Zum Geburtstag eine fröhliche Tierwelt aus Knoten, Fransen und Wolle!
Spendenaktion für einen Bildteppich von Ida Kerkovius
Es gibt kaum ein glücklicheres Kunstwerk als den „Figurativen Tierteppich“ von Ida Kerkovius (1879–1970), den die Freunde des Museums Wiesbaden anlässlich seines 30-jährigen Bestehens für unsere Kunstsammlung erwerben möchte. Glücklich wäre es deshalb zu nennen, weil so vieles mit dem Kunstwerk in Verbindung zu bringen ist, was unser Museum heute ausmacht.
Da wäre die wunderbare Provenienz des Teppichs, der aus dem Nachlass der Mäzenin Hanna Bekker vom Rath (1893–1983) stammt. Die bis zu ihrem Tod im Jahr 1983 in Hofheim am Taunus zwischen Wiesbaden und Frankfurt lebende Malerin, Mäzenin und Kunsthändlerin hatte eine besondere, vielschichtige Beziehung zur Künstlerin Ida Kerkovius. Während des Ersten Weltkriegs war Hanna Bekker Schülerin in Stuttgart bei Kerkovius, wo die beiden sich kennen und schätzen gelernt hatten. Als Hanna Bekker nach und nach erkannte, dass ihr Weg nicht die Karriere einer Malerin sein sollte, sondern die einer Netzwerkerin, war ihre Freundin die erste Künstlerin, die von ihr gefördert wurde (es sollten noch viele folgen) – und dies ein Leben lang. In ihrer Galerie, dem Frankfurter Kunstkabinett, hatte Hanna Bekker Kerkovius, die nicht nur Malerin, sondern seit ihrer Zeit am Bauhaus in Weimar auch Weberin war, sieben Einzelausstellungen ausgerichtet, zuletzt 1977. Bei einer Eröffnung im Jahr 1966 stellte sie Ida Kerkovius mit folgenden Worten vor: „Für sie ist jedes neue Bild ein Anfang ohne Vorbild, und jedes Beginnen am Webstuhl steht auf einer Terra Incognita, die stets neue Möglichkeiten in sich birgt.“
„Terra Incognita“ trifft auch den Charakter des „Figurativen Tierteppichs“ sehr gut, der im ersten Moment munter abstrakt, fast ungegenständlich wirkt. Wäre der Titel nicht, könnte dem Betrachter tatsächlich das eine oder andere Getier entgehen, das sich in dieser fröhlich-bunten Welt aus Knoten, Fransen und Wolle gemütlich eingerichtet hat. Da man nur sieht, was man weiß, entdeckt man plötzlich zwischen Blumen, Wegen und Beeten verschiedenste Tierarten, die jedoch eher schillernde Fabelwesen zu sein scheinen als real existierende Tiere. Was also geschieht, ist, dass in dem Moment, in dem wir den Teppich betrachten, ganz automatisch unsere Fantasie angeregt ist und wir sofort versuchen, diese unzähligen, nicht recht fassbaren Andeutungen von springenden, fliegenden, kriechenden oder krabbelnden lustigen Teppichbewohnern mit irgendeinem Tier unserer Welt zusammenzubringen – mit einer Raupe?, einer Biene?, einer Schnecke?, einem Vogel?
Dies gelingt am Ende aber nicht so recht und soll es auch gar nicht – großen Spaß empfindet man trotzdem, so als ob wir mit dem Teppich ein uns sonst verschlossenes schillerndes Fantasiereich – eine „Terra Incognita“ – betreten hätten, wo man ausnahmsweise einmal zugelassen ist.
Zwei Dinge, die unser Haus immer sehr glücklich machen bei einer Neuerwerbung – zumal bei einem so starken Werk wie diesem – sind damit schon erfüllt: Ein Bezug zu Hanna Bekker vom Rath ist stets ein Argument für einen Ankauf, was daran liegt, dass wir seit 1987 ihre hochkarätige Privatsammlung bewahren, erforschen und immer wieder in verschiedensten Kontexten ausstellen. Und das andere ist die inhaltliche Qualität einer Arbeit und die steht mit ihrem zeitlos-inspirierenden durch und durch positiven Charakter außer Frage.
Wenn man noch eine dritte Sache anführen soll, um uns vollends glücklich zu machen, könnte man darauf verweisen, dass Ida Kerkovius schon lange in unserem Museum vertreten ist und ihr Schaffen sich durch diese bedeutende Erwerbung nach und nach zu einem Schwerpunkt entwickelt. Wir besitzen bereits vier Arbeiten der Künstlerin, die überdies eng mit Alexej von Jawlensky befreundet war. Neben ihrer Tätigkeit am Bauhaus ist ihre Verbindung zu dem bedeutenden Lehrer Adolf Hölzel zu betonen, dessen Meisterschülerin sie war und der ebenfalls mit vielen Arbeiten im Museum Wiesbaden vertreten ist.
Damit lässt sich Kerkovius „nahtlos“ in unsere Abteilung Klassischen Moderne einfügen. Dass sie aber mit dem „Figurativen Tierteppich“ an die Kunst der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts anknüpft, und sich damit eine weitere Präsentationsmöglichkeit anbietet, ist besonders schön.
Ihr Teppich ist nämlich der ideale Partner unseres Gemäldes „Mogador auf Violett“ des weltweit anerkannten Malers Willi Baumeister. Beides eint neben dem großen Humor im Bild das süffisante Changieren zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit – während man bei Kerkovius mit den Augen einen kreativ die Phantasie anregenden Tiergarten absuchen darf, nimmt man bei Baumeister aktiv an einer Ausgrabung in Nordafrika teil (links unten erkennt man den lachsfarbenen Umriss des Kontinents) und sieht sich aufgerufen, die frisch im Sand aufgefundenen Bruchstücke einer zugrunde gegangenen Hochkultur zu sortieren (rechts ist ein blaues Förderband zu erkennen und zwei Figuren mit Schaufel und Rechen). Dieses Paar einmal in unserem Räumen nebeneinander präsentieren zu können, wäre ein Höhepunkt in unserer Dauerausstellung der Kunst des 20. Jahrhunderts.
Wie eng im RheinMain-Gebiet auch alles persönlich „teppichartig“ miteinander verwoben war, verrät ein Karnevalsfoto aus den späten 1940er Jahren: Auf diesem sind alle hier erwähnten Protagonisten zu erkennen: links Willi Baumeister, daneben Ida Kerkovius und darunter Hanna Bekker vom Rath – ganz rechts überdies Ernst Wilhelm Nay, der, wie wir wissen, die Künstlerin Kerkovius ebenfalls sehr schätzte.
Sollten Sie jetzt auch überzeugt sein, dass der „Figurative Tierteppich“ von Ida Kerkovius unbedingt in die Sammlung des Museums Wiesbaden gehört, bitten wir Sie hiermit um eine Spende an den Verein der Freunde des Museums Wiesbaden e. V. – jeder Beitrag hilft. Vielen, vielen Dank!
Roman Zieglgänsberger
PS: Die IBAN-Bankverbindung für das Förderkreis-Spendenkonto zum Erwerb des Kunstwerks der Ida Kerkovius lautet DE 53 5105 0015 0101 2550 93. Wir werden auf unserer Startseite regelmäßig den Spendenstand bekanntgeben.