Interview mit Roman Zieglgänsberger

Am Ende überwiegt das Schöne …

Dem Paradies so nah: Kurator Roman Zieglgänsberger während des Aufbaus der Macke-Ausstellung (Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)

Dem Paradies kann nahe sein, wer die Werke von August Macke betrachtet – einem der wesentlichen Protagonisten der 1911 gegründeten Gruppe „Blauer Reiter“. Wer länger hinschaut, mag manchmal auch entdecken, dass das irdische Paradies fragil sein kann … Mit Roman Zieglgänsberger, Kustos der Klassischen Moderne und Kurator der Ausstellung „Paradies! Paradies?“ gehen wir durch die Räume, schauen bei der diffizilen Hängung der Bilder zu, erleben, dass gerade die „Frau mit Hut“ aus Münster angekommen ist, können schon viele Werke Mackes und seiner Weggefährten an den Wänden betrachten. Und tauchen mit Roman Zieglgänsberger in eine ganz besondere Welt ein. Für die Freundinnen und Freunde, die auch bald ein Bild von dieser Schau machen möchten, noch einige Hinweise: Mit dem Mitgliedsausweis ist der Besuch der Ausstellung am 29. Oktober schon ab 17.30 Uhr zur Vorbesichtigung möglich. Bis 21 Uhr sind die Räume an diesem Abend geöffnet, eine Einführung kann es leider nicht geben. Aber man trifft auf Experten und kann mit ihnen persönlich ins Gespräch kommen. Die Museums-App bietet einen kostenlosen Audio-Guide an. Und alle wegen der Pandemie notwendigen Sicherheitsvorkehrungen sind getroffen.


Roman, was sagt uns der Ausstellungsname „Paradies! Paradies?“ beziehungsweise die Interpunktion?

August Macke war einer der populärsten Künstler des 20. Jahrhunderts – vor allem, weil man sich bei seinen Bildern so aufgehoben fühlt. Paradies! Diesen Eindruck hat man zunächst einmal bei all seinen Sujets …

Und dann kommt das Fragezeichen hinter dem zweiten Paradies.

Ja, vielleicht beim zweiten oder dritten Mal des Betrachtens merkt man bei so manchem Motiv, dass das irdische Paradies fragil, etwas brüchig sein kann. Man denkt nach über den „doppelten Boden“. Aber am Ende überwiegt bei Macke das Schöne. Dies wollen wir rausarbeiten in der Schau. Das Thema passt ja gerade jetzt gut in die Zeit.

Weil sie durch Corona nicht mehr so paradiesisch ist?

Ja, man denkt, man lebt im Paradies – und plötzlich platzt die Blase, alles ist anders. So schnell kann das gehen.

Ein Programmbild, auf das man im ersten Raum zuläuft: August Macke, Seiltänzer, 1914, Kunstmuseum Bonn (Foto: Reni Hansen, Wolfgang Morell)

Das erste Bild, auf das man zugeht, ist Mackes „Seiltänzer“. Das hat sicher seinen besonderen Grund …

Es ist ein Programmbild, 1914 entstanden. Und es zeigt die Welt so, wie August Macke sie sah: Ein Jahrmarkt der Möglichkeiten, ein Weg, ein Seil für die Sicherheit – und trotzdem kann man abstürzen. Ein Hauptwerk, warum nicht einmal damit die Ausstellung beginnen? Mit einem Paukenschlag! Ich finde, das ist ein wunderbares Entree.

Vor genau 100 Jahren gab es im Wiesbadener Museum eine große August-Macke-Retrospektive. Seine Witwe hatte die Schau zusammengestellt, damit das Werk ihres Mannes nicht in Vergessenheit gerät. Wieso kam die Ausstellung neben Frankfurt und Berlin auch nach Wiesbaden?

Damals war Wiesbaden in aller Munde. 1915 wurde der Museumsbau eröffnet, eines der bedeutendsten Gebäude in der Museumswelt. Der Nassauische Kunstverein war sehr aktiv. Und 1917 hatte es übrigens eine Franz Marc-Ausstellung gegeben, da lag es nahe, dass die Macke-Bilder 1920 auch in Wiesbaden Station machten. Immerhin standen wunderbare Räume zur Verfügung. Und in denselben Sälen zeigen wir nun alle Schaffensphasen des Künstlers. Es sind 16 Arbeiten dabei, die auch vor 100 Jahren schon hier zu sehen waren.

Diffiziler Job: Bei der Hängung braucht es Kunstverständnis und handwerkliches Geschick. Der Kurator, der die Vorgaben macht, setzt hier auf Spezialisten aus Frankfurt. (Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)

Bitte wirf ein paar Schlaglichter auf die verschiedenen Werksphasen.

Beispielsweise hat Macke sich, als er in in Paris war, sehr mit Matisse auseinandergesetzt, der sich nach dem Post-Impressionismus dem Expressionismus zuwandte. Auch August Macke wählte erst den impressionistischen Malstil, was die Motive, was Licht und Farbe angeht. Entscheidend für ihn war dann wohl eine Begegung mit Robert Delaunay im Jahr 1912.

Aber zuvor lebte August Macke mit seiner Frau Elisabeth noch eine Zeit am Tegernsee, bei München?

1909 war das Paar an den Tegernsee gegangen. Aber nach einem knappen Jahr, 1910, kehrte es wieder zurück nach Bonn. Dort war August Macke sehr stark kulturpolitisch engagiert – mit den rheinischen Expressionisten, zu denen auch sein Cousin Helmuth Macke oder etwa Heinrich Campendonk gehörten. Aber dieses kulturpolitische Wirken wurde August Macke dann zu viel in Bonn, er wollte sich wieder mehr seiner Kunst widmen. Im Herbst 1913 zog er mit Frau und Söhnen nach Hilterfingen am Thuner See.

Mit Paul Klee war er auf Tunis-Reise: August Macke, Blick auf eine Moschee, 1914, Kunstmuseum Bonn, Dauerleihgabe aus Privatbesitz (Foto: Reni Hansen, Wolfgang Morell)

Und traf dort auch mit Paul Klee zusammen?

Ja, Klee hatte die Idee für eine gemeinsame Tunis-Reise. Die war für beide ein Erweckungserlebnis. Die Arbeiten wurden noch klarer in ihrer Farbigkeit. Klee soll übrigens in Nordafrika, wo das Licht so warm ist, den Satz gesagt haben: „Die Farbe hat mich, hurra, ich bin Maler.

Warum hat Macke eigentlich die 1911 gegründete Künstlergruppe „Blauer Reiter“, in der er ja eine wesentliche Rolle spielte, 1913 persifliert? Und ist dieses Bild auch in Wiesbaden zu sehen?

Es ist eine Zeichnung. Und ja, sie ist zu sehen. Mit Franz Marc, der zusammen mit Wassily Kandinsky die Blaue-Reiter-Ausstellungen 1911 und 1912 organisiert hatte, verband ihn eine enge Freundschaft. Aber mit Kandinsky hatte Macke seine Probleme. Der wesentlich ältere Kandinsky trug seine große Intellektualität vor sich her, er war wohl für Macke eine erdrückende Persönlichkeit.

Auch der Cousin malte: Helmuth Macke, Weihnachtsstillleben, 1926/27, Sammlung Frank Brabant (Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)

80 Werke von August Macke und ca. 25 von Künstlern seines Umfelds werden zu sehen sein. Und 17 Bilder kommen von Frank Brabant, dem Wiesbadener Sammler und Mäzen, der die Hälfte seiner Sammlung dem Museum Wiesbaden vermachen wird.

Es sind vier Werke von August Macke (entstanden zwischen 1910 und 1914) dabei. Unter anderem auch ein Werk von Franz Marc und von Malern des rheinischen Expressionismus. Außerdem ist Helmuth Macke, der Cousin, vertreten, unter anderem mit einem Stillleben, das Frank Brabant erst kürzlich erworben hat. Es ist toll, dass wir auf eine so wichtige Sammlung zurückgreifen dürfen!

Das Kunstmuseum Bonn ist Partner der Ausstellung?

Das ist so, man hat dort eine beeindruckende Macke-Sammlung. Die Bonner haben im Austausch von uns ein Konvolut von Jawlensky-Werken bekommen, auch die „Helene im spanischen Kostüm“ wird in Bonn gezeigt. Für unsere Schau haben wir zum Beispiel auch aus dem Saarlandmuseum – Moderne Galerie in Saarbrücken oder aus dem Landesmuseum Darmstadt sowie von der Mathildenhöhe, aus der Kunsthalle Mannheim und aus dem LWL-Museum für Kunst und Natur in Münster Leihgaben bekommen. Und unserer früherer Chef Alexander Klar leiht uns ein Werk aus der Hamburger Kunsthalle: „Frau mit Kind im Park“. Das Bild war auch vor 100 Jahren hier. Weitere Arbeiten kommen aus Privatsammlungen.

Ich habe gelesen, dass Macke mit seinem Freund Franz Marc 1912 in Bonn in seinem Atelier eine Wandbemalung geschaffen hat: Adam und Eva. Wo ist denn dieses Paradies jetzt?

Das Fresko ist in Münster. Dort, im LWL-Museum, wird der Nachlass des Künstlers verwaltet. Unter den Bildern, die von dort kommen, ist auch ein Porträt von Mackes Ehefrau Elisabeth, die phantastische „Frau mit Hut“. Dieses Porträt gehört zum Hauptwerk und war auch vor 100 Jahren in Wiesbaden zu bestaunen.

Gehört zum Hauptwerk: August Macke, Frau des Künstlers mit Hut, 1909
LWL-Museum für Kunst und Kultur, Münster, gefördert von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages, von der Kulturstiftung der Länder, durch die Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes NRW, von der Kunststiftung NRW und von der Ernst von Siemens Kunststiftung (Foto: LWL Münster)

Nach den „Lebensmenschen“ mit Jawlensky und Werefkin, denen Macke ja auch verbunden war, verspricht das „Paradies“ ebenfalls wieder ein Highlight zu werden.

Das hoffen wir. Jeder Betrachter, jede Betrachterin, bekommt den Macke, den man kennt. Aber man kann eben auch vieles entdecken. Von Entwürfen für Stickereien über Aktzeichnungen bis hin zur Skulptur. Es sind alle Techniken zu sehen, die er angewendet hat.

In Frankreich hatte August Macke sich besonders in frühen Jahren seines Schaffens inspirieren lassen. In Frankreich musste er als Soldat mit nur 27 Jahren sein Leben lassen. Wie würdest Du den Maler beschreiben, von dem gesagt wird, er hatte „eine eigenständige Stimme im Orchester der Maler“?

Lassen wir seinen Freund und „Blauer Reiter“-Kollegen Franz Marc sprechen. Der sagte im Nachruf auf August Macke: „Er hatte von uns allen der Farbe den hellsten und reinsten Klang gegeben, so klar und hell wie sein ganzes Wesen war.“

Das Gespräch führte Ingeborg Salm-Boost


PS: Noch ein Macke-Zitat von 1910 zur Einstimmung auf die Ausstellung: „… bei mir ist Arbeiten ein Durchfreuen der Natur, der Sonnenglut und der Bäume. Sträucher, Menschen, Tiere, Blumen und Töpfe, Tische und Stühle, Berge, Wasser beschienenen Werdens …“

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