Unter Freunden

Mit „gutem Gefühl“ entschieden

Wer ins Maldaner einkehrt, trifft auch an der Kaffee-Bar auf Alexej von Jawlensky. Und kann sogar ein Jawlensky-Törtchen aus Schokolade und Marzipan bestellen. (Foto: Café Maldaner)

Waren Sie, liebe Freundinnen und Freunde des Museums, schon auf dem Jawlensky-Pfad in der Stadt unterwegs? 27 Stationen erzählen Interessantes über Alexej von Jawlensky, seine Familie, sein künstlerisches Schaffen sowie über seine Fördererinnen und Förderer in Wiesbaden. An manchen Orten kommt man ja immer wieder mal vorbei, so zum Beispiel auf unserer „Rue“, wo man u. a. auf die Station 14 trifft – eben dort, wo er gerne am Warmen Damm mit seinem Mäzen Heinrich Kirchhoff und dessen Frau Tony flanierte. Oder an der Ecke Rheinstraße/Wilhelmstraße, wo er im zeitweise von seiner Frau Helene geführten Schönheitssalon vorbeischaute. „Es sind Laufrouten, während derer er gedanklich vielleicht bereits bei den ,Abstrakten Köpfen‘ war, die er vornehmlich in Wiesbaden schuf“, so heißt es in der Beschreibung zur Station 14. Zunächst weit geöffnete Augen, dann aber geschlossene Augen … Bis zum Lebensende 1941 widmete er sich diesen Porträts bis hin zu der „völlig geistigen Werkreihe Meditationen“.

Mit offenen Augen und mit Freude am Weg ist auch Enkelin Angelica Jawlensky Bianconi zusammen mit ihrem Ehemann auf dem Pfad durch Wiesbaden gelaufen, der ihrem Großvater gewidmet ist. Nein, alle Stationen schaffte die 64-Jährige nicht während ihres kurzen Aufenthaltes hier. Doch auf den Friedhof auf dem Neroberg, zum Jawlensky-Grab, zieht es sie ohnehin bei jedem Wiesbaden-Besuch. Für sie war es keine Frage, zur Eröffnung der Ausstellung „Alles! 100 Jahre Jawlensky in Wiesbaden“ zu kommen. Wir hatten Gelegenheit, sie kurz vor ihrer Abreise im Hotel zu treffen und mit ihr u. a. über die Entscheidung zu sprechen, das Alexej von Jawlensky-Archiv mit Sitz in Muralto (Schweiz) sukzessive dem Museum Wiesbaden zu übereignen (siehe auch Beitrag „Wiesbaden wird Ort des Jawlensky-Archivs“).

Hierhin, auf den Neroberg, führt stets der Weg der Enkelin: ans Grab von Alexej und Helene von Jawlensky auf dem russisch-orthodoxen Friedhof. (Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)

„Die Jahre ziehen vorbei, irgendwann darf man nicht mehr zögern, die Zukunft zu organisieren“, sagt Angelica Jawlensky Bianconi. Sie habe am Beispiel anderer Archive – etwa des Kandinsky-Archivs in Paris – gesehen, wie schwierig es werden kann, wenn nicht die richtigen Vorkehrungen getroffen werden. Da seien bei ihr die Alarmglocken angegangen. Dass das Museum Wiesbaden eine Option sein könnte, dass die Dokumente hier in besten Händen wären, Forschung weiterbetrieben würde, das war der Enkelin des Expressionisten, die mit Herzblut seit 1986 das Archiv aufgebaut hat und es bis zum heutigen Tag leitet, früh klar. Roman Zieglgänsberger, Kustos der Klassischen Moderne, arbeitet seit jeher eng mit dem Archivio in Muralto zusammen, gehört dem Beirat an. Mit ihm und mit Thomas Bauer-Friedrich, Direktor auf der Moritzburg in Halle und ebenfalls im Beirat, hat sie sich immer wieder ausgetauscht. Man sei insgesamt zu sechst in dem Gremium, ein (aus verschiedenen Häusern und Sparten zusammengestelltes) „Dream-Team“, meint Angelica Jawlensky Bianconi, das u. a. die Echtheit von Gemälden und Zeichnungen prüft.

Dass in Wiesbaden auch mit dem neuen Direktor Andreas Henning sofort eine gute, vertrauensvolle Gesprächsgrundlage vorhanden war, hat den Entschluss der Archiv-Chefin noch gefestigt. „Wir sind uns einig geworden, nach und nach das Archiv nach Wiesbaden zu bringen.“ Sinnvoll sei es, wenn es im großen Stil nach der bevorstehenden Renovierung des Verwaltungstrakts (2022) passiere. Denn zweitweise müssen die Mitarbeiter während dieser Phase in Container ausweichen. Bis 2025, wenn das Museum Wiesbaden 200 Jahre alt wird, soll die „Überführung“ beendet sein.

Sie gehe diesen Schritt, sagt Angelica Jawlensky Bianconi, mit einem guten Gefühl. Während manche Museen sich nach ihrer Wahrnehmung eher zu „Mausoleen“ entwickelten, beobachte sie mit Freude, wie sehr sich das Wiesbadener Museum in der Kunst „gemausert“ habe, wie engagiert das junge Team sei. Und natürlich trage die Neess-Schenkung mit der großartigen Jugendstil-Abteilung sehr zur so positiven Entwicklung des Museums bei. Nicht zuletzt will die Freundin des Wiesbadener Hauses den naturhistorischen Teil erwähnen, der „heutzutage so lebendig und didaktisch klug aufgebaut“ sei, eine wunderbare Bildungsstätte nicht zuletzt für die Jugend.

Vereint in Wiesbaden auf der Terrasse in der Beethovenstraße 9: Helene und Alexej von Jawlensky mit Sohn Andreas im Jahr 1937 (Ausschnitt eines Fotos aus dem Alexej von Jawlensky-Archiv, Muralto/Schweiz)

Förderkreis-Mitglied Angelica Jawlensky Bianconi findet es hervorragend, wie die Sammlungen dank zunehmender Schenkungen, Förderung von Erwerbungen und Dauerleihgaben wachsen, auch in der Klassischen Moderne, wo anlässlich der aktuellen Jawlensky-Jubiläumsausstellung einige Bilder hinzugekommen sind. Fast alles ist in der Ausstellung zu sehen. Sie selbst hat ein Ölgemälde von ihrem Vater Andreas Jawlensky (Porträt Hans Bauer) übergeben. Außerdem brachte sie eine Postkarte mit Stillleben-Aquarell mit – gemalt von ihrem Großvater für Tony Kirchhoff, die Frau des Mäzens. Auch eine Lithografie, „Männer und Pferde“, die der Wiesbadener Maler Ernst Wolff-Malm dem Kollegen Alexej von Jawlensky geschenkt hatte, ging nun vom Jawlensky-Archiv in den Besitz des Museums Wiesbaden über. Was Schenkerin Angelica Jawlensky Bianconi hierbei besonders erwähnt: Auch das gleichnamige Gemälde von Ernst Wolff-Malm gehört dem Wiesbadener Haus. Dieser Maler, so verrät uns übrigens Kustos Roman Zieglgänsberger, hat die Kaiser Friedrich-Therme künstlerisch gestaltet. Zurück zu Jawlensky: Von seinem Urenkel, Michele Pieroni, gab es wiederum als Schenkung zur Jubiläumsausstellung eine Zeichnung von Andreas Jawlensky aus seiner Tessiner Zeit.

Mit Freude hat Angelica Jawlensky Bianconi auch erfüllt, dass es am Eröffnungstag der Ausstellung ein süßes Geschenk der Domäne Mechtildshausen gab: Auszubildende der Jugendwerkstatt hatten eine Torte gezaubert, auf der ein Stillleben Jawlenskys zu bewundern war. Das Bild hatte sein Förderer Dr. Alexander Pagenstecher, international bekannter Augenarzt und Chef der Augenklinik in Wiesbaden, 1910 oder 1912 erworben. Er war Sammler und – so erfuhr es auch die Enkelin des Malers jetzt erst – beriet zunächst Heinrich Kirchhoff bei seinen Ankäufen.

Angelica Jawlensky Bianconi im Museum Wiesbaden vor der „Frau mit Stirnlocke“ (1913). Es zeigt ihre Großmutter Helene Nesnakomoff. (Foto: Salm-Boost)
Angelica Jawlensky Bianconi im Museum Wiesbaden vor der „Frau mit Stirnlocke“ (1913). Es zeigt ihre Großmutter Helene Nesnakomoff. (Foto: Salm-Boost)

Mit dem guten Gefühl, dass Wiesbaden dank der Jubiläumsaustellung und der Präsenz des Themas in ganz Wiesbaden noch mehr zur Jawlensky-Stadt wird, hat die Enkelin die Heimreise in die Schweiz angetreten. Dort wird sie im Oktober wieder mit Roman Zieglgänsberger und dem gesamten Beirat des Archivios zusammentreffen, um Arbeiten zu begutachten. Im November dann, erzählt uns Angelica Jawlensky Bianconi, möchte sie gerne in den französischen Ort Roubaix reisen, wo im Musée la Piscine – in einem ehemaligen Schwimmbad, nun Museum für Kunst und Industrie – eine Ausstellung ganz dem Großvater gewidmet sein wird.

Ingeborg Salm-Boost

PS: Auf die Frage, ob es denn in der Familie auch noch Werke des Malers gibt, antwortet die Enkelin so: „Ja, wir haben eine kleine eigene Sammlung. Aber wir verleihen auch immer wieder.“ Schon Vater Andreas sei ein passionierter Leihgeber gewesen.

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