Vorlesen im Museum

Die „einzige Romantikerin“ und starke Frauen in der Kunst

Alles klar für das Lese-Vergnügen: Babette von Kienlin und Manfred Beilharz mit den Organisatorinnen vom
Freunde-Vorstand, Martina Mulcahy und Ingeborg Salm-Boost. (Foto: Josh Schlasius)

Sie sind beide den Freunden des Museums Wiesbaden verbunden. Und sie konnten sich auf Anhieb gut vorstellen, im „Doppelpack“ den Vorlesetag für Mitglieder unseres Förderkreises im Café Jawlensky zu gestalten: Am 15. November 2019, Beginn 17 Uhr, haben Bücherfreunde die Gelegenheit, dem früheren Intendanten des Hessischen Staatstheaters, Manfred Beilharz, und der ZDF-Moderatorin Babette von Kienlin zuzuhören. Der eine bringt seinen Freund Hans Magnus Enzensberger mit und dessen Buch „Requiem für eine romantische Frau“. Die andere lädt mit Unda Hörner zu einem Ausflug ins Jahr „1919 – das Jahr der Frauen“ ein. Babette von Kienlin hatte bereits 2018 den Vorleseabend der Freunde des Museums Wiesbaden bestritten. Damals mit spannenden Passagen aus „1913“ von Florian Illies. Die Ausschnitte aus diesem Werk kamen so gut an, dass sowohl die Vorleserin als auch die Zuhörer und Zuhörerinnen die Zeit vergaßen …

Kennen Sie die Geschichte der Auguste Bußmann, geboren 1791, gestorben 1832 durch Freitod? Manfred Beilharz wird sie uns nahebringen, indem er aus dem Epilog des Buches „Requiem für eine romantische Frau“ von Hans Magnus Enzensberger liest. Der dokumentarische Roman seines Freundes, der am 11. November 90 Jahre alt wird, besteht zum Teil aus dem Briefwechsel zwischen Auguste Bußmann und Clemens Brentano, dem „Mädchenverderber“ und „stadtbekannten Hallodri“, wie er im ZEIT-Online-Text „Der Poet und das Mädchen“ genannt wird. Und  Auguste war „ein Mädchen, das im Haus eines der reichsten Männer Europas aufwuchs, sich aber plötzlich in den Kopf setzte, es müsse die Wirklichkeit in der Dichterklause kennenlernen“. Der Dichterklause Brentanos … Die zweite Frau des Dichters Clemens Brentano war fast noch Kind, als sie sich ihm „an den Hals geworfen hat“, sagt uns Vorleser Beilharz im Vorbereitungsgespräch, eine Frau, die von der Brentano-Familie verteufelt, später in der Brentano-Forschung total unterschlagen worden sei. „Du bist die einzige Romantikerin“, sagt Enzensberger über Auguste. Mehr soll hier nicht vorweggenommen werden. Nur eines noch: Manfred Beilharz verrät uns seine besondere Verbundenheit zu diesem Lesestoff über die aus der Bankiersfamilie Bethmann stammende Ehefrau Brentanos: Er hat als Regisseur 1990 die Thematik in dem Theaterstück mit dem Titel „Ein Liebeskampf in sieben Sätzen“ aufgegriffen. Es wurde in Kassel (eine Station in Augustes Leben) uraufgeführt und viele Male gespielt.
Mit Babette von Kienlin gehen wir ins Jahr 1919. Das Jahr der Frauen bietet eine Menge Lesestoff. Unsere Gäste können sich darüber freuen, dass die Autorin Unda Hörner persönlich für die Freunde-Lesung Textpassagen zusammengestellt hat, aus denen die Drehscheiben-Moderatorin auswählen kann. Dies auf Vermittllung von Buchhändlerin Jutta Leimbert (Buchhandlung Vaternahm), die bei der Suche nach dem Thema wie im vergangenen Jahr beratend zur Seite stand. Die Ermordung Rosa Luxemburgs, endlich Wahlrecht für Frauen, Marie Curie und ihr Radiuminstitut in Paris … Im Kontrast dazu aber auch: Lust an Leben und Luxus. Coco Chanel findet die sensationelle Duftformel … Die ZDF-Moderatorin hat das Buch mit großem Interesse gelesen, konnte darin natürlich auch Frauen finden, die sich der Bildenden Kunst verschrieben hatten: Käthe Kollwitz ist die erste Frau in der Akademie der Künste, Gunta Stölzl eine Bauhaus-Schülerin der ersten Stunde, die Dada-Künstlerin Hannah Höch verblüfft mit ihren Collagen. Wir dürfen gespannt sein, mit welchen Frauen wir in unserer rund eineinhalbstündigen Veranstaltung nähere Bekanntschaft machen.

Vorlesetag in Wiesbaden: Die Freunde des Museums sind zum zweiten Mal dabei. (Bild: Freiwilligenzentrum Wiesbaden)

Die beiden Vorlesenden leben übrigens ihre Leseleidenschaft auch im jeweiligen Literaturkreis aus. Die Fernsehfrau hatte schon vergangenes Jahr erzählt, dass sie sich regelmäßig mit Gleichgesinnten über Literatur austauscht. Und was liest sie zur Zeit? Drei Bücher ganz unterschiedlicher Art liegen griffbereit: „Hart auf Hart“ von T.C. Boyle, „Was man von hier aus sehen kann“ von Mariana Leky und „Ein anderer Kapitalismus“ von Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus.

Manfred Beilharz’ privater Literaturzirkel, zu dem er regelmäßig einlädt, befasst sich derzeit  mit „der inneren Wiedervereinigung“, wie er es ausdrückt. Es geht um Autoren, die „den Sprung über die Mauer nicht richtig geschafft haben, die nicht mehr so im Fokus stehen“, sagt Manfred Beilharz. Mittlerweile sei man schon bei den angrenzenden Ländern angekommen. Im Literaturhaus-Programm des Fördervereins las der frühere Intendant übrigens mit seinem früheren Ensemble-Mitglied Alexandra Finder in diesem Frühjahr aus „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ von Milan Kundera – vor einem „gefesselten und muckmäuschenstillen Publikum“, wie Literaturexpertin Viola Bolduan anschließend berichtete.
Isa

P.S. Am Morgen des 15. November übrigens widmet sich Manfred Beilharz einer angehenden Leserschaft: In einer Kita wird er Nonsens-Gedichte vortragen!

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