Auf Entdeckungstour – Lebensmenschen (Teil 5)

Die Krone des Malers

Ihre adlige Abstammung war beiden „Lebensmenschen“ wichtig: Dies erfahren wir bei unserer fünften Entdeckungstour mit dem Kurator. Gehen wir mit ihm in die Münchener Zeit der „Großfamilie“. Hier lebten Alexej von Jawlensky, Marianne von Werefkin zusammen mit Dienstmädchen Helene Nesnakomoff und dem Sohn Andreas Jawlensky-Nesnakomoff. Keine einfachen privaten Verhältnisse … Roman Zieglgänsberger schreibt:


Gerade bin ich selbst erschrocken, als ich gesehen habe, dass dies schon der fünfte Teil unserer Entdeckungstour durch die leider noch immer geschlossene „Lebensmenschen“-Ausstellung ist, und dass Sie also schon fünfmal ein wenig hinter die Kulissen haben blicken können. Das wird Sie aber doch hoffentlich nicht davon abhalten – vielleicht weil Sie denken, jetzt habe ich das meiste ja schon gesehen –, uns zu besuchen, wenn wir wieder geöffnet haben?

Es gibt noch so viele Geschichten in den 16 Sälen dieser Doppelretrospektive zu entdecken und dann natürlich vor Ort vor den wunderbaren Originalen zu vertiefen, die man nicht verpassen sollte – etwa wie diese hier zur adligen „Großfamilie“ Jawlensky/Werefkin in München:

Blick in den Saal „Großfamilie“ der Ausstellung „Lebensmenschen – Alexej von Jawlensky und Marianne von Werefkin“. (Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)

Werefkin (links) und Jawlensky (Mitte) sind im Oktober 1896 mit dem Dienstmädchen Helene Nesnakomoff (ganz rechts) von Sankt Petersburg nach München gezogen. Der Sohn Andreas Jawlensky-Nesnakomoff (etwa 5-jährig, zweites Bild von rechts) wurde im Januar 1902 geboren, wodurch sich das Verhältnis für alle Beteiligten zu einer komplexen Ménage à trois gewandelt hat. In aller Kürze: Je älter Andreas wird, um so komplizierter sind die privaten Verhältnisse, die allerdings zunächst keiner wirklich auflösen will. Man hält trotz aller Schwierigkeiten zusammen.

Alexej von Jawlensky mit Bowlerhut und sein Sohn Andreas im Malkittel, um 1907/08 (Alexej von Jawlensky-Archiv S.A., Muralto/CH)

München war aus künstlerischen Gründen allerdings der richtige Ort für das Malerpärchen. Einer davon war, dass man es in dieser kunst- und kulturoffenen Stadt erreichen konnte, als Künstler zur obersten Gesellschaftsschicht zu gehören. Der weit über die Grenzen Münchens hinaus bekannte „Künstlerfürst“ Franz von Lenbach, der 80mal Otto von Bismarck gemalt hatte und in einer mondänen Stadtvilla schräg gegenüber der Propyläen am „Königsplatz“ residierte, hatte es vorgelebt. Jawlensky und Werefkin legten großen Wert auf ihre adelige Abstammung, die sie beide auch stolz vor sich herzutragen wussten. Während Werefkin in München zur Baronin wurde und sich gerne mit Exzellenz ansprechen ließ, malte sich Jawlensky stolz mit Zylinder und goldener Krawatte.

Alexej von Jawlensky, Selbstbildnis mit Zylinder, 1904 (Privatsammlung)

Jetzt muss man wissen, dass der Zylinder seit der französischen Revolution die selbstbewusste „Gegenkrone“ zum Adel geworden ist, quasi zur „Krone des Bürgers“. Francisco de Goya, Hofmaler am spanischen Königshaus, war einer der ersten, der sich ausgesprochen mutig in diesem Sinne mit Zylinder darstellte. Jawlensky aber trug zu seinem Zylinder einen weißen Malkittel, den er sich über die Schultern geworfen hat. Das bedeutet, er geht mit dem Zylinder nicht auf die Straße, sondern ins Atelier zur Arbeit … Jetzt geht es schnell: Denn damit wird die „Krone des Bürgers“ zur „Krone des Malers“, der damit zum „König der Gesellschaft“ avanciert. Großartig!

Somit sah Jawlensky in dem mit größtem Stolz zur Schau getragenen Zylinder mehr als nur eine gesellschaftliche „Anstecknadel“ – vielmehr gereichte das Kleidungsstück zum Zeichen für seine künstlerische Selbstachtung, die er für sich allein durch harte Arbeit täglich verdienen musste.

Haben die Künstler heute noch das Gefühl der obersten Gesellschaftsschicht anzugehören? Geben wir Ihnen das Gefühl? Vermutlich leider nur, wenn sie Millionen verdienen.

Herzliche Grüße aus dem Museum, das derzeit leider mehr einem verborgenen Dachsbau gleicht als einem Musentempel, der wir so gerne wieder wären

Ihr

Roman Zieglgänsberger

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