Unter Freunden

Ein Fenster soll weit offen sein

Das Museum muss derzeit geschlossen bleiben. Aber viermal die Woche gibt es „Ein Museumsfenster am Abend“. Und Filme sind in der Planung. (Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)

Wie viele Bücher haben Sie in dieser Ausnahmezeit griffbereit auf dem Tisch liegen? Und sind Sie immer öfter auch mal bereit, zuzugreifen, andere Welten zu betreten, statt unentwegt in die neuesten Virus-News mit ihren üblen Aussichten einzutauchen? Bei allem Bestreben, stets auf dem neuesten Corona-Stand zu sein, unsere Verletzlichkeit, ja Sterblichkeit und auch die wirtschaftlichen Sorgen so vieler Menschen nicht zu verdrängen: Es tut unendlich gut, sich trotzdem mit anderen Themen zu befassen.

Sie mögen denken: Das können sich Infizierte und/oder von Existenznöten Betroffene sowie die bis zum Rand der Erschöpfung Helfenden nicht leisten. Stimmt, das kann wohl kaum gelingen. Und großes Mitgefühl ebenso wie Hochachtung sollte all diesen Menschen gewiss sein. Doch wer Freiräume hat, der sollte sich auch in dieser irreal anmutenden Zeit Schönes gönnen – es muss keineswegs von Hilfsbereitschaft für andere abhalten.

Warum ich diese Gedanken hier so darlege? Ich habe das Glück, ein Stück weit innehalten zu können, in der Natur Kraft einzuatmen, Dinge zu tun, für die ich vermeintlich nie genug Zeit hatte. Und gerne möchten wir Aktive vom Förderkreis für unsere Freunde des Museums in Zeiten der verschlossenen Türen einen Blick nach drinnen vermitteln können. Deshalb freut es uns, dass wir von Freitag an jedes Wochenende einen „Ausflug“ in die so gelungene Ausstellung „Lebensmenschen“ machen können. Kurator Roman Zieglgänsberger sucht für Sie spannende Werke von Jawlensky und Werefkin aus, wird sie in aller Kürze beschreiben – wobei uns allen die  Hoffnung bleiben sollte, dass man die fünfzehn Ausstellungsräume in absehbarer Zeit wieder aufsuchen kann. Wer das Glück hatte, „Lebensmenschen“ in den wenigen Tagen vor Schließung des Museums zu sehen, der weiß, wie überaus gelungen, ebenso intelligent wie einfühlsam, das Leben und Schaffen der seelenverwandten Künstler des Expressionismus in ihren Werken erzählt wird.

Hier möchten wir auch auf den kostenlosen Rundgang per Museums-App hinweisen, den man sich über den Google Play Store oder den App Store aufs Mobiltelefon laden kann.

Unser neuer Museumsdirektor Andreas Henning hat sich seinen Start in Wiesbaden sicher auch anders vorgestellt. Doch nun gilt es, mit seinen Kolleginnen und Kollegen auf digitale Weise die Schätze des Hauses der Kunst und Natur anzubieten. Zwar konnte sein Ziel, mit kurzen Filmen auf der Museums- und auch auf der Freunde-Website präsent zu sein, noch nicht in die Tat umgesetzt werden, aber das wird sich in Kürze ändern. Sobald das professionelle technische Equipment vorhanden ist, will man laut Andreas Henning loslegen. Aber das „Museumsfenster am Abend“ ist für alle Interessierten, die Social-Media-Kanäle nutzen, bereits geöffnet. Dienstags, donnerstags, samstags und sonntags bietet man jeweils etwas Gehaltvolles, so der Direktor. Andreas Henning sagt uns dazu: „In Zeiten der Quarantäne wird das Fenster ja zu einem ganz neuen Sinnbild, da der Blick durch das Fenster Zugang und Austausch mit der Welt bedeutet. So werden am Fenster die gemeinsamen nachbarschaftlichen Gesänge angestimmt, den Medizinern und dem Pflegepersonal wird mit täglichem Applaus Respekt gezollt, oder es wird die Ode an die Freude musiziert … Wir greifen dieses Sinnbild auf, indem wir unsere Posts ,Museumsfenster am Abend‘ nennen. Beispielsweise bieten wir unter diesem Titel auf Facebook, Twitter und Instagram kleine Vorstellungen zu einzelnen Sammlungsobjekten.“ Einiges ist zum Lesen und Schauen gedacht, anderes wie eben „Lebensmenschen“ oder auch die Naturhistorischen Sammlungen sind mit Bild und Ton zu erleben. Andreas Henning: „Wir freuen uns, wenn unsere virtuellen Angebote Beachtung finden. Gerade in der jetzigen Zeit wäre das Museum ein idealer Reflektionsort, aber wir wissen, dass die Schließungsmaßnahmen sinnvoll sind, so traurig ein Museum ohne Besucher auch ist.“

Kommen wir wieder zurück auf unsere Website, liebe Freunde – nicht jeder möchte auf Facebook oder Instagram unterwegs sein. Deshalb können Sie in den nächsten Tagen neben unserer „Lebensmenschen“-Serie auch einen Beitrag von Kurator Peter Forster zu einem Werk in der Ludwig-Knaus-Ausstellung „Homecoming“ lesen. Er schreibt über eine Fotografie, die Ludwig Knaus’ Tochter im Museum Wiesbaden zeigt und verrät, was es damit auf sich hat.

Unsere Beiträge von Roman Zieglgänsberger und Peter Forster sollen ein wenig für unsere beliebten Veranstaltungen entschädigen, die derzeit leider nicht stattfinden können. Weitere Beiträge folgen. Und bei der Serie „Wir sind dabei“, in der Mitglieder zu Wort kommen, wollen wir den Takt erhöhen …  Damit Ihnen der Lesestoff nicht ausgeht.

Lesen – Sie erinnern sich, damit haben meine Betrachtungen angefangen, damit sollen sie enden: Nächste Woche erwartet Sie auf unserer Website in der neuen Kolumne „Kulturcampus MuWi“ die Vorstellung eines jungen Museumsfreundes und sozial engagierten Studenten. Schauen Sie ab und zu auf www.freunde-museum-wiesbaden.de und achten Sie auf unsere Rundmails.

Ach ja, es gibt so viele schöne Bücher, die mit Kunst oder Natur zu tun haben: Ich habe mich in den vergangenen Wochen in „Die Witwe der Brüder van Gogh“ von Camilo Sánchez,  in „Lichter setzen über grellem Grund“, ein Buch von Renate Feyl über die Porträtmalerin Elisabeth Vigée-Lebrun, und in „Frida Kahlo und die Farben des Lebens“ von Caroline Bernard vertieft. Drei beeindruckende Frauen. Zwischendurch werfe ich einen Blick in „Privatzugang“, ein Buch von Skadi Heckmüller über private Kunstsammlungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz, das mir eine Museumsfreundin geschenkt hat. Und dann beeindruckt mich noch ein kleines Buch ganz besonders, das mir meine in Italien – derzeit in Quarantäne – lebende Freundin zugesendet hat: „Ansichtssachen – Alte Bilder, neue Zeiten“ von Kia Vahland. Die Autorin setzt Werke unter anderem von Tizian, Manet, Modersohn-Becker oder etwa van Gogh in Beziehung zur heutigen Zeit. Zeigt auf, wie die Künstler nicht nur ihre eigene kleine Welt thematisieren, sondern nach den großen Fragen suchen, die Menschen bewegen …

Ingeborg Salm-Boost


P.S. Was auch immer Sie in nächster Zeit lesen mögen: Denken Sie bitte daran, dass es inhabergeführte Wiesbadener Buchhandlungen gibt, die in den Wochen geschlossener Läden einen Lieferservice anbieten!

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