Interview mit Slawomir Elsner

Mit Unschärfe zur Erkenntnis

Kürzlich im Museumscafé: Ich treffe zufällig mit Slawomir Elsner zusammen, dem Ritschl-Preisträger und Künstler aus Berlin, der nun in Wiesbaden mit einer großen Ausstellung geehrt wird. Er strahlt Freude über die Möglichkeit aus, hier sein Schaffen vorstellen zu können. Es ist seine erste umfassende, museale Ausstellung. Und gerne ist er auch bereit, sich zu einem Interview für unsere Freunde-Website zu verabreden. Der Künstler lebt in Berlin, und so machen wir das im Vorfeld der Schau telefonisch und per E-Mail. Und doch in einer besonderen, freundlichen Atmosphäre, als ob man zusammensäße. Zur Ausstellungseröffnung ist Slawomir Elsner (Jahrgang 1976) nun nach Wiesbaden gekommen.

Blick noch weiter zurück. Vor einigen Jahren in Dresden, Galerie der Alten Meister: Andreas Henning und Slawomir Elsner lernen sich vor einem Tizian-Gemälde kennen und schätzen. Sie sprechen über Lichtverteilung und Farbregie. „Er hat einen sehr wachen Blick und ein Gespür dafür, wie die Alten Meister mit Licht und Farbe umgegangen sind. Elsner schafft in seinen Arbeiten ein Farbgewebe, mit dem er Lichtregie und Farbgebung evoziert. Und zugleich verhindert, dass man in das gegenständliche Sehen abgleitet. Er verklärt das Motiv, sodass man es nicht erkennen kann.“ Das sagt Andreas Henning zu dem Künstler, der mit dem Buntstift aus den Kindertagen arbeitet. Lassen wir den Zeichner und Maler selbst zu Wort kommen. Und lesen Sie Details zur Ausstellung „Präzision und Unschärfe“ in der Zusammenfassung des Museums am Ende dieses Beitrags.


Slawomir Elsner, Sie leben in Berlin, Ihre erste museale Einzelausstellung ist nun in Wiesbaden. Sind Sie der hessischen Landeshauptstadt seit Verleihung des Otto-Ritschl-Preises 2020 besonders verbunden?

Ja, das ist so. Die Ausstellung und die großartige Ehrung werden mich zeitlebens mit Wiesbaden verbinden, was mich sehr freut. Es ist die Landeshauptstadt von Hessen, dem Land, in dem ich zwischen meinem elften und 26. Lebensjahr gern gelebt habe und wo noch immer Teile meiner Familie leben. Der Ritschl-Preis bedeutet für mich die Anerkennung, dass sich meine Arbeit in diesem herausragenden Kontext behaupten darf.

Die Schau hat den Titel „Präzision und Unschärfe“, was soll dieser dem mit Ihnen – noch – nicht vertrautem Publikum sagen?

Das ist eine Begrifflichkeit, die wesentlich für meine Arbeitsweise und zugleich für meine Motivik steht. Sowohl die Technik der Zeichnung als auch der Aquarellmalerei bedarf konzentrierter und präziser Arbeitsweise. Unschärfe schaffe ich in meinen Zeichnungen bewusst, die Striche müssen scharf und exakt sein, aber das Motiv, das ich erzeuge, ist im herkömmlichen Sinne unscharf.

Ist ein Wiesbaden-Freund: Otto-Ritschl-Preisträger Slawomir Elsner (Foto: Museum Wiesbaden/Dirk Uebele)

Was soll die Unschärfe beim Betrachter bewirken?

Unschärfe gibt es nur, wenn wir ein Referenzbild im Kopf oder vor Augen haben. Indem ich bekannte Bilder in Unschärfe bringe, können wir erkennen, was uns zuvor entgangen ist.

Und was erkennen wir genau?

Die Dramatik der Farbigkeit zum Beispiel, die spezielle Komposition eines Alte-Meister-Gemäldes oder etwa der Kontrast eines van Gogh. Unschärfe lässt die Idee der „Dinge“ erkennen und nicht nur das, was abgebildet ist.

Können Sie es noch konkreter machen?

Nehmen Sie als Beispiel ein Porträt aus der Renaissance: Zur Zeit der Entstehung des Bildes erkannten die Betrachter den Dargestellten sofort. Heute ist diese Person fremd, weil wir keinen Bezug mehr zu einem Renaissance-Menschen haben. Das bezeichne ich gerne als Unschärfe der Zeit. Die Dinge oder Informationen verschwimmen im Laufe der Zeit, ein gutes Gemälde aber bleibt bestehen. In meiner Zeichnung sollen sich auch diese Gedanken widerspiegeln.

Wann haben Sie begonnen, sich auf Ihre ganz eigene Weise den Alten Meistern anzunähern?

Es war wohl 2015. Die Alten Meister faszinieren mich aber schon, seit ich denken kann.

Unschärfe soll Erkenntnis bringen… Slawomir Elsner, Das Mädchen mit dem Perlenohrring (Mädchen mit Turban) nach Jan Vermeer (Mauritshuis, Den Haag), 2018, Sammlung Dr. Claar (Foto: Sebastian Schobbert)

Was beispielsweise hat Sie an Jan Vermeers „Mädchen mit dem Perlenohrring“ gereizt?

Die zweite Fassung ist eine Möglichkeit, wie das Bild auch hätte gemalt werden können, wie es vielleicht als Vorstufe existiert hat, aber dann wäre es vielleicht nicht so faszinierend wie das Halbprofil. Des Weiteren ist das Kolorit von Vermeer sehr reizvoll.

In der Beschreibung des Museums wird Ihr Werk als ebenso ungewöhnlich wie vielseitig bezeichnet …

Das Ungewöhnliche sind wohl die Techniken, Buntstift und Aquarell. Eine Technik, die schon im Kindergarten Verwendung findet und daher wohl im Kunstbetrieb als etwas Niederschwelliges angesehen wird. Sie ist seit 20 Jahren eine Herausforderung für mich.

Watercolors 2018, Courtesy of the artist (Foto: Sebastian Schobbert)

In Wiesbaden kuratiert ja ein absoluter Kenner der Alten Meister, Direktor Dr. Andreas Henning, gemeinsam mit Lea Schäfer, Ihre Ausstellung. Wie ist die Zusammenarbeit mit dem früheren Kustos aus Dresden?

Dr. Andreas Henning habe ich tatsächlich bei den Alten Meistern in Dresden kennengelernt. Der MDR hatte einen Beitrag zu meiner Ausstellung in der Galerie Gebr. Lehmann gemacht. Herr Henning war mein Gesprächspartner bei den Alten Meistern, sein Wissen über das Thema ist unerschöpflich, der Austausch mit ihm ist faszinierend und anregend. Es gibt übrigens einen kurzen Film auf YouTube, MDR Sachsenspiegel: „Slawomir Elsner webt mit Farben“ – das ist ein Zitat von Andreas Henning.

Auch Jawlensky ist dabei: Slawomir Elsner. Selbstbildnis (nach Alexej von Jawlensky, 1912, Museum Wiesbaden), 2021. Courtesy the artist und Galerie Gebr. Lehmann, Dresden ( Foto: Sebastian Schobbert)

Verraten Sie uns noch ein bisschen was aus Ihrem Lebenslauf?

Meine Eltern sind, als ich elf Jahre alt war, aus Polen ausgewandert und nach Kassel gekommen. Dort lebte bereits meine Großmutter. Nach dem Studium an der Kunsthochschule Kassel 2002 bin ich dann nach Berlin gezogen. Es war damals ein Gefühl, dass ich mich mit meiner Arbeit in Berlin beweisen kann. Und in Berlin lebe ich heute mit meiner Frau und den zwei Kindern.

Und was sind Ihre nächsten Pläne?

Ich werde in den kommenden Tagen anfangen, an neuen Projekten für 2022 und 2023 zu arbeiten. Übernächste Woche habe ich noch eine kleine Ausstellung bei Gisela Clement in Bonn, teils mit Vorzeichnungen für die Ausstellung in Wiesbaden.

Das Gespräch führte Ingeborg Salm-Boost


Pressemitteilung des Museums Wiesbaden zur Ausstellung

Ritschl-Preisträger Slawomir Elsner im Museum Wiesbaden
Das Museum Wiesbaden zeigt vom 5. November 2021 bis zum 6. März 2022 die erste umfassende museale Einzelausstellung des Berliner Künstlers Slawomir Elsner. Seine Buntstiftzeichnungen und großformatigen Aquarelle sind so ungewöhnlich wie vielseitig. Elsners akribisch gezeichneten Werke nehmen Bezug auf unser kulturelles und kollektives Gedächtnis, indem sie berühmte Kunstwerke oder signifikante Situationen der Zeitgeschichte spiegeln. Dabei stehen im Zentrum seines künstlerischen Ansatzes immer zwei grundlegende künstlerische Mittel: Farbe und Licht. Das kommt auch in den abstrakten Aquarellen zum Ausdruck, die er in immer größeren Formaten an die Grenze ihrer Gattung führt. Anhand von knapp 50 Werken und einer 20-teiligen Fotoserie werden entscheidende Stationen im künstlerischen Werdegangs Elsners sowie seine charakteristischen Werkserien vorgestellt.

Blick in die Ausstellung (Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)

Slawomir Elsner (geb. 1976) lebt und arbeitet in Berlin. Er studierte an der Kunsthochschule Kassel, zuletzt als Meisterschüler von Prof. Norbert Radermacher. 2020 wurde Elsner mit dem Otto-Ritschl Preis ausgezeichnet. In seinen Buntstiftzeichnungen überträgt der Künstler malerische Aspekte alter Meister in das Medium der Zeichnung. Der Ausstellungstitel „Präzision und Unschärfe“ steht für das Besondere an Elsners Arbeiten. Strich für Strich nähert er sich den historischen Gemälden an, indem er kurze Linien zu immer dichteren Farbgeflechten übereinanderlegt. So nimmt er Bezug zu unverkennbaren Bildern des kulturellen Gedächtnisses, beispielsweise dem Mädchen mit dem Perlenohrring von Jan Vermeer. Auch finden sich in der Ausstellung Hauptwerke aus der Sammlung des Museums Wiesbaden von Alexej von Jawlensky, Otto Mueller und Carl Spitzweg, gezeichnet aus der Sicht des Berliner Künstlers. Andere Werke knüpfen an das kollektive Gedächtnis der Gegenwart an. Die Farbstiftzeichnungen der Werkserie „Windows on the World“ sind beispielsweise an Fotografien der gleichnamigen Bar angelehnt, die sich auf der 107. Etage des World Trade Centers in New York befand und die Elsner im Frühjahr 2001, nur wenige Monate vor den Terroranschlägen, gemacht hat. In der Werkserie abstrakter Aquarelle erschafft er durch unzählige monochrome oder mehrfarbige Schichten luminöse Farbräume.

Farbe und Licht bei Slawomir Elsner. Ein Werk aus der Serie: Just Watercolors (063), 2019. Courtesy the artist (Foto: Sebastian Schobbert)

„Slawomir Elsner ist ein Künstler, der mit einer überzeugenden konzeptuellen Klarheit und einer souveränen künstlerischen Technik sich zwei zentralen Grundsubstanzen der Malerei widmet, nämlich der Farbe und dem Licht“, erläutert Dr. Andreas Henning, Direktor des Museums Wiesbaden und Kurator der Ausstellung. „Interessanterweise nutzt er dazu Buntstifte und Aquarell, zwei in der Geschichte der Kunst oft marginalisierte Medien. Mit ihnen erschafft er luminöse Farbräume und offenbart darin eine künstlerische Verwandtschaft mit Otto Ritschl. Ich danke daher sehr dem Museumsverein Ritschl e.V., der in Kooperation mit dem Museum Wiesbaden Slawomir Elsner den Ritschl-Preis 2020 zuerkannt hat. Wir freuen uns, die dem Preis zugehörige Ausstellung jetzt der Öffentlichkeit präsentieren zu können.“

Die Ausstellung „Präzision und Unschärfe“ gibt auf 270 qm einen Einblick in Elsners künstlerische Entwicklung, angefangen bei den Arbeiten, die noch zu Studienzeiten entstanden sind, bis zu den Werken, die der Künstler eigens für die Ausstellung angefertigt hat. Im Zentrum der Schau stehen Slawomir Elsners aktuelle Arbeiten aus zwei umfangreichen Serien. Zum einen Werke aus der Serie des „imaginären Gedächtnisses“ mit Farbstiftzeichnungen nach alten und neuen Meistern. Zum anderen die abstrakten farb- und lichtintensiven Aquarelle aus der Serie „Just Watercolors“.

„Trotz so offensichtlicher Unterschiedlichkeit in Sujet und Technik,“ betont Lea Schäfer, Kuratorin der Ausstellung, „basieren die Aquarelle und Zeichnungen auf dem gleichen künstlerischen Prinzip: der Lichtquellen, die im Bild eingewoben, dieses von innen heraus zum Leuchten bringen. Ziel der Ausstellung ist es, diese besondere Qualität der Arbeiten aus den aktuellen Werkserien von Slawomir Elsner erfahrbar werden zu lassen.“

Der Künstler wird im Rahmen der Ausstellung eine exklusive Edition anbieten. „Frau mit Fächer“ (nach Alexej von Jawlensky, 1912, Museum Wiesbaden) ist der Titel der signierten iPad-Zeichnung Slawomir Elsners, von der 25 qualitative Drucke in der Größe 26,5 x 19 cm im Museumsshop erhältlich sind.

Veranstaltungen im Rahmen der Ausstellung:

Vortrag von Prof. Peter Iden
Otto Ritschl — die Farbe ist das Maß der Dinge
Donnerstag, 9. Dezember 2021, 18 Uhr
in Kooperation mit den Freunden des Museums Wiesbaden e.V.

Highlight Kinderworkshop
Zeichnen mit dem Künstler
Samstag, 12. Februar 2022, 15 Uhr

Die Ausstellung wird gefördert durch den Museumsverein Ritschl e.V. und die Freunde des Museums Wiesbaden e.V.
hr2 ist Kulturpartner des Museums Wiesbaden.

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