Unter Freunden

Blick zurück auf „Temporary Ground“, Blick voraus auf „Alles!“

Es ist an der Zeit, liebe Freunde und Freundinnen, dass wir uns auf dieser Website mal wieder bei Ihnen melden. Nach einer kleinen Verschnaufpause zum Sommerende schauen wir zurück auf „Temporary Ground“ und nach vorne, auf die nächste Woche, auf „Alles! 100 Jahre Jawlensky in Wiesbaden“. So viel vorweg: Das wird in die ganze Stadt ausstrahlen!

Doch zunächst ein kurzer Ausflug in die Skulpturenwelt. Wissen Sie, was MDF bedeutet? Ich gestehe, ich wusste es nicht. Aber nun weiß ich sehr wohl mit der Abkürzung etwas anzufangen: MDF steht für Mitteldichte Holzfaserplatte. Unter anderem damit arbeitet der Hamburger Bildhauer Frank Gerritz, dessen Ausstellung im Museum Wiesbaden vor Kurzem zu Ende ging. Welch spannende Werke der Künstler mit MDF und mit Aluminium geschaffen hat, wie sehr sein Tun mit Licht verbunden ist, das konnten Freunde des Museums Wiesbaden bei gleich zwei Exklusivführungen erkunden und sich vom Künstler selbst sowie von Kurator Jörg Daur Arbeitsweisen und Ausgangspunkte erklären lassen. „Viele hoch interessierte Leute wollten viel wissen, sie haben eine gute Vorbildung mitgebracht, das hat Riesenspaß gemacht“, beschreibt Frank Gerritz die Begegnungen zwischen seiner Kunst. So manches angeregte Gespräch fand über „Temporary Ground“ und die Entstehungsgeschichten statt.

Unterwegs in „Temporary Ground“: Künstler Frank Gerritz (rechts) und Kurator Jörg Daur (Foto: Elke Fuchs)

Apropos Entstehungsgeschichten: Sie haben vielleicht in unserer Rubrik „Kunstvoll und Naturnah“ Jörg Daurs Beitrag mit dem Titel „Ein eisenstarker Parcours“ gelesen? Diese Strangguss-Arbeit als Entree der Schau im Eingangsoktogon – exakt für diesen Raum geschaffen – geht nun in den Besitz des Museums über. Auf das Oktogon einzugehen und gleichzeitig die Sehgewohnheiten zu brechen, dies war und ist das Ziel des Künstlers. Ebenso wurde „Measure of Think“ erworben, auch 2021 entstanden für die Wiesbadener Ausstellung – und zwar mit Bleistift auf MDF. MDF, Sie wissen schon …

Parcours, 2021, Gusseisen, massiv, 2.300 kg (Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)

Es macht Freude, sich mit Frank Gerritz zu unterhalten, zum Beispiel auch über die speziellen Bleistifte, die er für seine Zeichnungen braucht, und darüber, dass etwas passiert, „etwas Filmisches“, wenn er seine Wandzeichnungen macht und man an ihnen vorbeiläuft …  Oder wenn er von der Gießerei Aco Guss in Kaiserslautern erzählt, wo seine Arbeiten ausgeführt werden und er sich regelmäßig einfindet, jeden Monat eine Woche lang. Keine Frage, auch für die Gießer gab es eine Führung in der Wiesbadener Ausstellung. Und hier konnte Frank Gerritz übrigens kurz vor der Finissage „seine“ Galeristen und Sammler begrüßen. Trotz Pandemie angereist u .a. aus Tokio, New York, Madrid oder Brüssel. Wenn unser Museum nun zwei Werke des Künstlers besitzt, so befindet es sich in bester Gesellschaft – er ist im Gemeentemuseum (Den Haag), in der Sammlung Falckenberg (Hamburg) oder etwa in der Menil Collection (Houston) und der National Gallery of Art (Washington) vertreten.

Temporary Ground. Measure of Things, 2021, Bleistift auf MDF (Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)

Vom 15. Oktober an wird Gerritz in der Galerie Haas in Berlin und in Zürich ausgestellt. Worauf er sich ganz besonders freut: 2022 wird er in der Kunststation St. Peter in Köln vertreten sein, dort, wo das letzte Gemälde von Peter Paul Rubens, „Die Kreuzigung Petri“ (1638) und die Skulptur Gurutz Aldare (2000) von Eduardo Chillida die wichtigsten Kunstschätze der Kirche sind.
Noch einen Grund gibt es für Frank Gerritz, sich zu freuen: In Wiesbaden, wo er sich sichtlich wohl fühlte, hat nicht nur das Landesmuseum bei ihm „eingekauft“. Auch der Nachbar Reinhard Ernst hat für sein Haus der abstrakten Kunst eine vierteilige Alu-Arbeit erworben: „Further down the line“.

Alexej von Jawlensky inmitten seiner Freunde: Paula Cholin, Max Reuter, Tony Kirchhoff, Alexej von Jawlensky, Tiny Reuter, Fritz Reuter, Mieze Kirchhoff (von links) in der Parkanlage Warmer Damm, 1924 (Foto: Privatarchiv Kirchhoff/Nachlass Mieze Binsack)

Und nun schauen wir auf Alexej Jawlensky, den russischen Maler, dem ab 17. September bis Ende März eine Jubiläumsschau gewidmet ist. Dem Mann, der sich 1921 kurz, nachdem der Nassauische Kunstverein ihm eine Schau gewidmet hatte, die Weltkurstadt Wiesbaden als Wahlheimat aussuchte. Bis zu seinem Tod 1941 wohnte er hier, holte seine Helene (die er 1922 heiratete) und Söhnchen Andreas nach. An schillernde und an dunkle Zeiten soll erinnert werden: Mit 111 museumseigenen Werken, von den expressiven Köpfen bis zum seriellen Werk, mit spannenden Dokumenten und auch mit einem „Jawlensky-Pfad“ durch die Stadt. Er führt vom Hauptbahnhof aus, wo er gut gelaunt im Juni ankam, an viele Orte, die mit dem Maler verbunden werden, bis hin auf den Neroberg, zum russisch-orthodoxen Friedhof, wo er begraben liegt. Auch Geschäfte, Gastronomie und Privatpersonen machen in vielfältiger Form mit, präsentieren das „Aushängeschild“ Wiesbadens unter anderem als Pappfigur in Lebensgröße, auf Törtchen oder auf der Praline …

Von Jawlensky und mit Jawlensky: das T-Shirt, ein Selbstbildnis des Künstlers mit Blume. Kurator Roman Zieglgänsberger fühlt sich darin wohl und zeigt „Alles!“ in der großen Jubiläumsschau. (Foto: Museum Wiesbaden)

„Wir breiten alles aus“, verspricht Roman Zieglgänsberger, der den Expressionisten einen der wichtigsten Söhne Wiesbadens nennt. Dem Kustos der Klassischen Moderne und Kurator der Ausstellung „Alles! 100 Jahre Jawlensky in Wiesbaden“ bescheinigt Direktor Andreas Henning anerkennend, dass er „groß denkt“, auch mit dem Bestandskatalog zu den Jawlensky-Schätzen des Museums, das die bedeutendste Sammlung dieses Künstlers weltweit sein Eigen nennt. In 16 Räumen wird sein Leben und Wirken erzählt, lernt man seine Förderer und auch Förderinnen kennen. Sehr engagierte, ihm hilfreiche Damen. Solche, von denen man schon gelesen und gehört hat, wie etwa Hanna Bekker vom Rath oder Lisa Kümmel, aber auch weitere, womöglich nicht so präsente Förderinnen findet man in der Lebensgeschichte. Natürlich schaut man auf Mäzen Heinrich Kirchhoff und seine Frau Tony. Sie ist übrigens auf der Einladung für die Freunde mit dem Maler abgebildet! Gegenüber Mäzen Kirchhoff in der Beethovenstraße waren die Jawlenskys mit dem gemeinsamen Kind zu Hause.

Helene Nesnakomoffs Rolle wird, sagt Roman Zieglgänsberger, in der Ausstellung besonders gewürdigt. Keineswegs nur, weil Jawlenskys größtes Gemälde sie als „Helene im spanischen Kostüm“ zeigt, das Bildnis des Malers, das wir Freunde und Freundinnen des Museums bestens kennen. Es ist das Werk, das der heimische Sammler Frank Brabant dem Haus 2014 in unglaublicher Großherzigkeit schenkte. Helene ist nun anlässlich des Jubiläums neu gerahmt worden, erzählt Roman Zieglgänsberger während eines Rundgangs beim Aufbau der Ausstellung und zeigt, dass ihr ein eigener Raum gegeben wird. So wie auch dem berühmten Selbstbildnis Jawlenskys von 1912, um dessen Erwerb es Anfang der 1970er Jahre in der Stadtgesellschaft und unter den Politikern einen erbitterten Streit gegeben hatte. Genau in der Zeit, als die Stadt das Museum dem Land übergab, stand das Werk – die „Galionsfigur des Museums“, wie der Kustos der Klassischen Moderne, Roman Zieglgänsberger, sagt – zum Verkauf. Es sollte 380.000 Mark kosten. Sollte man dieses Geld nicht besser für Infrastruktur, etwa Straßenlaternen, ausgeben? Am Ende stand das Bekenntnis zur Kunst, und aus der Sammlung Max Kugel, der Jawlensky laut Zieglgänsberger sehr gefördert hatte, wurde das Bild erworben. Viel ließe sich wohl noch sagen über die damalige Zeit, als die Stadt „ihr“ Museum hergab. Doch dies ist eine weitere Geschichte …

Einen eigenen Raum gibt es für „Helene im spanischen Kostüm“, das der Sammler Frank Brabant 2014 dem Museum schenkte. Das Gemälde von Alexej Jawlenskys Frau und Mutter seines Sohnes hat auch einen neuen Rahmen erhalten. Bei der Aufbauarbeit: Roman Zieglgänsberger, Michael Krag und Jana Dennhard. (Foto: Ullrich Knapp)

Gehen wir doch noch einen Moment durch die Ausstellungsräume, schauen wir auf das Stillleben mit grüner Flasche, das klein, aber fein noch an der Wand lehnt und auf seinen Platz wartet. Aber der Blick fällt auf einen Zeitungsartikel, der Anfang der 1980er Jahre geschrieben wurde und jetzt, als Tapete, schon eine große Wandfläche bedeckt. Und hier geht es um dieses Bild, auch wenn nicht in Farbe, es ist im Beitrag der Lokalzeitung gut zu erkennen. Höchst interessant, was der damalige Feuilleton-Chef Bruno Russ da schreibt. Die Experten-Welt war nämlich im Streit: Hat dieses Stillleben der große Maler selbst geschaffen oder aber sein Sohn Andreas in ganz jungen Jahren? Auch mit ihm hatte der Verfasser des Artikels damals telefoniert … Nach der (wegen der Pandemie leider nur) „stillen Eröffnung“ der Schau will man Aufklärung leisten. So viel verrät Kurator Zieglgänsberger uns Freunden schonmal: Eigentlich kann das „Flaschen-Bild“ beiden Jawlenskys zuerkannt werden. Denn völlig unter dem inspirierenden, künstlerischen Horizont des Vaters, hat Andreas, der ja auch Maler wurde, wohl das Stillleben auf die Leinwand gebracht.

In einem weiteren Raum treffen wir auf Restauratorin Ines Unger. Sie beschäftigt sich mit einem Bild, das mitten im Raum von beiden Seiten zu sehen ist. Seltsam? Nein, gar nicht, denn Alexej Jawlensky hat häufiger beide Seiten bemalt oder aber die Rückseite für Skizzen zum Bild verwendet. Roman Zieglgänsberger ist begeistert darüber, dass in der hauseigenen Werkstatt unter der Leitung von Ines Unger ein tolles System entwickelt worden ist, dies in großer Ästhetik zu präsentieren.

Sie wird noch platziert: Die „Dame mit Fächer“, das erste Bild, das aus dem Jawlensky-Nachlass erworben wurde. Das war 1956. (Foto: Ullrich Knapp)

Vieles könnte zum großen Wurf im Museum vorab berichtet werden. Und Sie wissen sicher, dass wir Freunde so manches Jawlensky-Gemälde (mit) erworben haben. Doch machen Sie sich selbst ein Bild von „Alles! 100 Jahre Jawlensky in Wiesbaden“. Bitte nicht vergessen: Für die „stille Eröffnung“ am 16. September, zu der neben Ehrengästen ausschließlich Mitglieder des Freunde-Förderkreises eingeladen sind, ist unbedingt die Anmeldung online notwendig! Und auch die Angabe eines Zeitfensters. Noch ist Platz vorhanden, heißt es aus dem Museum, wo man sich in Pandemie-Zeiten genau an die Vorgaben des Landes Hessen zu halten hat.

Zum Schluss nun soll unter uns Freunden noch ein Förderkreis-Mitglied aus der Schweiz zu Wort kommen, Alexej Jawlenskys Enkeltochter Angelica Jawlensky Bianconi: „Ich freue mich auf diese grandiose Ausstellung“, sagt die Leiterin des Jawlensky-Archivs, von der man auch eine Interview auf unserer Website findet, im Telefonat. Sie wird dabei sein in Wiesbaden, wenn „Alles!“ vorgestellt wird. Was sie so sehr freut: Diese Jubiläumsschau zeigt „dass das Interesse seitens der Museumsleitung immer noch sehr groß ist am Jawlensky-Werk“. Und: „Dass der Fundus sehr lebendig bleibt, zeigt sich durch weitere Ankäufe und durch Schenkungen. Ich bin auch gespannt auf die vielen Dokumente.“, sagt uns Angelica Jawlensky Bianconi, die mit ihrem Mann Marco Bianconi sicher auch den „Jawlensky-Pfad“ entlang durch die Stadt laufen wird, bis hin zum russisch-orthodoxen Friedhof, wo ihr Großvater begraben liegt.

Ingeborg Salm-Boost

Es wird viele interessante Dokumente in der Jubiläumsausstellung geben. Hier ist Jawlenskys Fördererin Hanna Bekker vom Rath zu sehen. (Foto: Ullrich Knapp)

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