Wiesbaden und Beuys
Gespräche im Omnibus und in der Sammlung
Das würde Joseph Beuys gefallen: Anlässlich seines 100. Geburtstags zeigt das Museum Wiesbaden nicht nur seine bedeutende Beuys-Sammlung in neuer räumlicher Präsentation, sondern lädt zu drei Interventionen ein, Beginn im Juni. Ziel ist es, Menschen, nicht zuletzt die Jüngeren, miteinander ins Gespräch zu bringen – so wie der Künstler ein Leben lang sein Publikum forderte und mit seinen Arbeiten Denkprozesse erzeugen wollte. So jedenfalls sieht es Andreas Henning und bezeichnet den 1986 gestorbenen Mann mit dem Filzhut und der Anglerweste – der heute noch polarisiert und provoziert – als einen der wichtigsten Künstler der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Man muss Joseph Beuys nicht mögen, man muss sich auch nicht bis ins kleinste Detail mit seiner Vita und den Widersprüchen in ihr auseinandersetzen, lohnend dürfte es aber allemal sein, die Beuys-Hommage, wie Direktor Henning und Kustos Jörg Daur sie inszenieren, zu verfolgen. Und sich mit dem von Beuys entwickelten Erweiterten Kunstbegriff zu befassen.
Ausschweifend ist in den vergangenen Wochen in den Medien über Joseph Beuys geschrieben und gesprochen worden – teils huldigend, teils kritisch. War er „Überkünstler“? Der „letzte Erlöser“? War er wirklich ein überzeugter Grüner? Fest steht: Er wollte die Menschen durch seine Aktionen und Arbeiten zum Denken bringen, so wie er es schon in der 60er Jahren mit seinen Ringgesprächen in Düsseldorf (nicht nur für Studenten!) gemacht hat. Oder auf der documenta in der 70er Jahren. Kassel und die 7.000 Eichen dürften sich auch für immer in die Köpfe gepflanzt haben … Dass Beuys gerade in unserem Internet-Zeitalter, in dem viel Meinung verbreitet und zu wenig miteinander nachgedacht wird, wieder eine aktuelle Figur ist, daran hat Andreas Henning keinen Zweifel. Weil die heutige Generation wieder viele Fragen hat und gestalten will. Deshalb sei es so wichtig, „gemeinsam zu denken“, sagt Henning.
Damit wären wir wieder bei den Interventionen: Sie finden übrigens nicht nur im Museum statt, sondern auch davor, nämlich im Omnibus für Direkte Demokratie.
Doch zunächst zur Intervention 1, vom 8. bis 13. Juni: „Bis alles gesagt ist“, heißt sie. Es werden Gespräche im Beuys-Raum stattfinden „zu den Heilkräften in der Kunst“. Die Wiesbadener Sammlung stammt ja von dem Medizinhistoriker Professor Dr. Dr. Axel Hinrich Murken, der zusammen mit Beuys ebendieser Frage nach den Heilkräften der Kunst nachging. Die Beuys-Experten Matthias Schenk (Freudenberg) und Gerhard Schuster (Wien und Bochum) werden Gastgeber sein und täglich während der Öffnungszeit für Begegnungen bereitstehen. Kein Vorwissen sei erforderlich, heißt es in der Einladung, „einzige Bedingung: bedingungsloses Interesse, aneinander und an dem, was geschieht“.
Intervention 2 ist in der Zeit vom 27. bis 30 Juli geplant. „Die Zukunft, die wir wollen, müssen wir erfinden – Gespräche über Demokratie“. Aus dem Programm: 1971 hatte Beuys die Organisation für Direkte Demokratie durch Volksabstimmung gegründet. 1987 startete auf der dokumenta 8 der erste Omnibus für Direkte Demokratie. 2021 organisiert der Omnibus mit vielen Menschen und Organisationen parallel zur Bundestagswahl die erste bundesweite Volksabstimmung über vier wichtige Zukunftsthemen… Darüber kann man sich dann täglich zwischen 10 und 18 Uhr im Bus vor dem Museum informieren. Übrigens, der erste Omnibus der Demokratie steht heute im Erfahrungsfeld der Sinne auf dem Freudenberg und bietet ein Zuhause für Bienen. Das ist für Andreas Henning ein Urbild von Beuys: Eine Gesellschaft mit einem Organismus, in dem jeder sich einbringen kann.
Intervention 3 findet erst im Oktober, statt. Vom 5. bis 11. wird erneut der Omnibus für Demokratie vor dem Museum seine Türen öffnen. Diesmal soll es Gespräche über Grundfragen unserer Gesellschaft geben, nämlich über Demokratie und Geld. Auch eine Performance im Museum gehört dazu: Katharina Schenk, die neue Leiterin von Schloss Freudenberg, lädt in das „Kreditinstitut für neue Geldflüsse“. Es geht, sagt Direktor Henning, um Beuys’ Kernfrage nach dem Kapitalbegriff. Also darum, wie beeinflusst Geld mein Leben … Eine Reihe von Vorträgen sind an den Abenden geplant, auch zu den Heilkräften der Kunst. Unter den Rednern wird auch Professor Murken sein, dessen Sammlung das Museum Wiesbaden teils durch Erwerb, teils durch Schenkung seit 2010 sein Eigen nennen kann.
Wir nehmen Beuys sehr ernst, bekräftigt Andreas Henning. Und während wir durch die Ausstellung gehen, beschreibt er Beuys’ Arbeit so: Es geht bei ihm um den Gestaltungsprozess: vom Chaotischen in die stimmige Form – oder auch vom Erstarrten in das Lebendige. Ihn, Beuys interessiert das Dazwischen.“
Zum Schluss vielleicht ein Blick auf die Rose im Reagenzglas und auf die Capri-Batterie, ein Werk bestehend aus einer gelben Glühlampe, an deren Sockel sich eine Zitrone befindet. Was will uns der Künstler damit sagen? Andreas Henning: Der Künstler möchte uns mit der Rose deutlich machen, dass es ohne den Wunsch, eine Gemeinschaft zu bilden, nicht vorangeht. Es heißt ja auch: Ohne die Rose tun wir’s nicht. Zur Capri-Batterie: Jeder Betrachter, jede Betrachterin ist aufgefordert, sich zu fragen: Was eigentlich ist Energie.“ Viel gibt es zu sehen, zu deuten – und zu verstehen in der Wiesbadener Beuys-Schau: ob Sanitätstasche oder Blue Jeans mit getrockneten Fischen. Hoffen wir, dass Interessierte bald im zweiten Stock mit Joseph Beuys zusammentreffen können.
Ingeborg Salm-Boost
PS: Einen interessanten Blog von Jörg Daur, Kustos für zeitgenössische Kunst, über Beuys und seine Verbindung zu Andy Warhol finden Sie auf der Museums-Website. Dort erfahren Sie auch, warum die Restauratorin Jana Merseburg die Capri-Batterie als ihr „Lieblingsstück“ bezeichnet.