Und es bewegt sich doch!

Gastbeitrag von Dr. Helmut Müller

Der frühere Wiesbadener Oberbürgermeister und heutige Geschäftsführer des Kulturfonds Frankfurt RheinMain, Dr. Helmut Müller, hält Museen als „Plätze des Nachdenkes“ in der heutigen Zeit für unverzichtbar – und sieht auch im Museum Wiesbaden einen solchen Ort. Das langjährige Mitglied unseres Vereins freut sich über Kooperationen, aber ebenso über Highlights in den Häusern der Kunst. Der Kulturfonds unterstützt immer wieder Ausstellungen des Museums Wiesbaden, das Müller zu den „Flaggschiffen“ zählt.


Wer kennt sie nicht, die Klage, dass in Rhein-Main alle für sich unterwegs und Kooperationen nahezu unmöglich sind – auch im kulturellen Bereich? Auf der einen Seite fast nachvollziehbar, weil viele Akteure und Institutionen in ihren Städten auch heute schon erfolgreich arbeiten. Aber auf der anderen Seite zeigt der Blick auf die gesamte Region Rhein-Main – weltoffen, mit rund 2,5 Millionen Einwohnern, sehr hohen Einkommen und hervorragenden Ausbildungsstätten – welches Potenzial hier liegt. Vier herausragende Bühnen in Frankfurt, Wiesbaden, Darmstadt und Mainz, eine große Zahl kleiner und freier Theater kennzeichnen dies beispielhaft genauso wie die kürzlich erhobene Zahl von fast 500 Museen und Kunsthäusern in der Metropolregion Rhein-Main.

Und im Bereich von Kunst und Kultur wird auch sichtbar, was durch Kooperation möglich wird.

Ein Beispiel ist dabei sicher der zeitgenössische Tanz, herausragend nicht nur durch die Zusammenführung der Tanz-Compagnien der beiden Staatstheater Wiesbaden und Darmstadt – was schon für sich außergewöhnlich ist –, sondern vor allem auch durch das gemeinsame Projekt „Tanzplattform RheinMain“ mit dem Mousonturm in Frankfurt, das die ganze Region berührt. Ein weiteres Beispiel ist die triennal stattfindende Fotografieausstellung RAY. Sie wurde vor fast zehn Jahren mit dem Ziel begründet, auch hier der zeitgenössischen Fotografie ein Forum zu schaffen, das weit über die Region hinaus wahrgenommen wird. Nach der dritten Auflage von RAY im Frühsommer lässt sich festhalten, dass auch hier das Konzept enger regionaler Kooperation aufgegangen ist, RAY weit über die Region hinaus wahrgenommen wird und in der Konkurrenz der Festivals unübersehbar seinen Platz gefunden hat.

Nicht von heute auf morgen, aber immer schneller und vor allem „immer normaler“ wird diese Kooperation im Bereich von Kunst und Kultur. Liest man die letzten Nachrichten für Projekte im Wohnungsbau oder der regionalen Mobilität, so gewinnt man den Eindruck, dass die Einsicht in die Notwendigkeit regionaler Zusammenarbeit wächst. Es hat sich anscheinend herumgesprochen, dass auch die größten Akteure wenig von ein paar isolierten S-Bahn Kilometern hätten, die auf ihre Gemarkung beschränkt wären.

Aus der Ausstellung „Caravaggios Erben“: Francesco Solimena (1657-1747), Der Abschied der Rebekka. Museum Wiesbaden (Foto: Bernd Fickert)
Aus der Ausstellung „Caravaggios Erben“: Francesco Solimena (1657-1747), Der Abschied der Rebekka. Museum Wiesbaden (Foto: Bernd Fickert)

Für eine eine agile regionale Kulturszene kommt es aber nicht nur auf gemeinsame Projekte oder andere Formen der Zusammenarbeit an. Notwendig sind auch Flaggschiffe, die mit ihrer Arbeit und ihren Programmen ganz wesentlich dazu beitragen, Profile herauszuarbeiten oder Themen zu setzen, die ihrerseits Gegenstand vieler Projekte und Auseinandersetzungen werden. Das Frankfurter Städel mit international bestens aufgenommenen Ausstellungen zu Rubens oder dem „Geschlechterkampf“ vorneweg, gefolgt von ein bis zwei Häusern wie dem Museum Wiesbaden, das mit „Caravaggios Erben“ und der Kirchhoff-Ausstellung echte Highlights verbuchen konnte und jetzt aktuell mit der Brabant-Ausstellung große Anziehungskraft hat. Die im Herbst anstehende Schau zum Werk von Eduardo Chillida wird sich ohne Zweifel in dieser Reihe anschließen.

Es gibt die statistische Feststellung, dass in Deutschland mehr Menschen Museen besuchen als Bundesligastadien. Das ist sicher nur dann möglich, wenn Museen auf der Höhe der Zeit sind und schnell und offen die Themen aufnehmen, die heute auf die Tagesordnung gesetzt werden. Dazu gehört für mich in einer Zeit, in der viele Gewissheiten in einem unglaublichen Tempo in Frage gestellt oder über Bord geworfen werden, auch, dass Museen genauso wie andere Kulturinstitutionen mit ihrer Arbeit und ihren Häusern Plätze des Nachdenkens, der Begegnung, des offenen Gesprächs und des Gewinnens neuer Kriterien sein können. Ich glaube, das Museum Wiesbaden ist so ein Platz.

Helmut Müller,
Geschäftsführer Kulturfonds Rhein Main

Aus der Ausstellung „Heinrich Kirchhoff – ein Sammler von Jawlensky, Klee, Nolde …“: Conrad Felixmüller, Familienbildnis Kirchhoff, 1920. Museum Wiesbaden © VG Bild-Kunst, Bonn 2018
Aus der Ausstellung „Heinrich Kirchhoff – ein Sammler von Jawlensky, Klee, Nolde …“: Conrad Felixmüller, Familienbildnis Kirchhoff, 1920. Museum Wiesbaden © VG Bild-Kunst, Bonn 2018

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