Interview mit Angelica Jawlensky Bianconi
„Ja, es ist eine Lebensaufgabe“
Im Museum Wiesbaden fühlt sich Angelica Jawlensky Bianconi wohl. Dies strahlt die Enkelin des berühmten Großvaters aus. Wir treffen uns hier, natürlich im Café Jawlensky, um über ihre Leidenschaft für Leben und Werk des Großvaters Alexej von Jawlensky zu sprechen. Eine schillernde Persönlichkeit, ein Künstler, der sich mit den unterschiedlichsten Stilrichtungen auseinandersetzte, einer, der immer wieder durch die Farbintensität seiner Werke besticht. Ein Maler, der in seinen letzten Wiesbadener Lebensjahren unter chronischer Polyarthritis litt – und unter dem Ausstellungsverbot durch die Nationalsozialisten. Dennoch schuf er ein Spätwerk. Hier soll aber nicht der Maler im Fokus stehen, sondern die eher zurückhaltend auftretende Tochter seines Sohnes Andreas. Dessen Mutter Helene ziert lebensgroß, im spanischen Kostüm, unser Museum. Dies ist dem Wiesbadener Sammler Frank Brabant zu verdanken.
Frau Jawlensky Bianconi, fühlen Sie sich in Wiesbaden, in der Stadt, in der Ihr Großvater seit 1921 bis zu seinem Tod 1941 lebte und wo heute die weltweit bedeutendste Jawlensky-Sammlung aus allen Schaffensphasen beheimatet ist, ein Stück weit zu Hause?
Absolut. In meiner Kindheit kam ich mit meinen Eltern zweimal im Jahr, an Ostern und im Herbst, hierher. Meine Großeltern sind ja in Wiesbaden begraben. Ich liebe die Russische Kirche, ich fühle mich in Wiesbaden sehr wohl.
Sie haben engen Kontakt zum Museum Wiesbaden, auch durch Ihre wissenschaftliche Arbeit.
Das Museum Wiesbaden gehört zu meinen Kindheitserinnerungen. Ich weiß noch, wie ich auf dem Arm meines Vaters im Museum war, Journalisten umringten ihn, Menschen strömten uns entgegen, es wurde auch fotografiert. Ich war ziemlich erschrocken, aber mein Vater war fröhlich. Er hat sich regelmäßig mit Dr. Weiler getroffen.
Der frühere Direktor Clemens Weiler hat mit Hilfe Ihres Vaters 1959 die erste Jawlensky-Biografie publiziert. Wann haben Sie diese erstmals in der Hand gehalten?
Schon als Kind habe ich mir die Bilder angeguckt. Diese frühe Biografie hatte einen großen Anhang, eine Art Werksverzeichnis, das ca. 700 Werke erfasst, und fast alle sind abgebildet.
Alexej von Jawlenskys Agentin und Freundin Galka Scheyer soll nach einer Wanderausstellung im Nassauischen Kunstverein geschrieben haben, dass in Wiesbaden „alle einen Jawlensky-Fimmel“ haben. Sehen Sie das in Ihrer Forschungsarbeit bestätigt?
Galka war auch Künstlerin und 1916 in der Schweiz. Da war mein Großvater im Exil. Als sie eine kleine Ausstellung zugunsten von Kriegsgefangenen aus Polen und Russland besuchte, sah sie auch Jawlenskys Bild „Der Buckel I“. Galka wollte unbedingt den Künstler kennenlernen. Es entstand eine lebenslange Freundschaft … Sie rief ihn nach Wiesbaden, sie hatte dort 21 Gemälde verkauft, ein Riesenerfolg!
Aber kommen wir wieder zu Ihnen, der Enkelin. Kann man sagen, dass Sie Ihr berufliches Leben ganz dem außergewöhnlichen Schaffen des Großvaters gewidmet haben?
Eigentlich wollte ich klinische Psychologin werden. Aber ich habe nie bereut, dass ich das Studium wechselte. Die Beschäftigung mit Alexej wurde zu meiner Lebensaufgabe und es ist meine Art, ihm zu danken für alles, was ich durch ihn erfahren habe. Mein Vater sagte, „Du musst meine Arbeit weiter machen“, ich war schon als Kind dabei.
Ihr Vater war nicht nur Bewahrer des Werks seines Vaters, sondern er war selbst auch Künstler.
Ja, er war sehr farbenstark, malte naturalistisch. Er verehrte seinen Vater, und die beiden hatten eine innige Beziehung. Was er an Material gesammelt hatte, wurde der Grundstock des Archivs. Und es ist meine größte Leidenschaft, zu recherchieren, neue Mosaiksteine hinzuzufügen. Man lernt so viel dabei – zum Beispiel über Musiker, Schriftsteller – der Horizont wird erweitert. Ja, es ist eine Lebensaufgabe.
Das Archiv hatten Sie zunächst mit Ihrer Mutter Maria und Ihrer Schwester Lucia betreut?
Ja, mit der Schwester habe ich auch ab 1986 das Werksverzeichnis erarbeitet. Sie zog sich bereits vor mehr als zehn Jahren aus der Arbeit zurück.
Wie würden Sie Ihre Tätigkeit als Leiterin des Jawlensky-Archivs in Locarno in Kurzform beschreiben?
Das Archiv befasst sich u.a. mit der Aufnahme oder Nichtaufnahme von Werken ins Verzeichnis. Es gibt sehr, sehr viele Fälschungen. Meine Aufgabe ist, das zu trennen. Dabei helfen mir die Mitglieder des Beirates. Es geht um die Weiterführung des Werksverezeichnisses, aber auch um Publikationen. Einem fachkundigen, interessierten Publikum machen wir das Archiv zugänglich. Das Archiv wurde 1988 von meiner Mutter, meiner Schwester und mir gegründet.
Der Beirat trifft sich auch in Wiesbaden?
Ja, wir kommen zweimal im Jahr zusammen. Im Mai geht es bei mir in der Schweiz um die Begutachtung von Gemälden. Im November/Dezember begutachten wir in Wiesbaden die Werke auf Papier.
Gehören dem Beirat, der seit 2002 besteht, auch Wiesbadener Experten an?
Ja, Dr. Roman Zieglgänsberger, Kustos für Klassische Moderne im Museum Wiesbaden, und im Bereich Kunsttechnologie Ines Unger, Restauratorin.
Dank Ihrer Forschungsarbeit wurde vor nicht so langer Zeit auch herausgefunden, dass ein Jawlensky-Werk aus der Sammlung Brabant nicht, wie ursprünglich gedacht, eine Ansicht von Bad Wörishofen zeigt, sondern vielmehr Bad Schwalbach im Taunus. Sie sprachen mit dem Wiesbadener Kurier darüber …
Ja, die Datierung auf der Rückseite brachte die Recherche auf den Weg, dort stand das Datum 1927. In diesem Jahr aber war Jawlensky nicht in Bad Wörishofen, sondern erst später. Zu Hause fiel mir wieder eine kleine Dose in die Hände, die meiner Großmutter Helene gehörte, und auf dem Deckel steht Bad Schwalbach. Wohl ein Souvenir aus der Ortschaft. Beim Goggeln im Internet fand ich alte Fotos und Postkarten von Bad Schwalbach, und siehe da, die Kirche und ein Gebäude gegenüber entsprechen der Darstellung im Gemälde so exakt, dass kein Irrtum möglich ist.
Wie interessiert waren Sie als Enkelin an der Zeit Ihrer Familie in Wiesbaden?
Es hat mich immer schon interessiert. Meine Schwester ist hier geboren. Und unser Vater erzählte immer sehr viel über Wiesbaden. Ich arbeite jetzt daran, auch hier frühere jüdische Sammler zu finden. Jawlensky war mit vielen jüdischen Menschen befreundet.
Man hat den Eindruck, Sie kommen gerne hierher …
Ja, die Stadt gefällt mir, mit ihrem gediegenen Ambiente, ihren alten Villen, mit dem griechisch-orthodoxen Friedhof. Aber auch den Kurpark liebe ich. Das Bootsfahren und Entenfüttern war immer eine Etappe, wenn ich als Kind nach Wiesbaden kam.
Bleiben wir in der Vergangenheit und gehen wir nochmal zu Jawlenskys Zeit in Wiesbaden. Als die große Kirchhoff-Ausstellung 2017 in unserem Museum stattfand, wurde auch viel über Jawlenskys besondere Nähe zu Kirchhoffs Frau Toni, also der Frau seines Mäzens, gesprochen, ein Thema für Sie?
Heinrich Kirchhoff hat viel gekauft, so konnte Alexej die Miete bezahlen. Sein Sohn sagte: Da lief nichts. Ja, mein Großvater hat Toni hofiert, hat sie begleitet. Er war ein Frauenversteher, ein Kavalier alter Schule. Und er konnte sehr gut zuhören. Das mögen wir Frauen doch. Es wurden ihm alle möglichen Liebeleien angehängt.
Haben Sie sich auch mit der Rolle Marianne von Werefkins im Leben von Alexej von Jawlensky beschäftigt?
Sie war ja selbst in Russland eine sehr anerkannte Malerin, sie war auch vermögend. Und sie hat sein Talent erkannt und wollte ihn fördern. Es war auch eine Art Liebe im Spiel, Werefkin wollte aber nicht heiraten. Sie wollte keine körperliche Beziehung.
Und dennoch lebten sie zusammen, in München auch zu dritt, mit Helene.
Ja, Marianne von Werefkin war hochintellektuell, gab ihm viele Denkanstöße, sie war am Anfang seine Mentorin. Dann aber gingen sie auch künstlerisch auseinander.
Und Helene, als Hausmädchen gekommen, wurde seine Muse und Mutter seines Sohnes. Bestimmt nicht einfach für Marinanne von Werefkin?
Sie empfand es wohl als großen Verrat. Schon 1913 wollten Jawlensky und Helene heiraten und München verlassen …
Und Helene?
Sie war mittlerweile innerlich gewachsen, wurde selbstbewusster. Die Trennung von Marianne von Werefkin war für beide notwendig. Jawlensky machte sich aber ein Leben lang Vorwürfe.
Wie gefällt Ihnen „Helene im spanischen Kostüm“? Es wird ja heute von Fachleuten auf mindestens 2,5 Millionen Euro taxiert. Ein Werk, das der Wiesbadener Sammler Frank Brabant dem Museum geschenkt hat.
Ein tolles Gemälde. Da ist sie schwanger mit meinem Vater, Alexej malte sie lebensgroß. Ich bin dem Sammler Frank Brabant sehr dankbar, dass er das Bild dem Museum Wiesbaden 2014 geschenkt hat. Mit Frank Brabant habe ich schon seit Jahren guten Kontakt.
Nun hat der Förderverein auch beim Erwerb des Bilds „Stillleben mit Samowar“ fürs Museum Wiesbaden geholfen …
Ich bin so froh und den Freunden sehr dankbar, dass das Gemälde jetzt hier ist. Solche Unterstützung ist etwas Wunderbares. Dass der Verein jedes Jahr dem Museum bei der Neuerwerbung eines Kunstwerks hilft, ist ein großes Zeichen für das Kulturleben.
Welches Werk Ihres Großvaters ist Ihnen noch besonders lieb und warum?
Der Mädchenkopf von 1909, er hängt in Düsseldorf im Kunstpalast. Das Mädchen schaut sehr besorgt, es steht an der Schwelle vom Mädchen zur Frau. Das hat mich immer schon fasziniert.
Gibt es neben Alexej von Jawlensky noch Lieblingsmaler für Sie?
Lyonel Feininger mag ich sehr. Und seit Kindesbeinen war ich mit den Künstlern im Umfeld des Blauen Reiters vertraut. Auch die Kunst des italienischen Mittelalters interessiert mich. Mit der zeitgenössischen Kunst hadere ich manchmal.
Frau Jawlensky Bianconi, was ist Ihnen im Leben noch wichtig – neben dem Bewahren des Schaffens von Alexej Jawlensky?
Natürlich meine Familie, mein Mann und mein Sohn.
Wir sitzen hier im Museum Wiesbaden, im Café Jawlensky. Wie sehen Sie die Entwicklung hier in Wiesbaden?
Hervorragend! Volker Rattemeyer hatte das Museum schon entstaubt und erneuert. Mit viel Liebe und Leidenschaft, mit frischem Wind ist das heutige Team am Werk. Das Austellungsangebot kann sich wirklich sehen lassen. Zum Beispiel war Mondrian eine tolle Ausstellung gewidmet.
Sie hatten ja auch die Jubiläumsausstellung im Jahr 2014 zum 150. Geburtstag ihres Großvaters sehr gelobt. Was machte diese Schau „Horizont Jawlensky – Alexej von Jawlensky im Spiegel seiner künstlerischen Begegnungen 1900 bis 1914“ denn aus? Sie sprachen damals von einer „Traumausstellung“.
Diese Ausstellung war so wichtig und herausragend, weil man die künstlerische Enwicklung Jawlenskys seit den ersten Jahren in München genau verfolgen konnte, vor allem auch viele Werke anderer Künstler zu sehen waren, die um 1900 in München schon berühmt waren und die Jawlensky sofort gesehen hatte.
Zum Schluss bitte noch ein Wort zu Jawlensky und Werefkin. Im Münchener Lenbachhaus im Herbst 2019 und 2020 in Wiesbaden wird es die Aussstellung „Lebensmenschen – Alexej von Jawlensky und Marianne von Werfekin“ geben. Ihr Archiv hat mitgearbeitet. Wie stehen Sie persönlich zu dieser Schau und warum solle man sie nicht versäumen?
Diese Ausstellung ist eine einmalige Gelegenheit, das Schaffen dieser beiden Künstler in einer gemeinsamen Präsentation zu erleben, zu vergleichen und somit besser zu verstehen zu können. Der künstlerische Werdegang der beiden Persönlichkeiten zeigt einige Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede in ihrer Auffassung der modernen Kunst und der Realisierung ihrer Werke. Es sind zwei verschiedene Sprachen, die teils gemeinsame, teils individuelle Inhalte malerisch umsetzen.
Das Gespräch führte Ingeborg Salm-Boost