Unter Freunden

Im Museum den Himmel schauen

„Versuche stets, ein Stückchen Himmel über deinem Leben freizuhalten“ – diesen Rat von Marcel Proust möchten wir gerne in der dritten Woche der Stille „Wiesbaden hält inne“ beherzigen. Im Vorfeld haben wir dazu aufgerufen, sich seine ganz persönlichen Gedanken über das „Balance-Finden“ zu machen; auch darüber, wo es unsere ganz eigene stille Oase in Wiesbaden gibt. Wir? Ich als Autorin der Rubrik „Unter Freunden“ spreche von „wir“, weil mir dieses Projekt seit seinem Start im Jahr 2016 besonders am Herzen liegt und ich es gemeinsam mit Stadtkirchenpfarrerin Annette Majewski und Andreas Friede-Majewski planen und organisieren durfte. Dass das Museum Wiesbaden diesmal besonders aktiv ist, empfinde ich als große Freude. Mit Direktor Andreas Henning und seinem Team haben wir für die Stille-Woche einen engagierten Partner gefunden

Mit fünf (!)Programmpunkten ist das Landesmuseum dabei. Für Dr. Henning steht außer Frage: „Die Woche der Stille betrifft unser Kernanliegen. Es geht ja um Entschleunigung, ein Raus aus dem Alltag – dann erst kommt man in die Wahrnehmung.“ Da passt es prima, dass der Museumschef gleich beim ersten Beratungstreffen die Idee hatte: „Zwölf Minuten statt vier Sekunden.“ Mehrere Studien belegen, so erläutert Andreas Henning im Freunde-Gespräch kurz vor dem Start von „Wiesbaden hält inne“, dass es leider bei sehr vielen Menschen zu einer äußerst kurzen Verweildauer vor einem Kunstwerk kommt – vier Sekunden für den Blick aufs Bild und auf den Titel: „Man hangelt sich an den Labels entlang.“ Während der Woche der Stille lädt das Museum, gut sichtbar, mit Sitzsäcken, Klappstühlen und Hockern dazu ein, sich Zeit zu nehmen, niederzulassen, aus einer Ruhehaltung heraus ein Werk anzuschauen. Und wer mag, soll auch dank der Museumsguides ein Gespräch führen können.

Bieten Bildmeditation und Gespräche im Innehalten-Modus: die Museumsguides (Cover-Foto des Projekts)

Zu sehr konzentriere sich manche(r) auf das begriffsgeleitete Sehen, dabei verdiene ein Bild doch eine sinnliche Erfahrung. „Wir sind ein Musentempel, hier soll der Zauber der Werke erfahrbar sein …“, wirbt Henning für diese Art der Entschleunigung. Und sieht darin auch einen Beitrag zur Nachhaltigkeit, der sich das Museum Wiesbaden ja verschrieben hat.

Dafür, dass seine Idee umgesetzt wird, sorgen Gabriele Knepper und Daniel Altzweig von der Abteilung Bildung und Vermittlung. Schon in der Wandelhalle, gleich neben der Nische mit unserem Freunde-Infostand, sollen Sitzsäcke und weitere Sitzgelegenheiten ebenso wie die blauen Plakate der Woche der Stille auf „Zwölf Minuten statt vier Sekunden“ aufmerksam machen. Sowohl in den Ausstellungsräumen der Natur (mit Hockern, die man dort vorfindet) als auch in der Kunst (wo die Sitzsäcke an besonderen Stellen anlocken sollen) kann man sich im entschleunigten Betrachten üben.

Bitte Platz nehmen und in Ruhe schauen! Solche Sitzsäcke wie dieser hier in der Wandelhalle des Museums laden zum Verweilen zwischen Kunst ein. (Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)

Das Duo Altzweig/Knepper ist mehrfach mit der Woche der Stille befasst. Keine Frage, dass die beiden auch für Kinder in der Museumswerkstatt etwas Besonderes zu bieten haben: „Schau – zeichne – gestalte!“ heißt es am Samstag, dem 30. April, von 11 bis 13.45 Uhr, mit Irene Schwetz für Kinder zwischen fünf und zwölf Jahren. Und die Stille dabei soll im Zentrum stehen, sagt Gabriele Knepper. Die Einladung ist diesmal kostenlos, unterstützt von uns Freunden des Museums. Nähere Informationen finden Sie hier.

Und auch die Bildmeditation mit dem Thema „Leben und Tod“ am 4. Mai, dem Abschlusstag der Woche der Stille, wird vom Team Knepper/Altzweig begleitet. Hier kommen die Museumsguides zum Einsatz, betreut von Pädagogin Christine Scholzen. Förderkreis-Mitglieder wissen sicher, dass auch dieses Projekt von den Freunden unterstützt wird.

In der Wandelhalle wird es „Sinnesgenuss im Schweigen“ geben – dazu auch Poesie. (Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)

Schon seit längerem ausgebucht ist der „Sinnes-Genuss im Schweigen mit Poesie“. In der Wandelhalle findet dieser besondere Event statt, für den es mit der Gastronomie von Mechtildshausen eine hervorragende Zusammenarbeit gibt. Die Chefin des Bereichs, Isabelle Germann, sieht in diesem Dinner im Schweigen eine besondere Herausforderung. „Absolut passend“ findet Andreas Henning diesen Sinnesgenuss aus Mechtildshausen, ergänzt durch Poesie. Diese wird vorgetragen von Annette Majewski und Elfriede Weber (vhs Wiesbaden). Die beiden sind schon ein eingespieltes Team beim Projekt „Silent Dinner“, wie es sie schon – an anderen Orten – in der Woche der Stille gab.

Eine ganz besondere Meditation: bei Jupiter im Oktogon (Installation von Rebecca Horn) im Museum entschleunigen (Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)

Anmeldungen sind noch möglich für ein weiteres, ganz besonderes Innehalten-Angebot am 4. Mai von 17.15 bis 18.30 Uhr im Museum: „Den Himmel schauen“; unter diesem Motto sind Interessierte zur Meditation im Oktogon mit der Spiegelinstallation von Rebecca Horn eingeladen. Immer wieder kann man im Eingangsbereich des Museums ins Staunen geraten, animiert die künstlerische Auseinandersetzung Rebecca Horns mit dem Oktogon zum Schauen und Innehalten. Eine besonders schöne Idee nennt Andreas Henning diese außergewöhnliche Veranstaltung, die auf Mitorganisator Andreas Friede-Majewski zurückgeht. Er und der stellvertretende Museumsdirektor, Kustos Jörg Daur, der höchst Interessantes über diesen Ort im Museum zu erzählen weiß, laden dazu ein, sich dort auf einer (mitgebrachten) Yoga-Matte niederzulassen und der Ruhe hinzugeben. Nein, andere BesucherInnen werden nicht um die TeilnehmerInnen herumlaufen und das Innehalten stören. Denn natürlich findet diese Meditation, der eine kunstgeschichtliche kleine Betrachtung vorausgeht, nach Schließung des Museums statt. „Das müsste doch jeden Yoga-Fan ansprechen“, ist Andreas Henning überzeugt. „Ein fantastischer Raum fürs Entschleunigen, den wir exklusiv dafür nach den Öffnungszeiten anbieten.“

Ach ja, zum Abschluss an den Direktor noch die Frage, was für ihn in Wiesbaden eine „stille Oase“ ist? „Wenn ich morgens sehr bewusst, den Frühling spürend, die Adolfsallee durchquere, das ist mit den Kastanienreihen und dem Brunnen ein besonderer Ort und ein Moment der Kraftschöpfung für mich.“ Viele WiesbadenerInnen haben übrigens bei einer Fotoaktion, unterstützt vom Wiesbadener Kurier, ihre stille Oase im Bild festgehalten. Eine Ausstellung dazu wird im Kirchenfenster Schwalbe 6 präsentiert, digital sind die Orte des Innehaltens beim Abschlussempfang im Rathaus und im Vorprogramm des Programmkinos Caligari zu sehen.

Ingeborg Salm-Boost


PS: Auf der Website www.wiesbadenhaeltinne.de findet sich das Programm der Woche der Stille, die nach 2016 und 2019 zum dritten Mal veranstaltet wird. Dort erfahren Sie auch Näheres zu den Anmeldemodalitäten.

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