Welch ein Geschenk! – Geburtstagsstrauß der „Leuchtenden Vorbilder“ 

Interview mit Vollrad Kutscher

Es macht immer wieder große Freude, mit dem Installationskünstler ins Gespräch zu kommen: Unser Freunde-Gründungsmitglied Vollrad Kutscher, der in Frankfurt lebt und arbeitet und der uns nun mit seinem Blumenstrauß der „Leuchtenden Vorbilder“ in den 30. Geburtstag führt, erzählt hier über die Entstehung dieses Geschenks an den Förderverein, und er gibt uns weitere Ein- und Ausblicke in seine kreative Arbeit. Der stellvertretende  Museumsdirektor Jörg Daur hat den 79-Jährigen einmal so beschrieben: Er sei „ein Performance-Künstler, der in der Gesellschaft verwurzelt und zugleich im Aufbruch ist“.  Dies lässt sich auch an Vollrad Kutschers Werken „Himmel über Hessen“ im Landtag und „Für Demokratie – Wiesbadener Bürgerinnen und Bürger im Widerstand“ im Rathaus eindrucksvoll ablesen.


Lieber Herr Kutscher, Sie machen den Freunden des Museums ein großartiges Geschenk zum 30-Jährigen! Lassen Sie uns daran teilhaben, wie es dazu gekommen ist.

Ich erhielt einen Anruf von Geschäftsführerin Martina Mulcahy und ich habe gleich Ja gesagt. Für die Freunde eine Geburtstagsgrafik zu machen, das ist doch eine Ehre.

Danke für die Blumen! Unsere Geschäftsführerin Martina Mulcahy berichtete mir, sie habe bei Ihnen zaghaft angefragt, ob Sie vielleicht bei der Suche und Gestaltung eines Motivs helfen könnten. Und Sie hätten sofort beherzt Ja gesagt. Hatten Sie denn da gleich eine Idee vor Augen?

Nein. Ich musste mich dann erstmal aufs Bett legen und nachdenken. Ziemlich schnell kam ich aber auf die „Leuchtenden Vorbilder“. Wer sich mit ihnen befasst, so meine Erfahrung, empfindet oft eine Faszination, geht es doch um Maler und Malerinnen, die alle im Museum Wiesbaden vertreten sind. Ich dachte dann daran, 30 von den 60 auszuwählen, sie vielleicht in einer Wolke oder in einem Blumenstrauß darzustellen.

Blick auf die „Leuchtenden Vorbilder“ im Museum Wiesbaden. Diese Installation wählte Vollrad Kutscher als Motiv für die Freunde-Geburtstagsgrafik! (Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)

Das ist ein herrlicher Blumenstrauß geworden. Wie haben Sie diesen denn zusammengestellt?

Ich habe in der Tat viel ausprobiert, zunächst im Internet nach Blumensträußen geschaut, aber keinen passenden gefunden. So bin ich selbst tätig geworden, ich habe ja früher viele Aquarelle gemalt.

Und dann ging es los …

Erst habe ich auf Aquarellpapier 30 Stellen mit Kerzenwachs markiert, so die Fläche für die Leuchtenden Vorbilder geschaffen. Das war zunächst ein bisschen schwierig. Doch dann holte ich meine alten Malutensilien aus der Kiste, auch die Ölkreide. Mit Mischtechnik, Aquarell- und Ölfarbe, bekam ich dann den Geburtstagsstrauß so hin, wie ich ihn mir vorgestellt hatte.

Eine wunderbare Idee: 30 „Leuchtende Vorbilder“, in einen Blumenstrauß gebunden zum 30-Jährigen des Fördervereins. (Foto: Horst Ziegenfusz)

Es ist ja wirklich eine Ehre für uns, dass Sie Ihre Installation, dieses Werk mit Schatten und Licht, für den Geburtstagsstrauß ausgewählt haben. Wie kam diese eigentlich und wann ins Museum Wiesbaden?

Da müssen wir auf 1990 zurückblicken. Mehrere  Künstler stellten im Oktogon aus, die Gruppenausstellung hieß „Oktogon II“. Ich schuf ein Porträt des Museums, das sich wiederum aus den Licht- und Schattenporträts der hier gesammelten Künstler und Künstlerinnen zusammensetzte. Eine Auswahl davon war auf Aluminiumstelen zu sehen. Ich hatte die Installation der „Leuchtenden Vorbilder“ schon in den 1980er Jahren entwickelt, als eine neue Form der Porträts. Wir leben im Zeitalter der Elektrizität, da war es für mich naheliegend, eine neue Form des Porträts zu erfinden.

Und dann folgte die feste Installation im ersten Stockwerk …

Ja, nach „Oktogon II“ kam der damalige Direktor Volker Rattemeyer auf mich zu mit der Idee, nach dem  Umbau im Museum die „Leuchtenden Vorbilder“ miniaturisiert als feste Installation im Museum zu etablieren.

Ein großes Unterfangen …

Das war es. Schon während des Umbaus musste ich planen. Eine diffizile Angelegenheit mit der Elektrik und auch mit der Installation der Halterungen. Das habe ich alles fürs Museum Wiesbaden entwickelt. Stellen Sie sich vor, die ersten Lampen brennen immer noch – seit 2006! Sie sind gedimmt, bleiben immer eingeschaltet.

Gewiss bedeutete das Projekt dieser Geburtstagsgrafik zum 30-Jährigen der Freunde mit 30 „leuchtenden Köpfen“ hohen Aufwand in der Umsetzung. Wie müssen wir uns das vorstellen?

Oh ja, sehr aufwendig. Nach der Entstehungsphase war ich einen langen Montag mit meinem Projektpartner, Fotograf Horst Ziegenfusz, im Museum zugange. So lange, dass wir fast nicht mehr rauskamen am Abend… Bevor Horst die Makroaufnahmen machen konnten, haben wir alle 60 Köpfe abgenommen und erst einmal geputzt. Dann habe ich die 30 ausgewählt. Übrigens, eine falsche Birne habe ich in der Installation entdeckt, die wurde dann aber rasch ausgewechselt.

Auch sie gehört zu den ausgewählten Künstlerinnen: Ida Kerkovius. Ein Werk von ihr wollen die Freunde anlässlich des 30-Jährigen dem Museum zum Geschenk machen. Links neben der Künstlerin zu sehen der Künstler und Dichter Kurt Schwitters. (Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)

Jetzt die spannende Frage, wie haben Sie denn die Auswahl unter den 60 Vorbildern getroffen?

Hier möchte ich betonen, dass mir besonders am Herzen lag, die Frauen hervorzuheben, Sie sind nämlich immer noch unterrepräsentiert im Museum. So findet man zum Beispiel Marianne von Werefkin, Käthe Kollwitz, Paula Modersohn-Becker und Ida Kerkovius im Strauß.

Ida Kerkovius – lieber Herr Kutscher, das passt wunderbar. Sie wissen ja, dass der Freunde-Förderkreis anlässlich der 30 dem Museum ein Werk von Ida Kerkovius zum Geschenk machen will und seine Mitglieder um Spenden bittet. Es geht um den „Figurativen Tierteppich“. Welche Künstlerinnen findet man denn außerdem bei den „Leuchtenden Vorbildern“?

Das sind Agnes Martin, Ella Bergmann-Michel, Eva Hesse und Natalja Gontscharowa – und nicht zuletzt Maria Sibylla Merian. Zu ihr möchte ich noch etwas sagen.

Gerne!

Ich freue mich, dass ich den Auftrag habe, für 2025 von Maria Sibylla Merian noch eine Installation in größerem Format fürs Museum zu schaffen, diese bekommt einen Extra-Platz im ersten Stock.

Auch Maria Sibylla Merian findet man in Vollrad Kutschers Installation. Nun hat er vom Museum den Auftrag, das Porträt der im Haus der Kunst und Natur eine große Rolle spielenden Naturforscherin noch einmal in größerer Ausführung zu schaffen. Hier ein Selfie des Künstlers dazu.

Das ist eine schöne Sache zum 200-Jährigen des Museums im nächsten Jahr… Lassen Sie mich kurz zurückkommen auf Ihren tollen Entwurf: Wir haben im Freunde-Vorstand beschlossen, auch T-Shirts mit dem Blumenstrauß als Aufdruck inklusive Signatur herstellen zu lassen, wie finden Sie diese Idee? 

Ja das ist sehr gut, das kann sogar „Anmache“ bedeuten – auf hohem Niveau. Ich meine damit, dass Menschen, vielleicht auch junge Leute, beim Anblick des T-Shirts ins Gespräch kommen, eben auch über Künstler und Künstlerinnen im Museum Wiesbaden.

Geburtstagsstrauß auf dem T-Shirt in zwei Versionen. Vollrad Kutscher gefällt dies gut. Es kann Gespräche über Maler und Malerinnen im Museum Wiesbaden ankurbeln, meint der Künstler. (Foto: Horst Ziegenfusz, Gestaltung: Cornelia Alexander)

Herr Kutscher, Sie als Gründungsmitglied der Freunde, verfolgen Sie von Frankfurt aus unsere Vereinsaktivitäten und haben Sie vielleicht noch eine Anregung für unsere Angebote an die Mitglieder?

Ich finde den Austausch mit anderen kulturellen Einrichtungen sehr wichtig. Beispielsweis Besuche in anderen Museen oder etwa in den Opelvillen, was Sie ja auch schon den Mitgliedern regelmäßig anbieten.

Vielleicht dürfen wir ja einmal einen Atelier-Besuch bei Ihnen in Frankfurt im Rahmen des Freunde-Programms planen? 

Aber sehr gerne!

Unsere LeserInnen der Freunde-Website werden sich, wenn Sie das Interview mit Ihnen von 2020 gelesen haben, erinnern: Ihre Verbundenheit zum Museum Wiesbaden reicht bis in die Schülerzeit zurück. Heute sind Sie mit Ihrer Kunst mehrfach hier vertreten. Was wünschen Sie dem Haus der Kunst und Natur, kurz vor seinem 200. Geburtstag in 2025? 

Eine große Ausstellung, eine Blockbuster-Schau sollte mal wieder stattfinden! Internationales Niveau sollte gepflegt werden.

Nun möchten wir bitte zum Schluss noch wissen: Welches künstlerische Projekt steht derzeit im Vordergrund?

Ich bin mit einem Zeichentrickfilm über KI beschäftigt, er wird poetisch-kritisch, beginnt mit einem Faustkeil, und er hört dem Faustkeil auf …  Diese Arbeit mache ich wieder – wie 2019 das Projekt „reStart“ im Kunsthaus und im Museum Wiesbaden – mit Dieter Reifarth und Hubert Machnik (Musik). Außerdem prüfe ich gerade, ob ich der Einladung zu einer Ausstellung in Marseille folgen sollte. Und nächstes Jahr werde ich 80, da muss ich mal in mich gehen und darüber nachdenken, was man so machen könnte.

80? Kaum zu glauben! Zum Schluss noch einmal herzlichen Dank, Herr Kutscher für Ihr Geschenk und Ihre Verbundenheit zum Museum Wiesbaden und den Freunden des Museums!

Das Gespräch führte Ingeborg Salm-Boost


PS:  Wer gerne die persönliche, ausführliche Schilderung des Künstlers darüber lesen möchte, wie es zu den „Leuchtenden Vorbildern“ kam, der kann dies hier auf unserer Website tun. Der Text hat die schöne Überschrift „Wie mir ein Licht aufging“. Zwei Gespräche konnte ich in den vergangenen Jahren schon mit Vollrad Kutscher führen, einmal 2020 in der Serie „Wir sind dabei“ und ein weiteres zu seiner Ausstellung „reStart“ 2019 im Kunsthaus Wiesbaden und im Museum. Eine ganz besondere Erfahrung, fand dieses hochspannende Projekt doch in der Hoch-Zeit von Covid statt …


Wie mir ein Licht aufging.

Zur Entstehung der „Leuchtenden Vorbilder“ von Vollrad Kutscher

Zu Beginn meines Kunststudiums (1968) lernte ich u.a. die Technik der Ölmalerei, empfand sie aber als völlig unzeitgemäß. Diese traditionelle Maltechnik bot zwar die Möglichkeit mit Hilfe von Lasuren in einem „Fensterausschnitt“ Illusionen zu erzeugen, sie war aber aus ganz bestimmten Gründen in der Renaissance entstanden. Im Gegensatz zum religiös geprägten Mittelalter mit seiner Temperamalerei auf Holzplatten und Flächen und schematisierten Figuren verlangte die Renaissance mit ihrer veränderten Sicht des Menschen auf sich selbst und die Welt, nach einer neuen Art der Darstellung. Der Mensch als Individuum, die neuentdeckten, fernen Kontinente, Fluchtpunkt und Perspektive. Stofflichkeit, Farben und Glanz traten in den Mittelpunkt des Interesses. Doch die Auffassung von der Bedeutung des Menschen in der Welt hat sich inzwischen verändert. Wir nehmen uns inzwischen eher als Multividuum wahr, in einer unendlich erweiterten Mikro- und Makrowelt, die digitalisiert, elektrifiziert und teils virtuell geworden ist. Welche Darstellungsformen nehmen wir also heute für wahr?
Die umwälzenden Veränderungen kündigten sich während meines Studiums schon an und meine Unsicherheit sowie Suche nach entsprechenden neuen Formen fand in Aktionen oder Happenings ihren Ausdruck, später wurden daraus „Performances“. Zugleich versuchte ich damals mit einem Projekt „Film und Plastik“ bewegte Filmprojektionen von Personen auf halbtransparente, plastische Wände mit reliefartigen Abbildungen der Personen übereinzubringen. Die Bewegung des Betrachters, Licht und Schatten, die Spiegelung aller Teile im extra angefertigten Raum kamen hinzu. Der Begriff „Installation“ bürgerte sich später für diese Form zeitlich begrenzter räumlicher Eingriffe ein.
Seit mehr als einem Jahrhundert leben wir im Zeitalter der Elektrizität. Künstliches Licht überzieht den Globus. Wir haben die Nacht zum Tag gemacht und lassen uns in Kinos und zu Hause durch bewegte Lichtbilder faszinieren. Der Film hat längst die Bedeutung, welche bildende Kunst im öffentlichen Bereich einmal gespielt hat, zurückgedrängt. Licht ist das neue Malmaterial!

Ich stieß bei meiner weiteren Suche auf Darstellungen von Menschen in mittelalterlichen Kirchenfenstern: Glasmalerei mit Bildern von Heiligen. Sie hatten schematische Züge, aber das Licht fiel durch sie tagsüber ins Innere und nachts durch das Kerzenlicht nach draußen. Da ging mir ein Licht auf! Nach mehreren vergeblichen Versuchen mit normalen Glühbirnen fand ich in meinem alten Superacht-Filmschneidegerät ein Birnchen, auf das ich ein Miniaturporträt aufmalte und das eine überzeugende Projektion auf der Wand ergab.
So entstand aus Licht- und Filmprojektionen die erste Porträtinstallation, ein Selbstporträt! Es gab darin eine sich drehende Porträtbüste und ein pendelndes Foto von mir als Projektionsflächen und als drittes Element einen Koffer, in dem eine kleine Eisenbahn kreiste. Der Anhängerwagen trug ein Fahrrad- Glühbirnchen mit meinem aufgemalten Porträt, das während der Fahrt auf die Kofferwände projiziert wurde, grösser und kleiner werdend.
In einer folgenden Installation, dem Porträt eines befreundeten Flugkapitäns, definiert sich das geistige Profil des Dargestellten unter anderem über 40 „Leuchtende Vorbilder“, die eine Art persönlicher Walhalla bilden. Es handelt sich um moderne „Heiligenbilder“ aus unserem säkularisierten, bürgerlichen Olymp. Die erhöhte Kerze zur Adoration des jeweiligen „Ersatzheiligen“ ist zeitgemäß und künstlich, sie erzeugte selbst das immaterielle Licht- und Schattenabbild auf der Wand hoch über den Köpfen der zu ihnen aufblickenden Betrachter. Die Bilder der Persönlichkeiten werden durch Strom erzeugt, der sie alle als Energie durchfließt, zum Leuchten bringt und verbindet. Die Projektion ist bewusst leicht verschwommen gehalten und nimmt so in anderem Material die Technik Leonardos „sfumato“ auf, jene Unschärfe, die der Mona Lisa das lebendige und geheimnisvolle Lächeln gibt. Als weitere Bezugspersonen aus der Geschichte der Malerei kann Rembrandt gelten, der in seiner Zeit und mit seinen Medien unübertroffen wie von innen heraus, warm leuchtende Porträts fertigte.
In Folge dieser „Porträtinstallationen“ entstand der ortsbezogene Beitrag zur Gruppenausstellung Oktogon II 1990 im Museum Wiesbaden mit „Leuchtenden Vorbildern“. Ein Porträt des Museums, das sich wiederum aus den Licht- und Schattenporträts der im Museum gesammelten Künstler zusammensetzte. Zumeist sind solche Reihen von Lichtporträts ergänzt durch Luminogramme, d.h. Lichtbilder (Photo/Graphie =Licht/Schrift), die damals umlaufend im Raum vor dem Brunnen in lichter Höhe installiert waren. Bei solchen Fotogrammen werden die Lichtporträts direkt auf die Fotoleinwand projiziert, was sie als Negative erscheinen lässt. Die abgebildeten Personen bilden zusammen das besondere, über Jahrhunderte gewachsene Profil des jeweiligen Ortes.
Jedes ist als handgemalte Miniatur realisiert, auf eine Glaskappe gebracht und eingebrannt. Die Halogenbirne darunter ist austauschbar. Der Betrachter darf sich trotz offenliegender Technik verzaubern lassen, denn es handelt sich bei dieser Lichtarbeit um eine zeitgemäße Fortsetzung der Aufklärung mit neuen künstlerischen Mitteln.

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