Aktion Sehnsuchtsobjekt (Teil 10)

Die Rückseite von „Nikita“

Es geht um zwei Micky Mäuse und eine Serie „Alm-Alb-Pacific“. Kennen Sie nicht? Das sollte sich unbedingt ändern. Denn das Freunde-Kuratoriumsmitglied Mieke Teunen, passionierte Sammlerin zeitgenössischer Kunst, bringt uns ein Werk von Helga Schmidhuber nahe, eines, was sie am liebsten zu Hause hätte … Ins Schwärmen kann man mit der heimischen Künstlerin Kerstin Jeckel geraten: Mit ihr gehen wir unter anderem in einen Garten in Ascona. Alexej von Jawlensky mit seinen Zeitgenossinnen und Zeitgenossen möchte Museumsfreundin Kerstin Jeckel nicht missen. Als das Haus geschlossen war, schaute sie in Kataloge – und bewegte sich gedanklich zurück bis in ihre Schulzeit und die Studienjahre … Und das Rückseiten-Bild von Jawlensky hat für sie eine besondere Bedeutung. Architektin Doris Söhngen fühlt sich immer wieder zur Natur im Museum hingezogen. Wenn diese sich dann noch so genial mit der Kunst verbindet wie in der Arbeit der Niederländerin Joos van de Plas, wird der Spaziergang zu den 3000 aufsteigenden Schmetterling besonders eindrücklich.


Es lässt sie nicht mehr los

Mieke Teunen schreibt: „Meine Seele hat permanent Sehnsucht nach Kunst, weil in der Kunst eine Essenz ist, die meine Seele nährt. Diese Nahrung heißt Spirit. Um meine Sehnsucht zu stillen, sammle ich seit Jahrzehnten zeitgenössische Kunst und dabei konzentriere ich mich auf wenige Künstlerinnen und Künstler, deren Werke ich dann in die Tiefe sammle.
Meine Lieblingskünstlerin ist Helga Schmidhuber, und im Alltag bin ich von Dutzenden ihrer Arbeiten umgeben. Trotzdem habe ich immer wieder Sehnsucht nach einem Werk von ihr, das für mich unerreichbar ist: Es handelt sich um eine Arbeit ohne Titel aus der Serie ,Alm-Alb-Pacific‘ aus dem Jahr 2014, das ich erstmalig im Museum Wiesbaden auf meine Netzhaut bekommen habe und das mich seitdem nicht mehr loslässt.
Gezeigt wurde es in Schmidhubers One-Woman-Show ,Does Voodoo work?‘, die 2014 im Projektraum gezeigt wurde. Den Auftakt bildete dieses grandiose Werk (mit zwei Micky Mäusen), das zu meinem Sehnsuchtsobjekt geworden ist. Ich wollte es sofort in meine Sammlung integrieren, aber Dr. Alexander Klar und Dr. Jörg Daur waren mir zuvorgekommen, indem sie es für das Museum Wiesbaden gekauft hatten. Nun pilgere ich regelmäßig vom Rheingau in unsere Landeshauptstadt, um mich an meinem Sehnsuchtsobjekt zu erfreuen. Gott sei Dank hing es bislang mehr in der Ausstellung, als dass es im Depot stand. Inzwischen weiß ich, dass es nicht nur mein Sehnsuchtsobjekt ist, sondern dass es anderen genauso geht.“

Kuratoriumsmitglied Mieke Teunen hat immer wieder Sehnsucht nach einer Arbeit aus der Serie „Alm – Alb – Pacific” von Helga Schmidhuber (Foto: Stefan Blume)

Das Leuchten, die Idee der Formen und Muster

Kerstin Jeckel schreibt: „Sehnsuchtsbilder – vermisst: zwei gelbe Tischdecken, ein Garten in Ascona und der Garten in Murnau. In den alten Katalogen gestöbert – Handy­fotos gemacht – um sie zu zeigen, aber eigentlich kann ich sie ja auswendig, alle diese Bilder. Das Rückseiten-Bild von Nikita, ,Stilleben mit gelber Decke‘, war das erste Jawlensky-Bild, zu dem ich einen Schulaufsatz geschrieben hatte, was ich lange nicht wusste. Unser Museum hatte ich in den frühen siebziger Jahren entdeckt, das Bild zum Beschreiben durfte ich mir selbst aussuchen. Vom Dorf mit dem Postbus in die Stadt – immer wieder zu Jawlensky und seinen Freunden. So müsste man malen können. Das sind die schönsten Bilder gewesen, bis dahin, diese und die kleinen Tafeln mit den Heilandsgesichtern, die damals noch in Kabinetten hingen auf dunkler Wand. Beim Münter-Bild war es der Garten, und diesen bayerischen Himmel, den kannte ich auch. Bei der ersten Wiesbadener Tischdecke war es das Leuchten des Gelb und die Idee der Formen und Muster. Bei der zweiten Tischdecke war es Jahre später die Freude, dieses noch viel schönere Tischdecken-Bild nun auch im Museum zu haben.
Die Zartheit der Farben des Gartens in Ascona haben mich schon als Schülerin über­rascht, das Kräftige kann auch hell und leicht sein, in der Welt herrschte eben noch der Weltkrieg, und er erlaubt sich das Hintupfen von Rosa, Gelb und Violett. Hoffnung, Sehnsucht? Wie geht es uns in diesen Corona-Zeiten? Kann man als Künstler gerade jetzt Leichtigkeit finden? Vielleicht war aber auch nicht genug Material vorhanden, um laut und stark mit der Farbe umzugehen.
Später, was für ein Glück: Dank Jawlensky, musste zur Aufnahmeprüfung am Städel für die Malklasse ein Bild interpretiert werden. Ich bekam einen Cezanne mit Äpfeln. Leicht war es, den viel früheren Cezanne als Wegbereiter in die Moderne über Matisse zu Jawlensky hin zu erklären. Bestanden! Und noch bevor das erste Semester an der Akademie begann, mussten Garten und Haus der Münter dringend zu mir – so habe ich es im Originalformat in Öl auf Pappe nachgemalt, es hing Jahrzehnte an der Balkonwand im Dambachtal mit Blick auf die Stadt. Leider ist es abhanden gekommen, es war ein schönes Bild (und eine gute Übung für die angehende Kunststudentin). Und es war soviel leichter, die Malerin zu kopieren als Jawlensky, das wäre vermessen gewesen.
Diese Sehnsuchtsbilder – sie waren einige Wochen alleine im Museum und niemand konnte sie sehen. Vielleicht konnten sie sich ein bisschen ausruhen von den vielen fremden Augen, die sie seit Jahrzehnten betrachten. Vielleicht erzählten sie sich gegenseitig etwas von ihrem Leben. Ich bin sicher, wenn ich sie wieder sehe, werden die Farben intensiver, das Leuchten schöner und die Formen überraschender sein als noch vor ein paar Wochen.“

Die Künstlerin Kerstin Jeckel liebt Jawlenskys Malerei seit ihrer Kindheit (Foto: Museum Wiesbaden/ Bernd Fickert)

Fasziniert und beschwingt

Doris Söhngen schreibt: „Immer wieder fasziniert mich die dynamische Leichtigkeit der 3000 schillernden Schmetterlinge, deren Wolke in einem Wimpernschlag festgehalten wurde. Diese Installation mit dem Namen ,Butterfly Cloud‘ trifft man im Themenraum ,Bewegung‘ der Naturabteilung an. Die niederländische Künstlerin Joos van de Plas hat die Arbeit 2013 geschaffen. Schon früh hat sie sich mit Leben und Werk der Naturforscherin Maria Sibylla Merian beschäftigt und diese zur Hauptinspirationsquelle ihrer eigenen Kunst werden lassen. Als Vorlage für die Schmetterlinge ihrer Installation, die aus Papier gearbeitet worden sind, dienten europäische und südamerikanische Arten. Dabei wählte die Künstlerin die Arten, an denen bereits Merian geforscht hatte. Die schwerelose Bewegung der bunten Flügel lässt mich jedes Mal beschwingt meinen Weg durch die Sammlungen fortsetzen.“

Architektin Doris Söhngen zieht es immer wieder zur Installation „Butterfly Cloud“ von Joos van de Plas (Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)

Martina Mulcahy und Ingeborg Salm-Boost, die die „Aktion Sehnsuchtsobjekt“ mit großer Freude betreut haben, möchten sich an dieser Stelle bei allen, die dabei waren, herzlich bedanken. Unser Dank gilt auch Direktor Dr. Andreas Henning, der in Zeiten der Pandemie-bedingten Schließung des Museums die Idee dazu hatte. Auf der Museums-Website finden Sie einen MuWi-Blog zur Aktion, in dem ein Teil der Einsendungen veröffentlicht ist. Im Journal dieser Freunde-Website können sie in der Rubrik „Aktion Sehnsuchtsobjekt“ alle zehn Folgen finden.

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