Fast 100 Look-alikes

„Schwarz-Weiß“-Abend ein Volltreffer

War „total baff“ angesichts des großen Andrangs: Kurator Peter Forster erklärt gestenreich das Skulpturenwerk Balkenhols im Zusammenspiel mit den Alten Meistern. (Foto: Museum Wiesbaden/ Bernd Fickert)

Üblicherweise ist das Schwarz-Weiß-Denken (oder Schwarz-Weiß-Sehen) geradezu verpönt, steht diese Sichtweise doch für die Tendenz, Dinge extrem zu betrachten, ohne jegliche Berücksichtigung von Zwischentönen und Nuancen. Doch am „Langen Donnerstag“ gab’s (fast) ausschließlich Schwarz-Weiß: Knapp 100 Fans des international renommierten Bildhauers Stephan Balkenhol, dessen Markenzeichen die grob gehauenen Holzskulpturen sind, folgten dem „Dress like a Balkenhol“-Aufruf des Museums – und trugen weiße Blusen oder Hemden zum schwarzen Rock oder der schwarzen Hose. Eine Art Standard-Look der Balkenhol’schen Figuren. Das Outfit ermöglichte an diesem Abend den kostenlosen Eintritt – und mit etwas Glück auch die Chance auf ein Ticket für eine der beiden kostenlosen Führungen. Bereits bei der großen Vorab-Nachfrage nach diesen Tickets machte sich im Museum die Ahnung breit, dass der Andrang gewaltig werden würde. Und so kam es denn auch, die Regelung der maximal 25 Teilnehmerinnen und Teilnehmer pro Führung wurde (notgedrungen) spontan großzügig erweitert.

Unterwegs beim Abend im Museum ließen sich Königinnen und sogar eine Giraffe im Balkenhol-Look sichten. (Foto: Birgitta Steinschulte)

„Extrem fasziniert und begeistert“ – und einfach „total baff“: Dr. Peter Forster, Kustos Sammlungen 12. bis 19. Jahrhundert, machte aus seiner Begeisterung ob des großen Besucherinteresses keinen Hehl – und fand auch anerkennende Worte für die mit Giraffenkopf und Löwenmähne angereisten Gäste, die mit diesen Accessoires den hybriden Figuren des Bildhauers huldigten. Ganz klar, dass viele Fotos von Löwe-Mensch-Skulptur und Mensch-Löwen(mähne)-Figur geschossen wurden.

Schwarz-weiß gekleidet, manche auch mit Löwenmähne oder Krone – ein spanndendes Zusammentreffen in der Ausstellung „Zeitfenster“. (Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)

In rasantem Tempo gewährte der Kurator Einblick in die Entstehung der Ausstellung mit insgesamt 45 Skulpturen von Stephan Balkenhol inmitten der Alten Meister. „Ein Impuls musste her“, schildert Forster den Wunsch nach Aufwertung der Gemäldesammlung Alter Meister, für den er auch Stephan Balkenhol, den nach Forsters Ansicht „größten Bildhauer aller Zeiten“, gewinnen konnte. „Balkenhol hat die Skulpturen ganz bewusst gesetzt“, schildert der Kurator die Entstehung der Sonderausstellung „Zeitfenster“, in der Kunst auf Kunst trifft, die Alten Meister die Skulpturen ansehen – und umgekehrt. Hörbar amüsiert verrät Forster, dass es auch für den von ihm so verehrten Stephan Balkenhol eine übergeordnete Instanz gebe – dessen Ehefrau Kathrin, eine Kuratorin, die schonmal die Platzierungswünsche des Gatten für die „Zeitfenster“-Ausstellung über den Haufen wirft.

Prominent platziert scheint auch der „König auf Stuhl“, der sich aufgrund des Engagements der Freunde des Museums Wiesbaden, die den Ankauf der Balkenhol-Skulptur fürs Museum mit einer 50.000-Euro-Spende ermöglichten, den Andrang am „Look-alike“-Abend zu genießen. „Toll, dass das Museum Wiesbaden jetzt einen eigenen Balkenhol hat“, begrüßt Forster ausdrücklich den Einsatz der Museumsfreunde. Und verrät, dass er am liebsten auch noch eine Bronze vom „König auf Stuhl“ neben dem Goethe am Zugang zum Museum sähe – um eine weitere Brücke zwischen dem Gestern und Heute zu schlagen.

„Dress like a Balkenhol“: Ein solcher Abend muss fotografisch festgehalten werden. (Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)

Während der Kurator seinen leidenschaftlichen Exkurs in die Welten der Alten Meister und der Skulpturen von Stephan Balkenhol mit der Ankündigung, sich nun leider verabschieden zu müssen, beendet, sind etliche Besucherinnen und Besucher noch in Anblick des – natürlich – in weißem Hemd und schwarzer Hose bekleideten Mannes vertieft, der auf einem Fahrrad sitzt. Das Rad ist nicht aus Holz, es ist, wie Forster verraten hatte, das Fahrrad, mit dem Balkenhol durch Italien gefahren sei. Die Spatzen, die der 67-jährige Bildhauer eigens für die „Zeitfenster“-Ausstellung geschaffen hat, betrachten derweil die „Gebirgslandschaft mit Flusstal“ von Joos de Momper (1564–1635), einem der bedeutendsten flämischen Landschaftsmaler. Oder ist es umgekehrt?

Kunstbetrachtung mit Giraffe: Inmitten der Balkenhol-Skulpturen und untermalt von den Ausstellungs-Einblicken durch Kurator Peter Forster konnten sich fast 100 Lookalikes inspirieren lassen. (Foto: Birgitta Steinschulte)

Der in der Ausstellung präsentierte ungezwungene Dialog zwischen aktueller Gegenwartskunst und Alten Meistern lässt jede Menge Raum für Interpretation. Und das ist gewollt. Schließlich: Wenn jeder jeden ansieht – wer betrachtet dann wen? Ein eigenes Urteil kann man sich übrigens bis zum 2. Juni 2024 bilden. Bis dahin ist die Sonderausstellung „Zeitfenster“ mit den Gemälden Alter Meister und die Abbilder des zeitgenössischen Menschen, von Stephan Balkenhol aus Holz gefertigt, im Museum Wiesbaden zu sehen.

Christina Oxfort, Journalistin

Zur Übersicht