt einfach im Dreck; und in dieser Situation gemütlich Pfeifchenrauchen, wie es der rechte Soldat tut, geht überhaupt nicht. Der Soldat weckt seinen Kameraden also auf, um ihn auf ein gewaltiges Donnerwetter vorzubereiten, das der herantrabende Offizier auszulösen verspricht. Wir haben es also nicht mit einer Idylle, sondern eher mit einer „Ruhe vor dem Sturm“ zu tun.

Das Bild wurde 1835 gemalt, also im dicksten Biedermeier und einer blühenden deutschen Klassik und Romantik in Malerei, Musik, Literatur und Fortschritten in der Wissenschaft. Es war die Zeit Wilhelm von Humboldts und Schopenhauers, Ludwig Richter malte seine romantische „Überfahrt am Schreckenstein“, Mendelssohn Bartholdy komponierte sein Oratorium „Paulus“, und es gab die erste deutsche Eisenbahn zwischen Nürnberg und Fürth. Wieso also malt ein bekannter Maler ausgerechnet jetzt einen „Heißen Manövertag“, wen interessierte das überhaupt?

Es gibt ein paar Details auf dem Bild, die vielleicht eine Antwort geben können:

Da ist zunächst eine Art Zaun rechts zu sehen, der im Wesentlichen aus zwei dicken Brettern besteht, die in der Mitte nach oben und unten ausgeschnitten sind. Man könnte an einen alten Pranger denken; aber ich finde es wahrscheinlicher, dass es sich um ein Bauteil einer Guillotine aus der französischen Revolution und ihrer Schreckenszeit handelt.

Georg Büchner veröffentlichte seinen „Danton Tod“ just in dem Jahr, als das Bild gemalt wurde. Die Französische Revolution und die Freiheitskriege gegen Napoleon waren also keineswegs vergessen. Die Julirevolution von 1830, bei der Karl X von Frankreich abdanken musste, war erst seit 5 Jahren vorbei, und hatte auch in Braunschweig, Hannover, Sachsen und Kurhessen zu Unruhen geführt. Da damit auch immer die Legitimität der regierenden Fürstenhäuser im Deutschen Bund in Frage gestellt wurde, schien ein gut trainiertes Militär aus Sicht des preußischen Königs doch einigermaßen ratsam.

Diese Überlegung wird auch gestützt durch Montens Auswahl des abgebildeten Regiments, nämlich die „Königin Kürassiere“, wie sie im Volk genannt wurden. Es war die Heldin des preußischen Widerstandes gegen Napoleon, nämlich die schöne Königin Luise, die 1806 Chefin des alten Ansbach-Bayereuter Regiments wurde, das seinen Ruhm u. a. auf die Schlacht von Hohenfriedberg zurückführte und als einziges einen eigenen Marsch hatte.

1806 war ein Schicksalsjahr für das Brandenburger Königshaus, das nach der vernichtenden Niederlage gegen Napoleon bei Jena und Auerstedt nach Ostpreußen und Memel fliehen musste, und Napoleon war als Sieger in Berlin eingezogen. So eine Situation sollte in Preußen nach dem Wiener Kongress nie wieder entstehen, und deshalb trainiert das Regiment auch jetzt noch fleißig im Manöver – auch, wenn es heiß ist.

Ein letztes Detail soll noch Ihre Aufmerksamkeit finden: Was ist das für ein eigenartiges Kreuz auf der Kapelle mit der verrotteten Holztür, die offen steht?

Es ist weder ein russisches noch ein lothringisches Kreuz, weil es zwei gleich lange Querbalken hat. Nein, es ist das Kreuz aus dem Wappen der Jagiellonen, die im Mittelalter mehrere Könige des Litauisch-Polnischen Großreiches stellten. Zu diesem gehörten auch Städte wie Posen, Gnesen, Thorn und Bromberg und viele andere, die im 18. Jahrhundert durch die polnischen Teilungen an Preußen gefallen waren und nach dem Wiener Kongress 1815 endgültig mit den neuen Provinzen Posen und Westpreußen zum Königreich Preußen gehörten.

Dietrich Monten, Heißer Manövertag, 1835, Öl auf Leinwand (Foto: Bernd Fickert/Museum Wiesbaden)
Dietrich Monten, Heißer Manövertag, 1835, Öl auf Leinwand (Foto: Bernd Fickert/Museum Wiesbaden)

Vor diesem Hintergrund erscheint es einleuchtend, dass Monten eine alte Kapelle mit dem Jagiellonenkreuz als Symbol der polnischen Vergangenheit der neuen Provinzen ausgesucht hat. Ich wüsste zu gerne, ob es diese Kapelle mit dem Kreuz in Wirklichkeit gab, oder ob sie eine Erfindung des Malers ist. Denkbar ist beides. Immerhin hatte erst fünf Jahre vor der Entstehung dieses Bildes der Novemberaufstand von polnischen Nationalisten gegen die Herrschaft des Zaren in den ehemals polnischen Provinzen, die nun zum Zarenreich gehörten, stattgefunden. Dieser damals vielbeachtete Vorgang sollte in den neuen preußischen Provinzen auf keinen Fall Nachahmung finden. Und dafür benötigt man gut ausgebildete Regimenter. Die schwarzen Kürasse, die sie auf dem Bild erkennen können, sind übrigens ein Geschenk des Zaren Alexander an das Regiment der Königin, sozusagen ein Geschenk unter Freunden in der Heiligen Allianz.

Sie sehen: Dieses Bild ist nicht einfach eine romantische Reiteridylle, sondern es erzählt eine ganze Geschichte, und es enthält ein pädagogisches Programm. Insoweit ist es schon vom Bildinhalt her für Freunde der Geschichte spannend. Und wer sich für die Geschichte nicht so interessiert, kann sich immer noch an hochqualitativer, solider Akademiemalerei erfreuen, die unser Museum für uns bereithält.

Jan Baechle


Erfahren Sie in diesem Interview mehr über unser Kuratoriumsmitglied Jan Baechle, das für uns Schätze des Museums ans Tageslicht bringt.

Zur Übersicht