Unter Freunden

Zwei pralle Künstlerleben

Marianne von Werefkin, Zirkus ⁄ Vor der Vorstellung, 1908–10. Leopold-Hoesch-Museum & Papiermuseum Düren. (Foto: Peter Hirnschläger)

Ist das bei Ihnen auch so, liebe Freunde des Museums Wiesbaden: Steuern auch Sie immer wieder Bilder in den Sammlungen an – weil es Lieblingswerke von Ihnen sind? Einer meiner Anziehungspunkte ist das „Badehaus“, Marianne von Werefkins Impression eines Ferienaufenthalts 1911 an der Ostseee. Und natürlich besuche ich immer wieder gerne „Helene im spanischen Kostüm“, die Frau, mit der Jawlensky schließlich nach Wiesbaden zog – während sein „Lebensmensch“ Marianne in der Schweiz zurückblieb … Jetzt haben wir die wunderbare Gelegenheit, ab dem 12. März in der Ausstellung „Lebensmenschen“ erstmals das Künstlerpaar Marianne von Werefkin und Alexej von Jawlensky Seite an Seite in einer gemeinsamen Schau zu erleben! Sie gehören, so erinnert man in dem sehr gelungenen Führer durch die 15 (!) Räume, zu den Wegbereitern des Blauen Reiters und zu den führenden Figuren des Expressionismus. Ihr malerisches Schaffen, aber auch ihre ebenso enge wie komplizierte Beziehung, die fast 30 Jahre lang währte, wird in der Ausstellung auf fesselnde Weise erzählt.

So soll es aussehen: einer der Pläne zur Hängung der Werke (Foto: privat)
Letzte Aufbauarbeiten (Foto Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)

Ein kurzer Blick zurück auf die Tage des Aufbaus. Mit Kurator Roman Zieglgänsberger streife ich durch die Räume – und staune: Eine ganz ruhige Atmosphäre bei der Arbeit an verschiedenen Stellen. Klimakisten überall, einiges hängt schon an den Wänden, an anderer Stelle Pläne, wie es aussehen soll … Soeben ist eine Lieferung aus dem Solomon R. Guggenheim Museum in New York eingetroffen: „Helene mit rotem Turban“ von 1910. Das Werk ist noch nicht ausgepackt, der Platz, wo es hängen soll, natürlich längst markiert. Das Gemälde ist nicht ohne Begleitung nach Wiesbaden gekommen, eine Expertin vom Guggenheim-Museum ist dabei, sie wird prüfen, ob es beim Transport keinen Schaden genommen hat und nun in Wiesbaden korrekt behandelt wird. An die 200 Werke der beiden Künstler, die sich 1892 in St. Petersburg kennenlernten, hängen nun gleichberechtigt bei uns in Wiesbaden, nachdem sie zuvor in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus zu sehen waren. Ich erinnere mich an die Präsentation in München, die mich im Dezember beeindruckte, eine Präsentation, die natürlich bei völlig unterschiedlichen räumlichen Gegebenheiten auch eine ganz andere war, als die, die wir nun, in der „Jawlensky-Stadt“ sehen, im Theodor-Fischer-Bau.

Alexej von Jawlensky, Selbstbildnis, 1912,Museum Wiesbaden (Foto: Museum Wiesbaden ⁄ Bernd Fickert)

Die Geschichte, die in der Ausstellung erzählt wird, fasziniert. „Lebensmenschen“ ist gegliedert in folgende Lebensabschnitte des Künstlerpaares: Anfänge in Russland und erstes Jahrzehnt in München. München und Murnau. Gemeinsam am Meer und in den Bergen. Maskeraden und Theater. Exil in der Schweiz. Und schließlich: getrennte Wege – Jawlensky in Wiesbaden und Werefkin in Ascona. Es lohnt sich sehr, sich darauf ganz einzulassen!

Neben dem empfehlenswerten Führer gibt es auch einen Audioguide, der über die Museums-App kostenlos zur Verfügung gestellt wird, oder für fünf Euro mit Leihgerät. So vieles könnte man erwähnen, doch schauen Sie selbst, liebe Freunde des Museums! Dann finden Sie übrigens auch vier zusammengehörende Werke Jawlenskys, die dank Reinhard Ernst hier gezeigt werden: Frühling, Sommer, Herbst und Winter. „Die sind von Reinhard Ernst“, sagt beim Rundgang Roman Zieglgänsberger. Der Bauherr des Museums für abstrakte Kunst hat diese Werke vor etwa zwei Jahren erstanden, sie stammen aus dem Nachlass der Kunsthändlerin Galka Scheyer, die für Jawlensky so wichtig wurde und die initiierte, dass er nach Wiesbaden übersiedelte. „Ich leihe die Bilder gerne aus“, sagt  Sammler Ernst, der sich sonst privat an ihnen erfreut. Neben den Werken, die im Museum Wiesbaden oder im Lenbachhaus in München zu Hause sind, haben eine Reihe von Privatsammlern Bilder zur Verfügung gestellt. Und als Kooperationspartner haben das Alexej von Jawlensky-Archiv in Muralto und die Fondazione Marianne Werefkin in Ascona großen Anteil am Gelingen der Schau. Die Wiesbaden eng verbundene Jawlensky-Enkelin und Leiterin des Archivs, Angelica Jawlensky Bianconi, die wir auf dieser Website schon im Interview vorgestellt haben, kann leider an der Eröffnung krankheitsbedingt nicht teilnehmen.

Marianne von Werefkin, Selbstbildnis, 1910. Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München (Foto: Simone Gänsheimer, Ernst Jank)

Zur Einstimmung vielleicht noch ein paar Schlaglichter: Der „Rosa Salon“ der damals noch wohlhabenden Werefkin in München, wo progressiv gesinnte Künstler sich trafen, der wandlungsfähige Tänzer Alexander Sacharoff als Modell für beide, zwei Werke auch von Andreas, dem Sohn, den Jawlensky mit Helene hat, Mystische Köpfe und Heilandsgesicht, während des Exils in der Schweiz entstanden, wo des Malers „Seele durch vieles Leid anders geworden ist“, gleichzeitig Werefkins Innenschau ihrer privaten Situation, ausgelöst durch die sie kränkende Beziehung ihres „Lebensmenschen“ mit Helene, die kein Dienstmädchen mehr ist …

Helene im spanischen Kostüm –Jawlenskys Frau ist wohlbehalten aus München zurückgekehrt. Dort wurde sie sehr bewundert. (Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)

„Helene war der zweite Lebensmensch für Jawlensky“, sagt Kurator Zieglgänsberger beim Rundgang durch die Ausstellung, als wir vor dem großformatigen Porträt „Helene im spanischen Kostüm“ stehen. Sammler Frank Brabant hat es schon vor Jahren dem Museum Wiesbaden geschenkt und schlug zuvor alle millionenschweren Kaufangebote aus Russland aus. In der Ausstellung soll auch die kunsthistorische und die biografische Bedeutung der Mutter von Andreas zum Ausdruck kommen. Sie und ihr Sohn sollen übrigens die einzigen gewesen sein, die Jawlensky nach Werefkins Tod trösten konnten. Damals lebte er längst in Wiesbaden, hatte in Kirchhoff einen großen Förderer. Hier malte er zuletzt die Serie „Abstrakte Köpfe“, blieb bis zum Tod beim Thema menschliches Gesicht. Bleibt die Frage: „Lebensmensch“ – vorher rührt eigentlich der Begriff? Er ist geprägt vom Schriftsteller Thomas Bernhard für seine jahrzehntelange Vertraute Hedwig Stavianicek, die ihm Kraftquelle war. Die Kuratoren finden „Lebensmenschen“ ebenso passend wie Neugier erweckend, denn „dieses Wort drückt aus, wie Kunst und Leben ineinanderfließen“, so Roman Zieglgänsberger.

Anziehungspunkt Badehaus – ein Werefkin-Werk, das immer im Museum Wiesbaden zu finden ist. (Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)

„Wer ist unser Lebensmensch?“, diese Frage stellen die Ausstellungsmacher am Ende des Wegs durch die Welt des Künstlerpaares. Und fordern auf: „Senden Sie Grüße aus der Ausstellung an Ihren Lebensmenschen – wir übernehmen das Porto und den Versand“. Eine wirklich schöne Idee! Die zur Verfügung gestellte Karte zeigt Jawlenskys „Turandot“, bei der – so heißt es im Führer durch die Schau – „Helene mit ihrem runden Gesicht und der leicht hochgezogenen Augenbraue hindurchzuspüren ist“.

Und wer lieber zuhause eine Botschaft schreiben möchte, der findet übrigens im Museumsshop unter zahlreichen Kartenmotiven auch mein so oft aufgesuchtes Badehaus.

Ingeborg Salm-Boost

Alexej von Jawlensky, Turandot I, 1912. Privatsammlung (Foto: Privat)

P.S. Natürlich gibt es auch einen Katalog zur Ausstellung. Außerdem einen in Zusammenarbeit mit den beiden Kuratoren Annegret Hoberg und Roman Zieglgänsberger entstandenen Film, gedreht an Originalschauplätzen. Regie führte Ralph Goertz. Die Freunde sind für den 30. April, 18 Uhr, zur Vorführung eingeladen!

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