Unter Freunden

Mit Pechstein unterwegs

Fischer und ihre Boote waren für Max Pechstein ein zentrales Thema. (Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)

Kennen Sie das auch? Sie befassen sich mit einem Thema, führen beispielsweise ein interessantes Gespräch dazu, und – ohne dass man sie selbst herbeigeführt hätte – gibt es kurz darauf gleich mehrere Begegnungen mit ebendiesem Thema, Zufälliges, was genau ins Bild passt. Das klingt arg abstrakt? Also, es geht heute um Max Pechstein, den wir noch bis zum 30. Juni in der Schau „Die Sonne in Schwarzweiß“ erleben können. (Lesen Sie auch unseren Beitrag vom 17. März 2024.) Und, soviel sei gleich gesagt: Diese von Kustos Roman Zieglgänsberger kuratierte Ausstellung mit Hauptwerken aus allen Schaffensphasen des Expressionisten und Brücke-Malers ist durchaus für mehrere Besuche geeignet. Im Nu ausgebucht waren Workshop und Jour Fixe der Freunde des Museums. Und der Vortragsabend, an dem Julia Pechstein über Leben und Werk ihres Großvaters sprach, war „in unserem Haus die bestbesuchte Veranstaltung dieser Art seit Jahrzehnten“, sagt uns Roman Zieglgänsberger.

Begeistert die ZuhörerInnen mit ihren Vorträgen: Julia Pechstein trägt das Leben und Schaffen ihres Großvaters Max Pechstein in die Museen. Hier sieht man sie in den Kunstsammlungen Zwickau, wo im April der zehnte Geburtstag des Max-Pechstein-Museums gefeiert wurde. Das Haus muss übrigens wegen Sanierungsarbeiten am 1. Juli 2024 geschlossen werden, ab Januar 2025 gibt es eine Interimslösung am Domhof 2 in Zwickau. (Foto: Foto-Atelier Lorenz, Zschorlau)

280 Gäste folgten der Enkelin in Wort und Bild auf eine ebenso spannende wie kurzweilige Reise. „Das war seit langem der beste Vortrag, den ich im Museum gehört habe“, so urteilt nicht nur Mäzen Frank Brabant, der einst mit einem Pechstein („Der Redner“), auf den er eher zufällig in Frankfurt stieß, sein Leben als Sammler begann.

Max Pechstein: Der Redner, 1918, Holzschnitt (Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)
Hiermit begann einst Frank Brabants Leidenschaft für die Kunst: „Der Redner“ von Max Pechstein, 1918, Holzschnitt. Sammlung Frank Brabant (Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)

Apropos „zufällig“: Was hat es nun mit dem Gespräch und den Zufälligkeiten auf sich? Das oben erwähnte (Telefon-)Gespräch fand wenige Tage nach dem Vortrag mit der Enkelin des Malers statt, und nun, eine Weile später,  noch ein weiteres Telefonat … Ihr Auftritt hat so viele ZuhörerInnen beeindruckt, dass wir vom Förderkreis gerne mit ihr in Kontakt bleiben und gleich ein wenig aus ihrem Schaffen erzählen möchten.

Doch zunächst noch zu den „Zufälligkeiten“, die mich so verwundert und froh gestimmt haben: Morgens Telefonat mit der Pechstein-Enkelin und die Absicht, am nächsten Tag diesen Beitrag für die Freunde-Website zu schreiben, abends Beschäftigung mit einem ganz anderen Programm (es geht um medizinische Forschung), nach Heimkehr von dieser interessanten Veranstaltung das Bedürfnis, zum Schlaftrunk den Fernseher kurz einmal einzuschalten … Als hätte der Künstler auf mich gewartet! Im MDR läuft, es ist kurz vor Mitternacht, „Max Pechstein – Geschichte eines Malers“. Ein für mich geniales „Hallo-Wach-Programm“! So viele unterschiedliche Facetten seines Künstlerlebens, eng verwoben mit der jeweiligen Frau und mit den schwierigen, teils brotlosen Zeiten werden beleuchtet.

Nun fällt mir noch etwas ein: Zwei Tage zuvor nach dem Besuch der höchst sehenswerten, sehr zum Nachdenken angregenden Käthe Kollwitz-Ausstellung im Frankfurter Städel, fällt mein Blick beim Durchstreifen anderer Städel-Räume, in denen farbige Kunstwerke den dunklen Kollwitz-Werken folgen, auf eines, das auf dem Wasser „spielt“. Die Fischer ziehen ihren Kahn an Land … Auch hier viel Farbe. Und, es ist ein Pechstein aus dem Jahre 1920. Titel: „Feierabend“.

„Feierabend“ – zufällige Begegnung mit einem Pechstein von 1920 im Frankfurter Städel. Eine Dauerleihgabe seit 2020 der SEB, Frankfurt am Main. (Foto: Ingeborg Salm-Boost)

So, nun gäbe es noch zwei weitere Zufälligkeiten, die mit diesem Expressionisten zu tun haben und sich am selben Tag ereigneten, doch ich mache hier mal mit den „Feierabend-Fischern“ Feierabend und schwenke zu Julia Pechstein. Wir bleiben bei Fischern: Ihr Lieblingsbild, so verrät sie mir ist „Kutter zur Reparatur“. Es stammt von 1933 und ist natürlich in der Wiesbadener Ausstellung zu sehen. Es gab eine Zeit, erzählt die Enkelin, Spross aus der zweiten Ehe des Malers, da war dieser immer wieder am Wasser, pflegte den Kontakt mit den Fischern, ruderte. Schon 1909 sagte er, dass er die Leidenschaft zum Rhythmus des Meeres gefunden habe, weiß die gebürtige Hamburgerin. Und sie teilt diese Liebe zum Wasser. Gerade hat die erfolgreiche Seglerin wieder mit ihrem Mann an einer Regatta teilgenommen.

Das Lieblingsbild der Enkelin des Malers, Julia Pechstein: „Kutter zu Reparatur“, 1933, Privatsammlung. (Foto: Museum Wiesbaden / Bernd Fickert)

Vielseitig sind die Aufgaben, um die sich Julia Pechstein bei er Pflege des Nachlasses ihres Großvaters  kümmert. So zum Beispiel um das Urheberrecht und um die Dokumentation, das Archiv wurde seit den 60er Jahren aufgebaut. Es ist immer von den beiden Familien betreut worden. In der Hamburger Pechstein-Stiftung ist Julia Pechstein Kuratoriumsvorsitzende, ihr Mann Wolfgang Goeken Vorstandsvorsitzender. Ein weiterer Verwandter, Martin Pechstein, gehört ebenso dem Kuratorium an wie die Museumsdirektorin aus Zwickau, Dr. Petra Lewey. Die Enkelin ist auch mit dem Urheberrecht befasst. Sie führt als Vorsitzende den Förderverein „Max Pechstein – Kunstsamlungen Zwickau“. In Zwickau wurde der Maler geboren, und von dort sind nun viele Leihgaben nach Wiesbaden gekommen. Und Julia Pechstein spricht immer wieder öffentlich über den Großvater, den sie nicht kennenlernen konnte, der aber stets gegenwärtig war, „vor allem bei  Oma in der Wohnung“, erinnert sich die Enkelin. „Man fühlte sich inspiriert“. Mit den Eltern, so erzählt sie, war sie schon als kleines Mädchen viel in Ausstellungen unterwegs, und gerne war sie mit Stiften und Farben beschäftigt. Malt sie heute noch gern? Als Hobby ja, sagt die noch mit reduzierter Stundenszahl in ihrem Beruf als Apothekerin arbeitende Hamburgerin. So entstehen etwa Glückwunschkarten, kleine Grußbotschaften, Einträge in Gästebücher. Aber viel wichtiger ist ja ihr Vortragstalent! Angeboren oder antrainiert? „Man wächst rein“, lautet die Antwort. Zunächst waren es mehr Lesereisen, nun sind es mitreißende Vorträge. Vor allem die Power-Point-Präsentation stellt sie mit großem Spaß zusammen, diese schön auszugestalten sei wichtig, und ebenso wichtig ist es ihr, viel Authentisches in den Vortrag zu bringen. Da gehören Anekdoten, da gehört das Familiäre dazu.

Hochwissenschaftliche Abhandlungen überlässt Julia Pechstein den Kunsthistorikern. Aber manchmal, bei Führungen, so sagt sie, da frage man sich schon: „Woher wollen die das alles so genau wissen?“ Natürlich ist Pechsteins Lebensweg mit allen Höhen und Tiefen ein spannender, und seine Schaffensphasen bedürfen der Einordnung, etwa auch die während seines Aufenthaltes in der Südsee. Die Enkelin freut sich, dass es während der Vorbereitung der Schau in Wiesbaden einen regen Austausch mit dem Kurator gab, so über die Auswahl der Werke.

Lassen wir Roman Zieglgänsberger hier ein Statement zu seiner Ausstellung geben:

Dass „Max Pechstein – Die Sonne in Schwarzweiß“ so positiv vom Publikum an- und aufgenommen wird, ist vor allem auch deshalb eine besondere Freude, weil in ihr eine wichtige Facette des Künstlers inhaltlich behandelt wird, der sonst eigentlich weniger Aufmerksamkeit zukommt: der Druckgrafik. Und trotzdem kommt die Farbe nicht zu kurz – die Gegenüberstellung von expressiven Ölgemälen und kontraststarken Holzschnitten steigert die Gesamtwirkung: den gemalten Fischern im Boot beipsielsweise, die um ihr Leben rudern, setzt Pechstein in seinen kantigen Fischerköpfen ein grafisches Denkmal! Erst im Nebeneinander werden hier die Zusammenhänge sichtbar – und das begeistert die Besucher und Besucherinnen, wie es übrigens uns begeistert, dass es so funktioniert, denn man kann so etwas nie zu einhundert Prozent im Vorhinein planen.

Köpfe in Schwarzweiß: Sie sind wichtiger Bestandteil der Pechstein-Retrospektive in Wiesbaden (Ausstellungsansicht, Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)

Es gibt viel zu entdecken in der Retrospektive, in der „erstmals das alles in seinem Schaffen vebindende Thema ,Sonne‘ aufgefächert wird“, so steht es im Flyer zur Schau. Ach ja, und wer sich für den Film von 2019 „Max Pechstein – Geschichte eines Malers“ interessiert, in dem aus der Familie vor allem der mittlerweile verstorbene, sehr engagiert gewesene Enkel Alexander Pechstein, aber auch eine Urenkelin und Alexanders Kusine Julia Pechstein zu Wort kommen, der kann sich den 9. Juni, 11 Uhr, merken. Alexander Pechstein und Julia Pechstein hatten die Dokumentation initiiert, die Wilfried Hanke 2019 realisierte und nun im Caligari zu sehen sein wird. Die Einführung übernimmt Roman Zieglgänsberger.

Ingeborg Salm-Boost


PS: Beim zweiten von drei Besuchen der Ausstellung haben mich die Holzschnitte der 1921 entstandenen Mappe „Das Vater Unser“ fasziniert. Zwölf Blätter, die das Gebet illustrieren. Dies, wie bei der Sonne, in gleich zwei Fassungen: koloriert und schwarzweiß. Einmal durch die Farbe „energetisch aufgeladen“, einmal „in der normalen, unfarbigen Auflage mit unmissverständlicher Härte und Klarheit“, so heißt es im Begleittext der Schau. Es lohnt sich sehr, auch vor diesen Werken länger zu verweilen.

 

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