Ein Treppenhaus als Gesamtkunstwerk
Das Zeichnen in den Natursammlungen
Studierende in der Biologie hatten in den ersten Semestern eine besondere Aufgabe zu bewältigen. Manche taten sich damit sehr schwer und hofften auf Befreiung. Da galt es eine Schnecke zu sezieren und sich an die Bestimmung der inneren Organe zu machen. Dank Torsion ist dies alles andere als einfach – selbst bei Nutzung eines anatomischen Lehrbuchs.
Die Kursleitung empfahl und wünschte zur weiteren Klärung einen Stift, mit dem das Gesehene zu Papier gebracht werden sollte.
Gleich mehrere neue Probleme entstanden so. Mancher hatte seit der frühen Kindheit nichts mehr gezeichnet und fühlte sich überfordert. Wie kann man ein dreidimensionales Objekt auf die Fläche reduzieren? Und was überhaupt soll in welcher Form gemalt werden?
Wenige hielten diese Arbeit nach wiederholtem Einsatz für verzichtbar, denn schnell wuchs die Erkenntnis: Dank des Stiftes und des Radiergummis ließ sich das gesehene Chaos ordnen und eine sinnvolle Betrachtung wurde möglich.

Die jüngeren Gäste des Museums kennen keinerlei Hemmungen. Bietet man Stifte und Papier an, so treten sie mit Vorfreude an ausgewählte Exponate heran und beginnen eine Entdeckungsreise in die Formenvielfalt der Natur, die alles Umliegende vergessen macht. Manche lassen sich gar nicht bremsen, andere verspüren ihren natürlichen Bewegungsdrang, und nun gilt es zu entscheiden, was mit dem Gezeichneten passiert. Ist die Großmutter dabei, so wird von dieser ein Lob eingeholt und das Blatt zum Geschenk. Andernfalls bleibt das Bild auf dem Zeichenbrett erhalten und wird abgelegt. Besitzstandsrechte an diesen Arbeiten existieren bei Kindern nur sehr kurzfristig. Die Museumsmitarbeiter sind immer dankbare Abnehmer des Liegengebliebenen.

Mehr als zehntausend Darstellungen des ehemals Lebendigen konnten bereits in den Besitz des Museums übergehen. Nach dem Glätten, Ordnen und Scannen füllen sich nun Festplatten. Gelegentlich wird diese Sammlung gesichtet und Neues ausgewählt für eine öffentliche Präsentation.

Beim Besuch der Ausstellung zu den Farben können die Ergebnisse auf einem Monitor betrachtet werden. Schaut man sich diese Vielfalt an Motiven und Darstellungsweisen eine kurze Weile an, so kribbelt Manchem die Hand.
An den Wänden des Treppenhauses sind Vergrößerungen hunderter Zeichnungen in den Putz gemalt. Alles, was sich dort findet, ist im Anschluss in den Ausstellungen zur Ästhetik der Natur zu finden. Die große Menge verleitet zu oberflächlicher Betrachtung, und daher kann man auch nach wiederholtem Besuch Neues an diesem Ort entdecken.

Die originalen Motive sind in akribischer Arbeit von Volker Tolksdorff, freischaffender Künstler und Comiczeichner, auf die Wand übertragen worden. In mildem Umfang hat er die Bilder zu einem Gesamtwerk vereinheitlicht und so eine zweite Ausstellung entstehen lassen. Selbstverständlich wurde dabei Wert auf individuelle Stile eines jeden Illustrators und deren Details gelegt. So könnte jeder sein eigenes Bild im Treppenhaus wiedererkennen. Tatsächlich ist dies den Besuchern unwichtig, erfreuen sich alle gleichermaßen an den Darstellungen und üben sich bei mancher Zeichnung im Dechiffrieren.

Anschließend geht es auf die Suche nach den Vorlagen und einem Stift mit Papier.
Fritz Geller-Grimm