Unter Freunden

„Man achte auf die Sprache der Augen“

Ein sonniger Vormittag. Ich sitze am Schreibtisch vor dem Computer und sammle meine Gedanken. In unserem Museum Wiesbaden hat nun die Ausstellung „Weltflucht und Moderne“ begonnen. Eine Begegnung mit Oskar Zwintscher (1870-1916), Dresdner Größe des Jugendstils, die man nicht versäumen sollte. Vielleicht erinnern Sie sich: Museumsdirektor Andreas Henning stimmte uns schon im Weihnachtsgruß auf diese Frühlingsausstellung ein ­­– und stellte Bezüge zur heutigen Zeit her. Oskar Zwintscher ist ein Künstler, der bereits 1899 – während einer Ausstellungstournee – in Wiesbaden zu sehen war. Der in Leipzig geborene und in Loschwitz bei Dresden gestorbene Maler „zählt zu den großen Wiederentdeckungen der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden und des Museums Wiesbaden“ heißt es aus unserem Museum. Nachdem das Werk im Albertinum gezeigt wurde, ist es nun, kuratiert von Kustos Peter Forster und Valerie Ucke, im Landesmuseum angekommen. Auch aus der Städtischen Galerie Dresden wurden Werke ausgeliehen. Zufall, dass ich beim Aufbau Kustos Johannes Schmidt kennenlernte, der sich darüber freut, Zwintscher nun in Wiesbaden zu sehen. Ein sonniger Vormittag. Ich schaue auf die gelben Narzissen, die neben dem Computer stehen und gute Laune machen. Narzissen? Ja, es gibt in unserer von Ferdinand Wolfgang Neess geschenkten Jugendstil-Dauerschau dieses „Bildnis mit gelben Narzissen“ … Sie kennen es?

Es gehört zur Sammlung Neess und erfreut immer wieder: Oskar Zwintschers „Bildnis mit gelben Narzissen“, 1907, Museum Wiesbaden, Sammlung F.W. Neess. (Foto: Markus Bollen)

Lassen wir uns einstimmen: Nun soll zunächst der Museumsdirektor zu Wort kommen, der die Hochachtung vor dem Werk Zwintschers aus seiner Dresdner Zeit in den Staatlichen Kunstsammlungen mitgebracht hat. Drei Fragen, drei Antworten, die neugierig auf die große Frühjahrsausstellung machen:


Andreas, Dir ist es ein großes Anliegen, Zwintscher in Wiesbaden zu zeigen. Wie würdest Du das Werk des Malers in drei Sätzen beschreiben?

Zwintscher ist malerisch wie maltechnisch ein herausragender Jugendstil-Künstler, den es dringend zu entdecken gilt. Als Porträtist hat er bezwingende Werke geschaffen, deren Augenblicke man sich nicht entziehen kann. Auch seine symbolistischen Gemälde sprechen eine intensive Sprache, wobei man sich in der Ausstellung davon überzeugen kann, das Zwintschers Œuvre noch weitaus facettenreicher und vielseitiger ist, insbesondere auch in seiner künstlerischen Entwicklungspanne.

Dieses Werk faszinierte auch Rilke: Oskar Zwintscher Selbstporträt, 1900. Kunsthalle Bremen – Der Kunstverein in Bremen. (Foto: Marcus Meyer)

Wie viele Arbeiten von Zwintscher hat das Museum Wiesbaden selbst?

Das Museum Wiesbaden hat bereits 1909 ein Porträt von Zwintscher erworben, das unser Kuratorenduo sehr stimmig an den Schlusspunkt der Ausstellung setzt. Zwei weitere Werke sind dank der epochalen Schenkung der Jugendstilsammlung Ferdinand Wolfgang Neess seit 2019 präsent. Und da Oskar Zwintscher auch in Zukunft ein wichtiger Künstler für uns sein wird, freuen wir uns sehr, dass wir Anfang dieses Jahres ein viertes Werk erwerben konnten: eine Entwurfszeichnung für das Cover der Zeitschrift „Jugend“, die ja der ganzen Epoche ihren Namen gab. Sie verbindet auf sinnfälligste Art und Weise Zwintscher mit unserem Sammlungsschwerpunkt Jugendstil.

„Der Sommertag“ entstand schon 1896 –auch ein Bild aus dem Fundus der Städtischen Galerie Dresden. (Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)

Was möchtest Du den Freundinnen und Freunden des Museums zurufen, warum sie diese Schau „Weltflucht und Moderne“ auf keinen Fall versäumen sollten?

Hier sind Entdeckungen zu machen! Zwintscher meint es sehr ernst mit der für die vorletzte Jahrhundertwende so charakteristischen und spannenden Suche nach der Innerlichkeit des Menschen. Als überragender Porträtist suchte er, mit seinen malerischen Mitteln Seele und Geist der Dargestellten in Erscheinung zu bringen. Daher: Man achte auf die Sprache der Augen – und was sie in uns auslösen!

„Der Tote am Meer“, 1913, Städtische Galerie Dresden. Valerie Ucke und Peter Forster haben die Zwintscher-Ausstellung kuratiert. (Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)

Und was will uns das Kuratorenteam, Peter Forster und Valerie Ucke, zu der Ausstellung „Weltflucht und Moderne“ mit auf den Weg geben? Die beiden formulieren ihre Freude daran, die ca. 60 Werke Oskar Zwintschers in neun Räumen des Museums zu präsentieren, kurz und bündig wie folgt:

„Das Erweckungserlebnis fand 2019 statt, als mit der Schenkung einer der größten europäischen Privatsammlungen des Jugendstils und Symbolismus durch Ferdinand Wolfgang Neess auch zwei wunderbare Porträts von Oskar Zwintscher ins Museum gelangten. Erst im Anschluss wurde uns bewusst, dass sich bereits seit 1909 ein Werk des Künstlers im Hause befindet. Es handelt sich um das Porträt von Dr. Ferdinand Gregori, das sich – einmal im Fokus und ausgestellt – in seiner ganzen inhaltlichen Tiefe und malerischen Qualität wie eine Neuerwerbung anfühlte.“

Schon seit 1909 im Besitz des Museums Wiesbaden: Zwintschers Porträt von Dr. Ferdinand Gregori, 1907. (Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)

Sie wollen wissen, wer Dr. Gregori war? Ein Hofschauspieler am Burgtheater Wien und früherer Leiter der dortigen Akademie für Musik und darstellende Kunst. Valerie Ucke erzählt, dass dieser nach dem Tod Zwintschers 1916 eine Auswahl poetischer Sprüche („Lebensreime“) in Gedenken an den Künstler verfasste.

Aus Dresden nach Wiesbaden: „Mädchen mit weißen Astern“, 1903, Städtische Galerie Dresden –Kunstsammlung, Museen der Stadt Dresden. Kurator Johannes Schmidt war beim Aufbau dabei. (Foto: Museum Wiesbaden/ Bernd Fickert)

Apropos Porträts: Auf dem Halbjahresprogramm der Freunde schaut die Betrachtenden sehr direkt eine junge Frau an. Es ist Adele Zwintscher, die Ehefrau und Muse des Malers. Der Künstler, von dem auch idyllische Landschaften, brillante Zeichnungen und Karikaturen sowie Beispiele angewandter Kunst in der Ausstellung zu sehen sind, hatte sie immer wieder porträtiert. Darauf wies im kurzen Gespräch während des Aufbaus der Schau auch der Kustos Malerei/Neue Medien der Städtischen Galerie Dresden, Johannes Schmidt, hin. Er erzählte, dass Oskar Zwintschers Witwe Adele nach dessen Tod zahlreiche Werke 26 Jahre lag aufbewahrt habe, ehe sie in ein Depot kamen – nicht optimal gelagert, sagt Schmidt. Viel Restaurierungsarbeit war notwendig. Eine Freude übrigens war es dem Mann aus Dresden, in unserer Jugendstil-Dauerausstellung unterwegs zu sein.

Ingeborg Salm-Boost


PS: Weiteres über den Künstler und sein Werk lesen Sie auf www.museum-wiesbaden.de

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