Interview mit Kevin Clarke
Mit dem eigenen Blut fing es an …
„Der unsichtbare Körper“, so der absolut treffende Titel einer Ausstellung, die 1999 im Museum Wiesbaden stattfand. Dahinter verbarg sich die Präsentation einer Reihe von DNA-Porträts aus dem Schaffen von Kevin Clarke. Noch bis 15. Juli 2023 stellt der in New York geborene Künstler im „Herrenhaus“ des Hofguts Wickstadt aus. Dr. Herwig Ganz und seine Ehefrau Dr. Shadi Ganz, die nach Jahrzehnten der Tätigkeit im Ausland nach Niddatal zurückkehrten, haben seit 2017 das denkmalgeschützte Anwesen zu einem Kunst- und Kulturforum für interkulturellen Austausch geformt. Für den 12. Juli laden die beiden, die auch Sammler sind, eine Gruppe der Freunde des Museums Wiesbaden ins malerische Heim und zur Begegnung mit Clarke ein! Näheres erfahren Sie in unserer nächsten Rundmail. Im Interview verrät der Künstler uns vorab, wie es dazu kam, dass er sich in die Genetik vertiefte und warum er mit dem „Roten Sofa“ in den USA unterwegs war.
Kevin Clarke, wir sitzen im Museum Wiesbaden. Was verbindet Sie mit ihm?
Alles begann 1977, da kam ich aus den USA über Basel nach Kassel, zur documenta 6. Ich gab mit anderen einen „Anti-Katalog“ heraus: „Kunst und Medien“. Für ihn schrieb auch Volker Rattemeyer. Hier kam ich u.a. mit Joseph Beuys und Jochen Gerz zusammen. Stellen Sie sich vor, in 100 Tagen wurden 25.000 Kataloge verkauft. Es gab sogar einen Preis dafür von der FAZ.
Doch waren Sie da noch lange nicht in Wiesbaden angekommen …
Nein, aber Jochen Gerz hatte 1997 eine Ausstellung im Museum Wiesbaden, zu der ich Fotos beisteuerte und zu der ich eingeladen war. So traf ich wieder auf Volker Rattemeyer, er war ja zu dieser Zeit Chef des Museums in Wiesbaden. Und er interessierte sich für mein Gruppenporträt-Projekt, schlug vor, es in Wiesbaden umzusetzen.
Das bedeutete für Sie, sich eine Zeit lang in Wiesbaden niederzulassen …
1998 – ich war verwitwet – zog ich mit meinen zwei Kindern in die Platter Straße. Die damalige stellvertretende Direktorin Renate Petzinger kümmerte sich sehr um uns. Mein Kleiner lernte in der Platter Straße das Laufen… Und dann habe ich Ute und Michael Berger kennengelernt. Daraus entstand eine lebenslange enge Freundschaft.
Das Sammler-Paar Berger, eng mit der Fluxus-Bewegung verbunden, gehörte zu Ihren DNA-Porträts, die dann 1999 unter dem Titel „Der unsichtbare Körper“ in unserem Museum gezeigt werden sollten. Wen haben Sie noch „erforscht“ und in Ihre spannende Serie aufgenommen?
Zum Beispiel Professor Wilhelm Fresenius. Für ihn und seinen wissenschaftlichen (Chemie) Bereich wählte ich als Metapher einen Reagenztrichter aus Glas durch den kein Wasser, sondern Licht fließt. Auch den Fluxus Künstler Ben Patterson, der 2017 in Wiesbaden gestorben ist, habe ich porträtiert. Und Nam June Paik, den koreanische Videokünstler aus New York, der auch lange einen Zweitwohnsitz in Erbenheim hatte. Er liebte die warmen Quellen. Da lag als Metapher der Kochbrunnen nahe. Diese Arbeit gehört dem Museum Wiesbaden. Die Ausstellung damals kam sehr gut an.
Sagen Sie bitte noch etwas zu „12 + 1“, dem jeweiligen Leitmotiv für Ihr Gruppenporträt-Projekt.
Mich faszinierte Da Vincis „Abendmahl“ mit seinem besonderen Format, das einen Protagonisten mit einer Hauptrolle (Jesus von Nazareth) und seine 12 Jünger beinhaltet. „12 + 1“ ist auch typisch für Gerichtsverfahren: 12 Juroren plus ein Richter. Da Vinci wurde nach Mailand eingeladen, ein Gemälde zu schaffen. Er fertigte Hunderte von Skizzen von Mailänder Bürgern an und integrierte einige in die Gesichter der Jünger …
Und Sie haben sich bei Ihren Porträts an eben dieser Systematik orientiert, für Wiesbaden Ute Berger das Leitmotiv zugeschrieben …
Ich habe dieses „12 + 1“-Konstrukt in New York und in Wiesbaden verwendet. New York habe ich mit dem Entdecker der Doppelhelixstruktur der DNA, James D. Watson, verbunden. Bei Wiesbaden entschied ich mich für Ute Berger. Sie ist die Enkelin des Sammlerpaares Kirchhoff und Förderin experimenteller Kunst. Und sie hat eine beeindruckende Firma mit ihrem Mann Michael gegründet, damit die Basis geschaffen, um zur kulturellen Erneuerung der Nachkriegszeit beizutragen.
Wir können nicht jedes Detail Ihrer faszinierenden Arbeit hier erörtern, aber sagen Sie uns doch, wie das mit Ihren DNA-Porträts überhaupt begonnen hat.
1988, mit dem Selbstporträt, da kam ich in Kontakt mit der Firma Applied Biosystems in Kalifornien, die an der Entwicklung des Analyseverfahrens zum menschlichen Genom arbeitete. Ich stellte mein eigenes Blut zur Verfügung. Es war die Basis für automatisierte DNA-Analyse.
Und dann machten Sie was?
Die grafische Darstellung meiner DNA-Sequenz in Form von Buchstabenfolgen habe ich mit einem Foto verschmolzen. In den 1990ern folgten beispielsweise solche Porträts von Jeff Koons oder etwa John Cage.
Es geht ja immer darum, dass Sie keinen Körper, kein Gesicht zeigen, sondern sich am genetischen Profil des jeweiligen Menschen orientieren, sich intensiv mit ihm beschäftigen und das Motiv für die Person suchen – wie kommen solche Porträts, wie sie auch in der Wiesbadener Galerie Rubrecht Contemporary zu sehen waren, bei den Betroffenen an?
Natürlich sind die Porträtierten super-neugierig, wollen wissen, was ich gemacht habe und wieso. Ich zeige ihnen ihr Bild und erzähle dazu die Geschichte… Mehr möchte ich nicht verraten.
Müssen Sie eigentlich diese DNA-Analysen bezahlen?
Nein, die Labors wollen kein Geld, arbeiten gern mit mir zusammen.
Verraten Sie uns noch, wo Ihr großes Interesse für Genetik herrührt?
Mein Interesse an der Genetik entstand aus der Idee der Genealogie als Metapher. Als ich Mitte der 1970er Jahre die Kunstakademie in New York besuchte, endeten mit der Konzeptkunst die Ismen, die seit Manet die Kunstströmungen geprägt haben. Die Genealogie hat ihren Endpunkt erreicht. Das war befreiend. DNA wurde zu einem nützlichen Element in einer Herangehensweise an die Porträtmalerei, die es mir ermöglicht, mich auf das Unsichtbare zu konzentrieren.
Ein kurzer Blick bitte auf das berühmte „Rote Sofa“, mit dem Sie auf Reisen gingen und weltweit Beachtung erreichten!
Als ich nach dreieinhalb Jahren in Deutschland nach Manhattan zurückkehrte, schlief ich auf der roten Couch im Malatelier eines Freundes. Ich entschied mich dafür, die Couch rauszunehmen, um Amerika und seine Klischees zu sehen. Die Postmoderne begann gerade erst und ich betrachtete das Sofa als Klammer, als ein Objekt, das auf jedem Foto auftauchte und signalisierte, dass das, was wie Dokumentarfotografie aussah, in Wirklichkeit Theater war. Mein Arbeitstitel lautete „Americans on a Red Velvet Couch“, in Anlehnung an „Americans“ von Walker Evans und „The Americans“ von Robert Frank.
Sie haben zurzeit, bis 15 Juli, zusammen mit Professor Johannes Brus eine Ausstellung im „Herrenhaus“ in Wickstadt-Niddatal. Was zeigen Sie dort von Ihren Werken?
Die Ausstellung ist ein Überblick über Kunstwerke aus den DNA-Porträt-Projekten von 1989 bis 2022. Ich habe übrigens auch Johannes Brus und seiner Frau DNA-Porträts gewidmet. In der Schau habe ich auch Dokumentationen und Objekte von einem Happening beigefügt, das ich 1975 in New York gemacht und 2022 in Frankreich nachgestellt habe. Also gibt es neue Perspektiven zu sehen. Ich freue mich sehr, mit einem meiner Lieblingskünstler auszustellen. Wir haben beide als Bildhauer angefangen und die Fotografie schnell integriert. Zuletzt haben wir 2021 gemeinsam im Bayerischen Nationalmuseum in München ausgestellt. Wir passen gut zusammen.
Das Gespräch führte Ingeborg Salm-Boost
Zur Person
Kevin Clarke, 1953 in New York City geboren, verbrachte nach dem Studium der Bildhauerei mehrere Jahre in der Schweiz und in Deutschland. Er widmete sich der konzeptuellen fotografischen Kunst, arbeitete 1977 bei der documenta 6 mit Joseph Beuys zusammen – an der von diesem geleiteten Freien Internationalen Universität. Der von Clarke mit herausgegebene „Anti-Katalog“ wurde zum „Renner“. Für seinen Bildband „Kaufhauswelten“ erhielt er den Kodak Book Award. Mit „The Red Couch“, auf der er zahlreiche berühmte und auch unbekannte AmerikanerInnen fotografierte, erlangte er weltweit Aufsehen. Ende der 1980er entdeckte Clarke sein großes Interesse am menschlichen Genom. Er selbst stellte als Erster einem kalifornischen Forschungslabor sein Blut für den individual-spezifischen Sequenzierungsprozess zur Verfügung – das war der Beginn einer langen Reihe von Werken, in denen er die Buchstabenfolgen der jeweiligen DNA-Sequenz mit einem für die bestimmte Person gewählten Fotomotiv zu einer Montage verschmolz. Sogar historischen Personen widmete er sich auf diese Weise – so erhielt er für sein Schiller-Porträt aus dem Museum in Marbach eine Locke des Dichters, mit der die DNA-Analyse erfolgen konnte. 2018 war er zur Architektur-Biennale nach Venedig eingeladen, 2019 nahm er an der Kunst Biennale in Venedig teil. Und so manche(r) kam auf ihn zu mit der Bitte um Anfertigung des eigenen DNA-Porträts. Sehr betroffen ist er von den Geschehnissen in der Ukraine, fühlt eine starke Solidarität mit den Ukrainern und hat diese mit einer privaten Aktion in Frankreich bekundet. Clarke, der bis heute Wiesbaden verbunden geblieben ist, wo er 1998 und 1999 in Vorbereitung seiner Ausstellung im Landesmuseum viel Zeit verbrachte, lebt und arbeitet in Frankreich sowie in Frankfurt, wo er ein großes Atelier im Osthafen hat.