Eine Preview – viele Überraschungen

Wenn Frank Brabant den Maler Karl-Otto Hy entdeckt

Welch ein Abend! Die besonders gut besuchte Preview der Kabinettausstellung „Frank Brabant entdeckt Karl Otto Hy“, zu der die Freunde des Museums Wiesbaden eingeladen hatten, brachte eine ganz berührende Begegnung und gleichzeitig neue Erkenntnisse über ein Hauptwerk des bislang eher unbekannten Malers. Eigentlich wollte sie kein großes Aufheben machen – die Wiesbadenerin und Freundin unseres Museums –, doch die Geschichte ist zu schön, um sie nicht zu erzählen. Denn Mirella Eckhardt traf auf ihre Großmutter mütterlicherseits – auf Anna Hy! Der Maler Karl Otto Hy hatte seine Schwägerin in Öl gemalt, ein Werk, das 2018 in der Tate Gallery of Modern Art in London gezeigt wurde und sich seit 2021 im Besitz von Frank Brabant befindet. Mirella Eckhardt sah nun dieses Porträt zum ersten Mal. Und noch eine weitere besondere Begegnung gab es: Zwischen den vielen Preview-Gästen fanden Annas Enkelin Mirella und Thomas Hy, der Sohn des Künstlers, dessen Bruder Josef mit Anna verheiratet war, zusammen … Seit Kindertagen –  beide haben mittlerweile die 60 erreicht ­– sahen sie sich nicht mehr.

Sie sieht es zum ersten Mal: Mirella Eckhardt vor dem Hy-Bild „Anna“. Anna Hy ist ihre Großmutter, von der sie hier ein altes Foto auf dem Mobiltelefon zeigt. (Foto: Josh Schlasius)

Doch der Reihe nach: Nein, Geburtstag hatte Sammler und Mäzen Frank Brabant zum Start der Ausstellung mit den neusachlichen Arbeiten Hys noch nicht. Erst am 11. April wird er die „85“ feiern. Aber die Kabinettausstellung, die er mit Kustos Roman Zieglgänsberger zusammengestellt hat, ist nun schon in unserem Museum geöffnet. Und es lohnt sich sehr, durch das Wiesbaden von einst zu gehen, gleichzeitig auch die Porträts anzusehen, ganz besonders im Fokus eben „Anna“. Für sie ist eine Wand reserviert. Ein Ölbild von 1932 des 1904 in der Rüdesheimer Drosselgasse geborenen und 1992 verstorbenen Malers, der im Hauptberuf Architekt war, sich aber auch mit Reklame befasste. Das Porträt war im Besitz eines griechischen Sammlers, bevor Frank Brabant es 2021 – nach dem Ausflug in die Tate Gallery of Modern Art – recht günstig ersteigerte, wie er während des Freunde-Empfangs verriet.

Großer Zuspruch am Eröffnungsabend. Die Freunde des Museums zwischen den Bildern des Wiesbadener Malers. (Foto: Josh Schlasius)

Viel wusste man bislang nicht von dieser Anna, die nachdenklich, vielleicht auch traurig blickt. Und nun erfahren wir im Gedränge der ersten BesucherInnen, wer diese porträtierte junge Frau eigentlich war. Grafikdesignerin Mirella Eckhardt steht gerührt vor ihrer Großmutter, die in Wiesbaden lebte und bei der sie sich als Kind häufig aufhielt. „Ich erinnere mich an das Spülbecken, das man am Bildrand sieht“, sagt sie. Und auf ihrem Handy zeigt sie ein Schwarzweiß-Foto der Oma, das sie vor ihrem Museumsbesuch herausgesucht hat. Durch eine Freunde-Rundmail, in der wir „Anna“ erwähnten, war Förderkreis-Mitglied Mirella Eckhardt übrigens auf das für sie ganz besondere Werk in der Ausstellung aufmerksam geworden. Die Enkelin erinnert sich gut an Anna: „Sie war sehr zurückhaltend, Mitglied in der Büchergilde und hat mir die Literatur nahegebracht“, das erzählt Mirella Eckhardt im Telefonat am Tag nach der Begegnung im Museum. 1974 sei die Großmutter gestorben.

Gruppenbild mit Anna: Die Hy-Sammler Nikolas Jacobs und Frank Brabant, Mirella Eckhardt, Thomas Hy und sein Sohn Kevin. (Foto: Josh Schlasius)

„Es war ein sehr besonderer Abend für mich“, sagt am Tag nach der Preview auch Thomas Hy. Er hatte mit Frau und Sohn an der Eröffnung teilgenommen, war ebenso erstaunt wie erfreut, dass so viel Interesse am Schaffen seines Vaters besteht, das auch von Museumsdirektor Andreas Henning gewürdigt wurde. Der 60-jährige Sohn des Malers wohnt heute noch in Georgenborn, wohin die Eltern aus Wiesbaden, wo er geboren wurde, hinzogen. Ja, natürlich hat er Werke vom Vater. Einige hängen. Aber: „Ich gehe nun auch mal wieder in den Keller“, sagt der Außendienstmitarbeiter eines Darmstädter Unternehmens, inspiriert durch die Ausstellung. „Das sind tolle Landschaften, die mich berühren“, so Thomas Hy zu den Bildern, die vor dem Krieg entstanden und nun erstmals gezeigt werden. „Es gibt auch viele Nachkriegsbilder“, erzählt er. Die Ansicht eines zerbombten Bauernhofs in Thüringen hat ihn beispielsweise sehr beeindruckt. Ein weiteres Werk von einem Bauernhof in der Ukraine, das schon einmal in der Kunstarche ausgestellt worden sei, habe der Vater 1944 begonnen, aber erst 1977 fertiggestellt, weiß Thomas Hy.

Auch wenn der Vater schon im fortgeschrittenen Alter war, als Thomas auf die Welt kam, erinnert sich der Sohn, dass Karl Otto Hy ungern seine Arbeiten hergab. Thomas Hy sagt, dass der Vater in erster Linie als Architekt aktiv war, so auch beim Wiederaufbau von zerbombten Häusern. Und dass er häufiger für die Stadt Wiesbaden tätig war, zum Beispiel das Stadtwappen überarbeitete, ebenso die Fresken in der Villa Clementine. Wohl am bekanntesten im Stadtbild ist Hys „Europa“, ein Sgraffito in der Wandelhalle der Herbert-Anlage. Es stammt von 1937 und wurde vor wenigen Jahren restauriert, ergänzt Nikolas Jacobs.

Sie haben gemeinsam einen guten Job gemacht und präsentieren Karl Otto Hy: Frank Brabant und Roman Zieglgänsberger während des Aufbaus der Schau. (Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)

Es war eine schöne Idee von Kustos Roman Zieglgänsberger, mit dem Mann, der das Museum Wiesbaden so großzügig unterstützt und ihm die Hälfte seiner Sammlung des Expressionismus und der Neuen Sachlichkeit vermachen wird, ins Depot zu gehen. Beide wurden sich rasch einig, dass man doch endlich mal Karl Otto Hy, den „Unbekannten“, ans Licht holen sollte. Da fanden sich einige spannende Rheinlandschaften und vor allem Wiesbaden-Ansichten im Depot, fünf Werke hat Frank Brabant von zu Hause beigesteuert, weitere Hy-Bilder kommen aus der umfangreichen Sammlung des jungen Kunsthistorikers Nikolas Jacobs, der schon vor zehn Jahren sein erstes Bild des damals auch für ihn noch nicht sehr präsenten, überwiegend neusachlichen Malers erworben hat. Gemeinsam mit seinem Mann Ludwig Krammer sammelt er weiter, und nun sind es mehr als dreißig Arbeiten, darunter auch eine Grafikmappe. „Ich sammle Künstler und Kunst aus und von Wiesbaden.“

Karl Otto Hy, Vierjahreszeiten/Nassauer Hof, 1937; Wolff Mirus, Hallgarten im Rheingau. (Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)

Jacobs hat bei Hy eine ganz eigene Handschrift ausgemacht, faszinierend und dokumentarisch. Er sei ganz eindeutig der Neuen Sachlichkeit zuzuordnen, die ganz verschiedene Strömungen habe. Durchaus sozialkritisch, oft mit doppeltem Boden. So habe die Stadt in ihrer Artothek das spannende Bild „Die Arbeitslosen“ von Hy. Ja, und „Die Fabrikarbeiterin“, über deren Verbleib man nichts weiß, gehört zu den eindrucksvollen Motiven der laut Jacobs stillen Persönlichkeit Hy. Er war aber, betont Jacobs, eine große Nummer. Und befreundet mit bekannten Kollegen.

Es gibt viel Gesprächsstoff zur neuen Ausstellung. Die Broschüre, die hier Ludwig Krammer in der Hand hält, enthält interessante Details zu Hy. (Foto: Josh Schlasius)

Dass er in erster Linie als Architekt erfolgreich tätig war und sich außerdem als Werbegestalter einen Namen gemacht hatte, darauf weist auch Kurator Roman Zieglgänsberger hin. Und betont, wie schön es sei, „mit Franks Bekanntheit diesen unbekannten Maler ins Bewusstsein der Menschen zu bringen.“ Zieglgänsberger ist sich sicher: „Jeder entdeckt etwas in den Bildern“. Das gilt ganz besonders für die neusachlichen Wiesbaden-Ansichten, ob Bowling Green, Bleichstraße, die Anglikanische Kirche oder etwa den Luxemburgplatz. „Man findet auch alle Bewegungsarten“, so der Kurator: Rad, Schiff, Tram (in der Bleichstraße) und Auto. Auch ein mondänes Wiesbaden ist zu erkennen. Durchaus kann man, so der Kurator, den „Unbekannten“ in einer Linie mit Otto Dix und Karl Hubbuch sehen. Künstler der Neuen Sachlichkeit, die Frank Brabant natürlich in seiner Sammlung hat.

Übrigens, eine sehr bemerkenswerte Arbeit, die Hy als Werbegrafiker schuf, ist auch in der Schau zu sehen. Darauf weist der Kurator hin. Sie stellt sehr subtil das Spannungsfeld zwischen Mensch und Maschine dar.

Karl Otto Hy, Anglikanische Kirche an der Frankfurter Straße (Wiesbaden), 1937; Museum Wiesbaden, erworben mit Unterstützung der Helvetic Investment GmbH 2022 (Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)

Neben dem Raum, der ausschließlich Hy gewidmet ist, versammelt Roman Zieglgänsberger in einem weiteren Zeitgenossen Hys, die in Wiesbaden wirkten, so etwa Andreas Jawlensky, Alo Altripp, Josef Eberz, Alois Erbach und Otto Ritschl (1920er Jahre). Und in einem anderen Raum trifft man auf die „große Kunstgeschichte“, so Zieglgänsberger, unter anderem mit  Alexej von Jawlensky, Karl Hofer und Hanna Bekker vom Rath. Auch darunter befinden sich natürlich Werke, die zur Sammlung Brabant gehören. Beispielsweise Hofers „Mädchen mit blauer Vase“ (1923).

Da lohnt sich ganz genaues Hinschauen: Stadtansichten Hys, die Bjarte Gismarvik aus der Magazinverwaltung nach einem genauen Plan an die Wände bringt. (Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)

Ein kurzer Blick zurück, zwei Tage vor Eröffnung der Schau: Jetzt schon einmal mit Frank Brabant durch die Ausstellung zu gehen, wo noch viele Bilder an der Wand auf dem Boden stehen und auf ihre Platzierung warten, macht große Freude. Und wie gefällt es dem Sammler? Ja, dass „Anna“ so prominent platziert ist, findet er sehr angemessen. Mit orangefarbenem Passepartout stehen Porträts aus Brabants Sammlung bereit, aber auch eine Rheinlandschaft. Er hatte den „Unbekannten“ in den 1980er Jahren einmal zufällig getroffen, erzählt Frank Brabant, damals fand eine Ausstellung im Nassauischen Kunstverein statt. Und „Die Fabrikarbeiterin“ auf den Litfaßsäulen in der Stadt machte Brabant auf diesen Karl-Otto Hy neugierig. Zu gerne wüsste er, wo dieses Porträt geblieben ist. Da gibt es offenbar keine Erkenntnisse. Aber umso mehr freut sich der Sammler am Tag der Eröffnung, was alles seine „Anna“ bewirken kann.

Ingeborg Salm-Boost


PS: In der Broschüre zur Ausstellung und auf der Museumswebsite finden Sie ein Interview des Kurators mit Sammler Brabant. Ebenso lesenswert ist ein Text von Hy-Experte Nikolas Jacobs in der Broschüre mit spannenden Details zu Karl Otto Hy. Außerdem gibt es in der Museums-App Teile eines Interviews, das 1981 von Lothar Bembenek mit dem Künstler (1904 bis 1992) geführt wurde und in dem er über die schwierige Zeit der Künstler in der NS-Zeit spricht.

 

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